Schweden legt weitere Reaktoren still

Nach dem Beinahe-GAU in Forsmark gehen auch zwei der drei Blöcke des AKW Oskarshamn vom Netz. Außerdem sollen alle Kraftwerke überprüft werden. Dabei war der Konstruktionsfehler im Generator der Branche schon seit dreizehn Jahren bekannt

AUS STOCKHOLMREINHARD WOLFF

Der Beinahe-GAU im schwedischen AKW Forsmark in der vergangenen Woche führte nun zu ersten Konsequenzen. Am Mittwochabend wurden im AKW Oskarshamn zwei der drei dortigen Blöcke vom Netz genommen. Es wird befürchtet, dass sie unter dem gleichen Konstruktionsfehler wie die Forsmark-Reaktoren leiden. Damit stehen nun vier der zehn schwedischen Atomreaktoren außerplanmäßig still. Einen ähnlich umfassenden Eingriff in den AKW-Betrieb aus Sicherheitsgründen gab es in Schweden zuletzt zu Beginn der Neunzigerjahre. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace forderte auch die Überprüfung der Notstromversorgung in deutschen AKWs.

Die Tatsache, dass offenbar die Hälfte der schwedischen Reaktoren seit Jahrzehnten mit eingebauten Konstruktionsfehlern betrieben werden, welche bei Stromausfall die Überwachungs- und Sicherheitseinrichtungen außer Betrieb setzen können, hat Fragen nach der Sicherheitskultur der Betreiberfirmen – Vattenfall und Eon –, aber auch der staatlichen Atomsicherheitsbehörde „Statens Kärnkraftsinspektion“ SKI aufgeworfen. Zumal sich mittlerweile herausstellte, dass der Fehler in einem Stromumwandler der AEG-Generatoren, der in Forsmark die gefährliche Kettenreaktion ausgelöst hatte, seit einem Vorfall im deutschen AKW Philippsburg im Jahr 1993 in der Branche bekannt war. Aber weder die schwedischen AKW-Betreiber noch die staatliche SKI hatten es für nötig gehalten, zu reagieren. Im Gegenteil bemühten sich Betreiber wie SKI, den Forsmark-Zwischenfall zunächst zu bagatellisieren.

Anstatt sofort zu kontrollieren, ob alle anderen Reaktoren den gleichen Konstruktionsfehler haben könnten, wollte man offenbar schnellstmöglich zur Tagesordnung übergehen. Einen Strich durch diese Rechnung machte der Alarmruf des ehemaligen Forsmark-Konstruktionschefs Lars-Olov Höglund (die taz berichtete gestern), welcher vom schlimmsten Zwischenfall seit Tschernobyl und einer Beinahe-Kernschmelze sprach. Erst nachdem eine Regionalzeitung diese Einschätzung veröffentlicht hatte und daraufhin nicht nur Teile der Medienöffentlichkeit, sondern erste PolitikerInnen wach wurden, wurde die Atomsicherheitsbehörde plötzlich aktiv. Am Mittwoch, mehr als eine Woche nach dem Vorfall, wurde den AKW-Betreiberfirmen eine Frist von mehreren Stunden gesetzt, die Sicherheit ihrer Anlagen bezüglich dieses Generatordetails nachzuweisen, und ansonsten eine Stilllegung für Donnerstag, 0.00 Uhr angedroht.

Mittlerweile haben Schwedens Grüne eine unabhängige mit internationalen Experten besetzte Untersuchungskommission über die Forsmark-Hintergründe und die Sicherheit der gesamten schwedischen Atomkraft gefordert. Auch innerhalb der Regierung hat man offenbar Zweifel an der Effektivität der SKI bekommen. So erklärte die Umweltministerin Lena Sommestad, eine solche Initiative sei vorstellbar, sobald der übliche nationale Untersuchungsbericht vorliege. Das, was geschehen sei, sei nämlich, so Sommestad, „nicht akzeptabel“. Zudem bewiesen die Vorgänge die „Wichtigkeit eines baldigen Ausstiegs aus der Atomkraft“.

Schwere Zeiten also für die schwedischen Reaktorbetreiber, die im Rahmen des vereinbarten Rückzuges aus der Atomenergie bereits zwei Reaktoren stillgelegt haben. Meinungsforscher haben seit einiger Zeit aber angeblich deutlich gestiegenes Vertrauen in der Bevölkerung gemessen. Fast die Hälfte des schwedischen Strombedarfs wird derzeit von Atomanlagen gedeckt.

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