KATHARINA GRANZINCRIME SCENE
: Schafe ermitteln

Eine der seltsamsten Neuerungen des Krimigenres kam vor fünf Jahren über uns, als Leonie Swann mit „Glennkill“ den wahrscheinlich ersten Schafkrimi der Literaturgeschichte vorlegte. Das Ding wurde ein Bestseller, eine Riesenüberraschung.

Fast ebenso überraschend, dass mit „Garou“ nun ein zweiter Roman über die Detektivschafe Miss Maple, Mopple the Whale, Cloud & Co zu haben ist. Wer hätte gedacht, dass das Konzept Schafkrimi fortsetzungsfähig ist?

Aber das ist es in der Tat, weil Leonie Swann ihre Schafe als Ermittlerpersönlichkeiten ernst nimmt. Warum auch nicht? Schließlich kennt die Literatur zahlreiche Detektive mit intellektuellen Defiziten. Und es sind auch nicht alle Schafe gleich doof.

Auch wenn sogar Swanns geniale Miss Maple denselben Beschränkungen der Wahrnehmung der Welt unterliegt wie all ihre Schaffreunde, so ist ihre überragende Fähigkeit, logische Zusammenhänge herzustellen, dadurch keineswegs beeinträchtigt. Das wirklich Großartige aber ist, dass die Schafe tatsächlich ein Team bilden, dessen Mitglieder sich aufs Schönste mit ihren jeweiligen Talenten ergänzen. Geradezu tragisch ist es da, dass die Menschen die aufopfernde Ermittlungstätigkeit der tapferen Blöker so gar nicht wahrnehmen.

Und in „Garou“ beweisen die Schafe ein ums andere Mal großen Mut, denn ihre Nachforschungen führen sie wiederholt in einen verschneiten Wald, in dem, so munkeln die Menschen, ein Werwolf sein Unwesen treibt. Der hat ein Reh übel zerfetzt, das ausgerechnet von Rebecca, der jungen Schäferin, gefunden wird. Nach und nach erfahren die Schafdetektive, dass es nicht bei Rehen bleibt. Ein Nachahmungstäter scheint sich herumzutreiben, und als die Schafe eines Tages einen erschossenen Menschen auf ihrer Weide finden, sind sie zunächst etwas beunruhigt. Zum Glück ist er bald wieder eingeschneit.

Die Geschichte hat Charme und Witz und entwickelt eine beträchtliche Spannung. Auf der Ebene der Menschen bleiben die Charaktere allerdings sehr eindimensional, was unser Interesse an ihrem jeweiligen Schicksal ein wenig dämpft. Das aber ist wohl kaum zu ändern, denn als LeserInnen sind wir selbst nur Schafe, um mit Schafsaugen auf die Welt zu sehen. Die Menschen sind uns letztlich egal. Die Ziegen auf der Nachbarweide sowieso; die spinnen nämlich komplett.

Wenn man aber erst mal gelernt hat, alles durch Schafsaugen zu betrachten, versteht man umso besser, dass wir als Menschen auch nur so etwas wie Schafe sind und unsere Wahrnehmungsmöglichkeiten sehr begrenzt sind. Erst Miss Maple und die anderen erlauben uns Einblicke in das geheime Schafsuniversum und damit eine grundsätzlich andere Weltsicht. Schön ist es, ein Schaf zu sein. Da zählen letztlich nur die wirklich wichtigen Dinge. Süßgras. Gänseblümchen. Kraftfutter.

Leonie Swann: „Garou. Ein Schaf-Thriller“. Goldmann Verlag, München 2010, 415 S., 19,95 Euro