„Das ist strafrechtlich verfolgbar“

Anwältin Ateș gab ihren Beruf auf, weil sie sich bedroht fühlte. Was kann man in so einer Situation tun? Susanne Bauer und Martina Linke, die bei der Berliner Polizei für Prävention und Gewaltschutz zuständig sind, geben Auskunft

taz: Die Anwältin Seyran Ateș fühlte sich bedroht. Warum hat die Polizei ihr nicht geholfen?

Susanne Bauer: Wir müssen eines klarstellen: Frau Ateș hat das LKA nicht um Personenschutz gebeten. Sie hat auch keine Straftaten angezeigt, die so etwas nahegelegt haben. Es ist mit Frau Ateș ein Sicherheitsgespräch geführt worden, in dem sie dies auch bestätigt hat.

Wer bekommt denn normalerweise Personenschutz?

Martina Linke: Es muss eine Person des öffentlichen Lebens sein. Über deren Situation wird dann eine Gefahrenanalyse erstellt.

Frau Ateș bezieht sich auf eine Situation, in der ein Ehemann nach einem Gerichtstermin ihre Mandantin angriff.

Bauer: Zu diesem Fall geben wir im Moment keine weitere Stellungnahme ab.

Welche Möglichkeiten haben Menschen, die keinen Anspruch auf den eher umfangreichen Personenschutz haben?

Linke: Wenn Menschen sich durch andere Menschen so bedroht fühlen, dass sie ihren Beruf aufgeben, dann ist das strafrechtlich verfolgbar. Wenn man keine Strafanzeige stellen will, dann gibt es immer noch das Gewaltschutzgesetz. Man kann die richterliche Anordnung erreichen, dass sich eine Person nicht nähern und keinen Kontakt aufnehmen darf. Wenn die Person dagegen verstößt, dann ist es eine Straftat.

Dann ruft man die Polizei – und dann?

Linke: Die Polizei analysiert, ob die Person eine Gefahr darstellt und kann sie dann auch in Gewahrsam nehmen.

Die Präsidentin des Juristinnenbundes, Jutta Wagner, meint, die Gefährdung durch Männer aus Migrantenfamilien sei unter Umständen größer, weil Gewalt gegen Frauen in manchen Gesellschaften traditionell nicht geächtet sei. Kann es sein, dass die Polizei auf Migrantenmänner ein schärferes Auge haben sollte?

Bauer: Die Statistiken sprechen eine andere Sprache. Gewalt kommt in Migrantenfamilien nicht viel häufiger vor als in anderen Familien. Auch Tötungsdelikte an Frauen werden nicht vorrangig durch Migranten begangen.

Linke: Es gibt Indikatoren für die Einschätzung von Gefährdungslagen, und die sind für alle gleich: Etwa, ob der Täter sozial integriert ist oder allein. Ob er über seine Probleme sprechen kann oder nur mit Gewalt reagiert. Da kann der Migrationshintergrund eine Rolle spielen, er muss es aber nicht.

Politiker haben nun vorgeschlagen, dass die so genannte „Gefährderansprache“ eine größere Rolle spielen soll. Ist das sinnvoll?

Linke: Ja, das machen wir aber schon. Da ist ja der Sinn von Prävention: Speziell geschulte Beamte versuchen in Kontakt mit dem Gefährder zu kommen. Oft sind die dann sehr erleichtert, dass ihnen mal jemand zuhört.

In der Auseinandersetzung um ein neues Stalking-Gesetz wurde vor allem über die „Deeskalationshaft“ gestritten. Ist diese Art von Haft in Ihren Augen sinnvoll?

Linke: Deeskalationshaft heißt: Der Richter muss einschätzen, ob von der Person eine Gefahr ausgeht, obwohl diese noch nicht gegen ein Strafgesetz verstoßen hat. Das ist schwierig.

Bauer: Gerade in Familienstreitfällen ist es nicht leicht, die Situation zu erfassen, weil man mit sehr unterschiedlichen Darstellungen konfrontiert ist. Kann man aufgrund solcher Einschätzungen jemandem ein Grundrecht nehmen? Ich bin dafür, erst einmal Mittel wie die Gefährderansprache zu wählen.

Erwarten Sie, dass ein Stalking-Gesetz, wie es jetzt seit längerem im Bundestag beraten wird, der Polizei die Arbeit erleichtert?

Bauer: Die Straftatbestände, die dort erwähnt werden, sind ja alle schon vorhanden, Beleidigung, Bedrohung, Körperverletzung, Belästigung und so weiter. Aber Taten wie das Stalking sind trotzdem schwer zu fassen. Deshalb finde ich es wichtiger, dass man präventiv tätig wird.

INTERVIEW: HEIDE OESTREICH