Wenn der Außendienst klingelt

Seit gestern gelten verschärfte Regelungen für ALG II-EmpfängerInnen. Die Bagis findet das gut und will Kranken und Drogenabhängigen „helfen“ – per Hausbesuch. Kritik von der Solidarischen Hilfe

„Die werden dann zum Sozialamt abgeschoben“, sagt die Solidarische Hilfe

von Thorsten Steer

Wer Arbeitslosengeld II bezieht, dem drohen seit gestern verschärften Kontrollen und Sanktionen. Möglich wird das durch ein so genanntes „Fortentwicklungsgesetz“, das zum 1. August in Kraft trat. Wie es in Bremen konkret umgesetzt werden soll, ließ die Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales (Bagis) allerdings noch unklar.

Neu ist unter anderem, dass bei der Feststellung von „eheähnlichen Bedarfsgemeinschaften“ die Beweislast nicht mehr länger bei der Bagis liegt. Vielmehr müssen jetzt Erwachsene, die seit mehr als einem Jahr zusammen wohnen, ein gemeinsames Konto haben oder gemeinsam Kinder und Verwandte betreuen, ihrerseits ihre „Unschuld“ beweisen. Wie? Das bleibt das Geheimnis von Bagis-Geschäftsführer Thomas Schneider: „Das wird im Einzelfall vom Sachbearbeiter entschieden.“

Nach der bisherigen Praxis werde bei einem Hausbesuch eine „Indizienliste abgearbeitet“, sagt Herbert Thomsen von der Solidarischen Hilfe. Geprüft werde etwa, ob „getrennte Schlafzimmer und Kühlschränke“ vorhanden sind. Die Kontrolleure nicht ins Haus zu lassen, ist dabei nach Thomsens Worten „keine gute Idee“. Der Berater berichtet von einem Fall, bei dem die Leistungen der Bagis wegen „fehlender Mitwirkung“ sofort eingestellt wurden, nachdem der Außendienst dreimal unangemeldet klingelte, aber die gesuchte Person nicht vorfand.

Die Arbeit des Außendienstes wird nun ausgeweitet, kündigte Schneider an. Dies sei schließlich „im Interesse“ der ehrlichen ALG-II-EmpfängerInnen, da man so einem „Generalverdacht“ entgegenwirke. Schließlich müsse man doch „den Sachverhalt aufklären, wenn der Nachbar anruft und den Hinweis gibt, dass der doch jeden Tag zur Arbeit geht“, ergänzt der stellvertretende Bagis-Geschäftsführer Eckhard Lange. Wie viele Mitarbeiter dieser Aufgabe künftig nachgehen, will Schneider jedoch nicht verraten. Er betont aber, dass der Dienst sich auch um Menschen kümmere, „die Hilfe brauchen“. So könne man etwa Schwerkranke und Drogenabhängige „positiv begleiten“.

Die bisherige Vorgehensweise der Bagis scheint eine andere Sprache zu sprechen. „Die werden dann zum Sozialamt abgeschoben“, sagt Thomsen. Er habe „noch nie erlebt“, dass die Bagis von sich aus Hilfe, etwa eine Therapie, angeboten hätte.

Neues kommt auch auf Antragsteller zu, die innerhalb der letzten zwei Jahre weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosengeld II bezogen haben. Auf sie wartet – der Bagis zufolge – ab sofort ein Jobangebot oder eine Qualifizierungsmaßnahme. Schneider spricht dabei von einer „Verstärkung von individuell möglichst passenden und sinnvollen Sofortangeboten“. Ihm zufolge könne das etwa ein Bewerbungstraining sein oder die Feststellung von Sprachkenntnissen bei AusländerInnen. Auf die Frage, wie die Bagis damit umgehe, wenn kein sinnvolles Angebot verfügbar ist, nahm Schneider kein Blatt vor den Mund: „Dann suchen wir uns ein Angebot.“ Demnach müssen sich ALG-II-Neulinge offenbar darauf einstellen, auch zu Maßnahmen herangezogen zu werden, die über den Wert einer Beschäftigungstherapie nicht hinausgehen. Thomsen kritisiert dies vehement. „Das ist das Prinzip: Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen.“