Debatte Chavez und Ahmadineschad: Falsche Freunde

Der Hass auf die USA schweißt linke und islamistische Staatsführer zusammen. Antisemitische Propaganda gehört zum Weltbild.

Steinigung von Ehebrecherinnen, Folter im Namen Allahs - sieht so die "bessere Welt" aus, von der Hugo Chávez träumt? Der angebliche Wahlsieg Mahmud Ahmadinedschads jedenfalls, so erklärte Venezuelas Staatschef, sei "sehr wichtig für die Völker, die für eine bessere Welt kämpfen". Im Kampf gegen die "Attacken des weltweiten Kapitalismus" - gemeint waren die Oppositionellen auf Teherans Straßen - versprach er dem iranischen Präsidenten seine volle Solidarität. Auch Nicaraguas Staatschef Daniel Ortega war zufrieden: Mit der Wahl Ahmadinedschads habe "das iranische Volk" den "Imperialismus und alle seine Ausformungen" zurückgewiesen.

Dass der Nicaraguaner den Iraner zu seinen Freunden zählt, ist naheliegend. Spätestens seit sich Ortega und seine Sandinistische Befreiungsfront mit dem Klerus verbündet haben und ein Verbot der Abtreibung durchsetzten, haben sie ohnehin jeden Anspruch auf emanzipatorische Politik ad acta gelegt. Für etwas Verunsicherung in linken Kreisen sorgte aber Chavez Einsatz für Ahmadinedschad. Schließlich macht sich die von ihm angeführte "bolivarische Revolution" für jene stark, deren Rechte unter dem Mullah-Regime mit Füßen getreten werden: Frauen, Schwule, Lesben.

Verwunderlich sind Chavez freundschaftliche Worte aber nicht. Weitgehend ignoriert oder sogar unterstützt von seinen Anhängern unterhält der Venezolaner seit Jahren gute Beziehungen zum iranischen Regime. Dabei spielen nicht nur wirtschaftliche Kooperationen und die Mitgliedschaft im Erdölkartell Opec eine Rolle. Regelmäßig betont Chávez, wie übrigens auch sein bolivianischer Amtskollege Evo Morales, die enge Verbundenheit mit der islamischen Regierung. Während eines Teheran-Besuchs 2005 hob er die "gemeinsamen antiimperialistischen und revolutionären" Tugenden hervor, später lobte er den Kampf des Iran gegen "den Kolonialismus, das Lakaientum und die Nachgiebigkeit".

ist Journalist und lebt wieder in Berlin, nachdem er sechs Jahre lang in Mexiko-Stadt u. a. für den Nachrichtenpool Lateinamerika, den ARD-Hörfunk und die taz gearbeitet hat. Er hegt große, aber kritische Sympathie für die sozialen Bewegungen Lateinamerikas.

Zunächst ist es natürlich die Feindschaft zu den USA, die linke und islamistische Antiimperialisten zusammenschweißt. Deren Weltbild braucht Schwarz-Weiß-Analysen, die mit der notwendigen Kritik am imperialistischen Verhalten der Großmächte wenig zu tun haben: "gute" unterdrückte Völker kämpfen gegen Volksfeinde, die von "außen" die wie auch immer definierte "eigene" Kultur angreifen, das per se "gute Volk" wird durch Propaganda oder anderen Einfluss von "außen" belogen und betrogen. Kurzum: ein Weltbild, das Verschwörungstheorien geradezu anzieht. Wie diese Zuschreibungen funktionieren, ist in beachtenswerter Schlichtheit auf der chavistischen Homepage "für den Aufbau des Sozialismus des 21. Jahrhunderts" aporrea.org nachzulesen. "Die Arbeiter, Studenten, Frauen und Jugendlichen der Islamischen Republik" hätten Ahmadinedschad gewählt, so erklärt Autor Carlos Aznarez, weil "das Volk ein Experte darin sei, das Boot in Zeiten der Stürme richtig zu lenken". Wer dennoch opponiert, kann gar nicht zum "Volk" gehören und agiert, wie Chávez erläutert, mit Schützenhilfe der EU und der CIA.

