Mangelhafte Planwirtschaft

FLÜCHTLINGSHEIME Der Ausbau von Unterkünften hält nicht Schritt mit den Asylbewerberzahlen. Das in dieser Woche eröffnete Heim in Neukölln wird da nichts ändern

Rund jeder vierte Flüchtling in Berlin wohnt derzeit unter Bedingungen, die eigentlich unzumutbar sind

VON MARINA MAI

An den Gehwegplatten vor dem neuen Asylbewerberheim in der Neuköllner Späthstraße wird noch gehämmert. Es ist Tag zwei nach der Eröffnung des jüngsten Berliner Flüchtlingsheims. Eine Gruppe Syrer kommt mit schwerem Gepäck von der Erstaufnahmestelle in der Spandauer Motardstraße. Im Hof läuft ein kleiner bosnischer Junge dem Ball hinterher. Drei Mädchen stehen mit einem selbst gebackenen Kuchen schüchtern vor dem Gebäude: Sie sind Nachbarinnen und wollen den Kuchen den Neu-Neuköllnern schenken.

Eine verhältnismäßige Idylle – doch nur auf den ersten Blick: Auf der gegenüberliegenden Straßenseite zum Heim reißt ein junger Mann Plakate von Laternen und Stromkästen, auf denen die Flüchtlinge in sieben Sprachen willkommen geheißen werden. Die Stimmung der Neuköllner gegenüber den neuen Nachbarn ist widersprüchlich.

400 Plätze sollen hier für Flüchtlinge entstehen. Bezugsfertig ist erst eines der beiden Gebäude, 200 Menschen finden hier Platz, das andere Haus soll Anfang April fertiggestellt sein. Berlin benötigt die Plätze dringend, denn die Flüchtlingszahlen steigen weiter an. Im Januar musste die Stadt 629 Flüchtlinge neu unterbringen. Zum Vergleich: Ein Jahr zuvor waren es 360, 2012 nur 190. Für Februar liegen noch keine Zahlen vor.

Gegenwärtig kommen vor allem Flüchtlinge aus Syrien, den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien, Afghanistan und Somalia nach Berlin. Für 8.322 Bewohner stehen nur 8.167 Plätze zur Verfügung. Zusätzlich gibt es ein Kontingent von 600 Hostelplätzen, die laufend für Neuankömmlinge reserviert sind, weil die Plätze in den Flüchtlingsheimen nicht reichen. Diese Plätze fallen allerdings noch vor Ostern weg, weil die Hostelbetreiber dann und im gesamten Sommerhalbjahr wieder zahlende Touristen erwarten.

Der Mangel an Plätzen für Flüchtlinge ist seit zwei Jahren in Berlin Dauerzustand, und das wird sich trotz neuer Plätze eher noch verstärken als verringern. Denn auch weiterhin scheinen die Flüchtlingszahlen schneller zu steigen, als man mit dem Ausbau von Unterkünften vorankommt. Im ersten Halbjahr ist bisher neben dem Neuköllner Quartier die Eröffnung eines zweites Gebäudes in Hellersdorf sowie eines Heimes in Adlershof (Treptow-Köpenick) geplant. In beiden Gebäuden finden je mehr als 200 Bewohner Platz.

Allerdings will Berlin zugleich bis zum Sommer drei Unterkünfte schließen. Eine ehemalige Schule im Bezirk Mitte, in der derzeit 250 Flüchtlinge unter miserablen Bedingungen hausen, soll wieder Schule werden. Der Senat will zudem die Erstaufnahmestelle in der Spandauer Motardstraße aufgeben, die seit Jahren wegen widriger Wohnbedingungen und der Lage mitten im Industriegebiet, weitab von jeglicher Infrastruktur, in der Kritik steht. Der Mietvertrag war eigentlich bis Ende 2013 befristet, konnte aber letztmalig bis Ende Juni verlängert werden. Dort wohnten letzte Woche noch rund 600 Menschen.

Auch ein ehemaliges Krankenhausgelände im Spandauer Ortsteil Gatow, wo 450 Asylsuchende untergebracht sind, muss der Senat aus rechtlichen Gründen eigentlich im April aufgeben. Doch alle drei Schließungen können nur dann umgesetzt werden, wenn sich kurzfristig Ersatzstandorte finden.

Obwohl es dabei um Quartiere für insgesamt mehr als 1.000 Menschen geht, ist Silvia Kostner, die Sprecherin des Landesamts für Gesundheit und Soziales, vorsichtig optimistisch. „Wir verhandeln in mehreren Bezirken intensiv über neue große Standorte“, sagt sie der taz. Einzelheiten nennt Kostner nicht. Ihr Amt hätte schon die Erfahrung gemacht, dass Vermieter den Mietpreis erheblich erhöhten, wenn das Vorhaben in der Zeitung stünde, bevor die Tinte unter dem Vertrag trocken ist, sagt sie.

Ein lokales Anzeigenblatt hatte allerdings dem Bezirksamt Lichtenberg entlockt, dass ein Gebäude in der Lichtenberger Herzbergstraße nahe einem Krankenhaus im Gespräch sei. Und die Neuköllner CDU soll einem Pressebericht zufolge konkrete Standorte in der Karl-Marx-Straße vorgeschlagen haben. Das liest sich aber eher so: Wenn schon Flüchtlinge nach Neukölln kommen, dann doch besser in den migrantisch geprägten Norden des Bezirks als in den bürgerlichen Süden.

Warmes Wasser? Stundenweise

Rund jeder vierte Flüchtling wohnt demnach derzeit unter Bedingungen, die eigentlich unzumutbar sind: entweder in schnell eingerichteten Notunterkünften oder in der maroden Erstaufnahmestelle in der Motardstraße. So stehen in einzelnen Heimen warmes Wasser und Duschen nur stundenweise zur Verfügung, etwa weil die Sanitäranlagen tagsüber von Sportlern genutzt werden. In Einzelfällen unterteilen Wolldecken Räume für mehrere Familien.

Die Piraten haben einen Antrag ins Parlament eingebracht, der das ändern soll. So sollen nach dem Willen der Freibeuter in Zukunft per Gesetz mehr Wohnfläche und die Etablierung von Heimbeiräten vorgeschrieben werden, in denen die Bewohner über ihre Belange mitentscheiden dürfen. „Leider hat es die Koalition nicht eilig, unseren Antrag zu behandeln“, bedauert der Piratenabgeordnete Fabio Reinhardt.

Er freut sich aber, dass das Landesamt für Gesundheit und Soziales an anderer Stelle auf Kritik aus der Opposition und von Flüchtlingsgruppen reagiert hat: „Das Landesamt führt seit dem vierten Quartal 2013 wieder Kontrollen in Heimen durch. Und es verpflichtet nun Heimbetreiber per Vertrag, Gemeinschaftsräume für Angebote ehrenamtlicher Helfer zur Verfügung zu stellen.“ Im Herbst wurden in zwei Fällen ehrenamtliche Helfer vor die Tür gesetzt, weil sie die Heimbetreiber kritisiert hatten.