Zum Mörder gemacht

Ein Gefängnisausbrecher soll einen Geldboten erschossen haben. Obwohl vieles gegen seine Täterschaft spricht, steuert das Gericht auf die Verurteilung des Mannes zu

von KAI VON APPEN

Darüber sind sich die Beteiligten von Anfang an im Klaren gewesen: Dass es schwierig werden würde, Licht zu bringen in das Dunkel dieses beinahe 18 Jahre zurück liegenden Raubmordes in Lübeck. Auf ein Jahr Dauer wurde daher im Januar das Verfahren gegen den bekannten Gefängnisausbrecher Johannes Mohns, in Schleswig-Holstein inzwischen zu einer Art Staatsfeind avanciert, angesetzt. Zum zweiten Mal bereits wird dem 53-Jährigen die Tat zur Last gelegt, doch der Prozess vor dem Lübecker Landgericht droht in ein Unrechtsurteil zu münden – wegen der Umstände und seiner Geschichte.

Denn die Lübecker Richter haben keine Hehl daraus gemacht, Mohns trotz polizeilicher Manipulationen (taz berichtete), dem plötzlichen Tod des Kronzeugen und der Wandlung der Anklagebehörde verurteilen zu wollen – obwohl es keine objektiven Beweise gibt. „Eigentlich können sie ihn nicht verurteilen“, meint zumindest der Strafverteidiger Johannes Santen, der zusammen mit dem ebenfalls Hamburger Standeskollegen Uwe Maeffert Mohns vertritt – „aber nach unserem Eindruck“, sagt Santen, „sind die Berufsrichter fest entschlossen.“

Rückblende: Der Überfall

Darum geht es bei dem Verfahren: Im Vorweihnachtsrummel des 19. Dezember 1988 überfielen in den frühen Abendstunden zwei nicht maskierte, aber bewaffnete Männer einen Heros-Geldtransporter vor einem „Plaza“-Markt im Lübecker Stadtteil Buntekuh. Der 49-jährige Peter Komenda wurde Augenzeuge des Überfalls, stellte sich den beiden entgegen. Durch einen Schuss ins Genick schwer verletzt, starb der wenige Wochen später in einer Hamburger Spezialklinik.

Die damalige Spurenlage gibt nicht viel her: Weder Tatwaffe noch Projektil wurden gefunden. Johannes Mohns befand sich zu dem Zeitpunkt auf der Flucht – nach seiner Verurteilung wegen eines ähnlichen Raubüberfalls im schleswig-holsteinischen Oldenburg und seinem spektakulären Ausbruch aus dem Kieler Gefängnis. Als er schließlich in Mönchengladbach verhaftet worden ist, identifizieren ihn trotz seiner Ähnlichkeit mit einem Phantombild mehrere Tat und Augenzeugen nicht als Täter. Er selbst bestreitet die Beteiligung an den tödlichen Geschehnissen seither stets. Das Verfahren gegen ihn wurde 1989 eingestellt.

Der ominöse Kronzeuge

Im August 2003 meldete sich bei der Polizei nach derzeitiger Aktenlage ein gewisser Günter Rosenthal, der wegen Straftaten zuvor lange im Knast gesessen hatte. Gegen Bezahlung, so soll er angeboten haben, werde er Hinweise auf den Raubüberfall geben. In Knastgesprächen will er vom Hörensagen mitbekommen haben, wer bei der „Plaza-Geschichte“ dabei gewesen sei. Die Lübecker Polizei ließ sich auf den Deal ein. Es kam zu einigen Verhören, deren Protokolle aber mit einem Stempel versehen wurden: „Hintergrundinformation – nicht in die Ermittlungsakte aufnehmen – Vernichtung nach Auswertung“.

Wie sich mittlerweile vor Gericht herausstellte, nannte Rosenthal viele Namen möglicher Täter, nicht aber den von Johannes Mohns. Erst nach und nach legte er sich im Verlauf von honorierten Verhören durch die Polizei auf Mohns als Täter fest.

Eklatante Fehler

Trotzdem schien die Sache für die Ermittler zunächst festgeklopft: Polizei und Staatsanwaltschaft beantragten eine richterliche Vernehmung, um Rosenthals Angaben justiziabel und wasserdicht zu machen. Er wiederholte seine Beschuldigungen. Doch sowohl das Gericht als auch die Staatsanwaltschaft versäumten es, dem Beschuldigten Mohns das ihm zustehenden Recht einzuräumen, dieser Befragung beizuwohnen – oder zumindest einen seiner Anwälte hinzuziehen. Das aber ist nach herrschender Rechtsauffassung unzulässig. Zum Haftbefehl gegen Mohns kam es dennoch: kurz vor seiner Haftentlassung im Herbst vergangenen Jahres.

Tod des Zeugen

Der strafprozessuale Kardinalfehler wäre vielleicht noch reparabel gewesen – wenn der Kronzeuge seine Angaben vor Gericht nochmals wiederholt hätte. Günther Rosenthal jedoch kam vor wenigen Wochen ums Leben – bei einem Fahrradunfall nahe Husum. Zuvor bereits hatte die Staatsanwaltschaft selbst ein Ermittlungsverfahren wegen Aktenunterdrückung gegen die Ermittler der Lübecker Mordkommission eingeleitet: Diese wollte die abgestempelten Protokolle der Rosenthal-Verhöre offensichtlich den Prozessbeteiligten vorenthalten.

Überdies stellte sich heraus, dass die Polizei nicht nur wesentliche Vernehmungsprotokolle unterschlagen hatte, sie hatte sich auch sehr viel Mühe gegeben, den alkoholkranken Rosenthal als Kronzeugen bei der Stange zu halten. So wurde er intensiv betreut und erhielt Geldzahlungen, die laut Anwalt Johannes Santen „durch nichts gedeckt sind“. Obwohl er nach jetzigen Erkenntnissen weder als „V-Mann“ geführt worden ist – also kein für den Polizeiapparat tätiger Mitarbeiter war –, noch im polizeilichen Schutzprogramm für gefährdete Zeuge war, habe Rosenthal „diese Privilegien genossen“, so Santen.

Haftbefehl bleibt bestehen

Die Sitzungsvertreterinnen der Lübecker Staatsanwaltschaft haben mittlerweile der Entwicklung des Komplexes Rechnung getragen. Sie beantragten die Aufhebung des Haftbefehls gegen Mohns. Dem schloss sich die Verteidigung an. Ohne die Aussage des Kronzeugen könne Mohns die Tat nicht angelastet werden. Die Ankläger argumentierten überdies, dass nach dem Tod Rosenthals und den Fehlern bei der richterlichen Vernehmung auch ein „Verwertungsverbot“ der schriftlichen Rosenthal-Aussagen „nahe liegt“. Und andere Beweismittel gebe es nicht.

Die drei Berufsrichter der Kammer lehnten den Antrag jedoch in einem Eilbeschluss ab. Es bestehe weiterhin „hinreichender Tatverdacht“.

Der Prozess wird am 7. August fortgesetzt.