Wo Gemeinsamkeiten nur durch ein kulturalistisch definiertes Verständnis von Selbstbestimmung und die Feindschaft zum "Imperium" definiert werden, zählen natürlich auch Hisbollah und Hamas zu wichtigen Bündnispartnern. Beachtlich ist, dass Chávez in seinen Solidaritätsbekundungen für die islamistischen Organisationen es nicht bei einer Kritik an den israelischen Angriffen im Gaza oder Libanon belässt, sondern ganz im Duktus von Ahmadinedschad diese mit dem Terror der Nazis gleichsetzt. Die Anti-Defamation-League (ADL) wies darauf hin, dass im Fahrwasser der Rhetorik des Regierungschefs während des Libanon-Krieges chavistische Gruppen offen antisemitische Propaganda verbreiteten: Karikaturen, die den Davidstern mit dem Hakenkreuz verbanden, "Juden raus"-Schmierereien etc. "Die jüdische Rasse", so zitierte ADL die regierungsnahe Tageszeitung El Diario de Caracas, sei "zum Verschwinden verdammt." Wen wundert es da, dass auch während der jetzigen Ereignisse im Iran in Kreisen der "bolivarischen Revolution" entsprechende Bekundungen für den Holocaustleugner Ahmadinedschad laut werden. So enttarnte Aznarez die oppositionellen Mobilisierungen als Inszenierung des "nordamerikanisch-israelischen Zionfaschismus".

Solche Positionen bleiben freilich nicht auf die Anhänger der "bolivarischen Revolution" beschränkt. Je radikaler die Gruppen der lateinamerikanischen Linken, desto mehr verschwindet die Kritik am US- oder am israelischen Vorgehen hinter Verbrüderungsgesten mit diktatorischen Regimes und der Zurschaustellung antisemitischer Ressentiments. Um dem "Brudervolk in Palästina" zu helfen, griff im Mai ein Schlägertrupp in Buenos Aires eine Feier anlässlich der Staatsgründung Israels gewaltsam an. Linke behindern auch die Aufklärung eines Anschlags auf ein jüdisches Gemeindezentrum, bei dem 1994 in der argentinischen Hauptstadt 88 Menschen starben. Der Grund: Die Verfolgung der Verantwortlichen, die in der iranischen Regierung vermutet werden, solle eine US-Militäraktion legitimieren. In der mexikanischen linken Tageszeitung La Jornada beglückwünschte Kommentator José Steinsleger die Hisbollah nach dem Libanonkrieg. Sie hätten "allen unterdrückten Völkern der Welt eine Botschaft der Hoffnung gegeben".

Hoffnung auf Befreiung durch islamistische Organisationen? Auch bei den nationalen Befreiungsbewegungen der 1960er- bis 1980er-Jahre verschwand die Idee der sozialen Revolution oft hinter nationalistischen Phrasen gegen "das Imperium". Doch während damals Kriterien wie Menschenrechte oder Klassenkampf wenigstens als Versprechen existierten, geht antiimperialistisches Aufbegehren heute oft von Regimen und Bewegungen aus, deren Ziele weit hinter die Errungenschaften der bürgerlichen Revolution zurückfallen. Wer sich mit diesen Kräften gemeinmacht, fördert nicht nur Folter, Steinigungen und Liquidierungen im Namen Allahs, er macht es auch schwer, die emanzipatorischen Bestrebungen etwa der "bolivarischen Revolution" ernst zu nehmen.

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Wolf-Dieter Vogel, Jahrgang 1959, ist Print- und Radiojournalist sowie Autor. Er lebt in Oaxaca, Mexiko. Seine Schwerpunkte: Menschenrechte, Migration und Flucht, Organisierte Kriminalität, Rüstungspolitik, soziale Bewegungen. Für die taz ist er als Korrespondent für Mexiko und Mittelamerika zuständig. Er arbeitet im mexikanischen Journalist*innen-Netzwerk Periodistas de a Pie und Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter.

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