„Die Kaczyński-Brüder sind opportunistisch“

In Polen sind Nazi-Vergleiche in Mode – mal ist die taz wie der „Stürmer“, mal eine Pipeline wie der Hitler-Stalin-Pakt. Diese rabiaten Töne sorgen für das miese Image Polens im Ausland, so der Soziologe Aleksander Smolar

taz: Herr Smolar, kürzlich hat der polnische Verteidigungsminister Sikorski die Ostseepipeline mit dem Hitler-Stalin-Pakt gleichgesetzt. Gehören Nazi-Vergleiche neuerdings zum guten Stil in Polens Politik?

Aleksander Smolar: Dieser Vergleich war sehr unglücklich. Sikorski würde diesen Vergleich heute wohl nicht wiederholen. Dabei ist die Pipeline kein banales Problem für Polen. Dass die EU das deutsch-russische Projekt unterstützt, heißt nicht, dass es auch im Interesse Polens liegt. Aber ihr Bau ist nicht mehr zu stoppen. Polen muss nun also eine Politik finden, die es erlaubt, doch noch von ihr zu profitieren.

Polens Außenministerin Anna Fotyga verglich kurz darauf die taz mit dem Nazi-Hetzblatt Der Stürmer

In diesem Fall handelt es sich wahrscheinlich um schlichtes Nichtwissen. Anna Fotyga suchte nach einem Beispiel, um ihre Empörung besonders scharf zu formulieren. Sie wollte sagen, dass die Satire ihrer Meinung nach so antipolnisch sei, wie der Stürmer einst antisemitisch war. Aber der Vergleich war natürlich ein völliger Fehlgriff. Den Stürmer mit der taz gleichzusetzen, ist einfach nur grotesk.

Auf der Internetseite des polnischen Präsidenten war das Titelbild des Stürmers zu sehen. War das noch Unwissen oder schon Demagogie?

Das Bild wurde inzwischen entfernt. Mir scheint, dass Präsident und Regierung inzwischen versuchen, die ganze taz-Affäre totzuschweigen. Sie haben wohl eingesehen, dass sie durch ihre Überreaktion auf die Satire Polens Ansehen in der Welt schwer ramponiert haben. Denn der Stürmer-Vergleich ist ja im Westen mit völligem Unverständnis aufgenommen worden.

Jarosław Kaczyński will als neuer Premier Polens persönlich den Kampf gegen ausländische Medien führen. Wie? Wird es Prozesse geben wie den angekündigten gegen den Autor der taz-Satire?

Nein, eine Prozesswelle wird es wohl nicht geben. Im Außenministerium soll sich künftig eine eigene Abteilung darum kümmern, das Bild Polens im Ausland positiver aussehen zu lassen. Aber das wird scheitern. Denn Polens Bild im Ausland wird von seiner eigenen Politik bestimmt. Wenn der Premier fanatische EU-Gegner wie Antoni Macierewicz in die Regierung aufnimmt, braucht man sich über das ramponierte Bild Polens im Ausland nicht wundern.

Im Springer-Blatt Dziennik warf der Soziologe Zdzisław Krasnodębski deutschen Korrespondenten eine antipolnische Verschwörung vor. Denkt so Polens neue Rechte?

Es ist traurig, dass ein so intelligenter Mann wie Krasnodębski, der ja auch Professor in Bremen ist, die Obsessionen eines Teils der heutigen politischen Elite Polens bestärkt. Den deutschen Korrespondenten in Polen antipolnische Pressekampagnen vorzuwerfen, ist nicht nur unfair, sondern schlicht falsch. Natürlich gefällt uns manche Kritik nicht, aber das ist noch kein Grund, ihnen eine Verschwörung anzudichten.

Die rechtsklerikale Zeitung Nasz Dzienniek hat – unter dem Titel „Polen beleidigt man nicht ungestraft“ – eine Liste aller deutschen Korrespondenten abgedruckt. Zuvor hatte die rechtsradikale Internetseite „Blut und Ehre“ Namen angeblicher Feinde Polens veröffentlicht. Daraufhin wurde einer dieser „Feinde“ mit dem Messer niedergestochen. Warum reagiert die polnische Regierung nicht auf solche Listen?

Die Publikation einer Namensliste ohne Aufruf zur Gewalt ist noch nicht strafbar. Zudem hat erst ein deutscher Verlag diese Namenslisten in Polen populär gemacht. Vor kurzem erst hat das Springer-Boulevardblatt Fakt streikende Ärzte in Polen als Terroristen bezeichnet und suggeriert, dass Patienten leiden würden, weil diese namentlich genannten Ärzte nicht arbeiten wollten. Das ist nichts anderes als ein indirekter Aufruf zum Blutvergießen. Eine solche Form des Journalismus kannten wir in Polen bislang nicht. Die aggressive Presse aus dem Axel-Springer-Verlag in Deutschland zerstört systematisch die politisch-öffentliche Kultur in Polen.

Das rechtsklerikale „Radio Maryja“ meinte neulich, Papst Benedikt habe als Deutscher kein moralisches Rückgrat und rede Juden nach dem Mund. Warum haben die Kaczyński-Brüder, die oft zu Gast sind bei „Radio Maryja“, nicht gegen diesen Satz protestiert?

Pater Rydzyk unterstützt die Kaczyński-Brüder offen in seinen Medien. Es ist also purer Opportunismus, wenn sie die Medien Pater Rydzyks nicht kritisieren. Die Kaczyński-Zwillinge haben aber auch nicht gegen das Titelbild der Zeitschrift Wprost protestiert, das Kanzler Gerhard Schröder auf allen vieren zeigte und auf ihm reitend die Vertriebenenfunktionärin Erika Steinbach in NS-Uniform. Schon dieses Titelbild war skandalös antideutsch.

INTERVIEW: GABRIELE LESSER