Bloß nicht zu viel können

Christof Kurzmann ist verdammt viel: Holzbläser, Elektroniker, Popper, Labelbetreiber, Kiezfan und Ex-Polithäftling. Trotzdem möchte er Zeichen setzen gegen die Unverhältnismäßigkeit. Ein Porträt

VON ANDREAS HARTMANN

Wer diese zwei neuen Platten kurz hintereinander hört, kann sich nur schwer vorstellen, dass bei beiden wirklich derselbe Christof Kurzmann mitmischt. Auf der einen spielt er zusammen mit dem englischen Saxophonisten John Butcher. Kurzmann hantiert mit der Elektronik und verfremdet das Instrument seines Gegenübers, bis es kaum noch als Saxofon zu identifizieren ist. Das Ergebnis heißt „The Big Misunderstanding Between Hertz And Megahertz“ (Potlatch) und ist Hardcore-Improv, Musik für Minderheiten. Der Popfan schreit: „Kannst du mal bitte den Krach abstellen?“

Was für ein Kontrast dazu ist „Slow Days“ (Morr/Indigo), die neue Platte von The Year Of, einem anderen Projekt von Kurzmann, einer richtigen Popband. Vom ersten Moment an: Wohlklang, fließende Melodien, und Kurzmann singt, als hätte er das Singen erfunden.

Willkommen in der wundersamen, nur schwer zu durchschauenden Welt des Christof Kurzmann: Hier koexistieren Pop und Improv, und die Zusammenarbeit mit Musikern der New Yorker freien Downtownszene und mit österreichischen Technoproduzenten stellt keinen Widerspruch dar. „Engstirnigkeit aufbrechen“, sagt Kurzmann, das ist sein Ziel.

Seit gut fünf Jahren lebt er als österreichischer Exilant in Berlin. Selbst Wien wurde ihm als Freigeist irgendwann zu miefig, er brauche Luft zum Atmen. In Prenzlauer Berg fühlt er sich wohl, da ist er ganz der Kiez-Typ: Im Café „Lass uns Freunde bleiben“ kennt man ihn als „den Christof“ und bestellen tut er „das Übliche“. Kurzmann wirkt eher gemütlich, was überrascht, schaut man sich seinen Lebenslauf an: Da türmen sich die unterschiedlichsten Projekte. Kurzmann ist nicht nur Musiker, sondern auch Betreiber des Labels Charhizma, das sich für elektronische bis improvisierte Musik zuständig zeigt. Bis vor kurzem betrieb er den Miniclub „Raumschiff Zitrone“ im Lichtblick-Kino auf der Kastanienallee – den hat er jetzt aufgegeben, weil „immer die gleichen Leute gekommen sind“, und nichts hasst er mehr als Szene-Inzest. Außerdem hat er jüngst die Veranstaltungsreihe „Collective Identities“ kuratiert, in deren Rahmen er so unterschiedliche Musiker wie die Anarcho-Punks The Ex aus Holland und den Free-Jazzer Ken Vandermark aus Chicago in die Stadt geholt hat.

Unvergessen auch die Bands The Extendend Versions und The More Extendend Versions, die von 1987 bis Mitte der Neunziger existierten und eng verbunden waren mit Kurzmanns Engagement für Militär- und Zivildienstverweigerung. Er selbst war einer der Ersten in Österreich, der totalverweigerte – weswegen er gleich mehrmals im Gefängnis landete. Als eine Art Popstar, der er damals war, machte er seinen Fall publik und trug viel zur Sensibilisierung Österreichs für den institutionalisierten Zwangsdienst bei.

Ein politisch denkender Mensch ist Kurzmann bis heute geblieben. Weder einem österreichischen noch einem neuen deutschen Patriotismus vermag er etwas Positives abzugewinnen. Das Stück „Alone“ auf der Platte von The Years Of bezeichnet er als Antiglobalisierungssong, ein Lied soll gegen George W. Bush gerichtet sein und in „Mantra“ geht es für ihn um „die dauernden Zweifel, die sich bei politischer Arbeit einstellen“. Seitdem Krieg in Nahost herrscht, hängen in seiner Wohnung Libanon-Fahnen. Damit möchte er ein Zeichen setzen gegen die, so sagt er, „Unverhältnismäßigkeit dieses Krieges“ – er findet, dass der Libanon von Israel für etwas bestraft wird, was allein der Terrorgruppe Hisbollah zuzuschreiben ist.

Zu Christof Kurzmanns politischen Engagement passt auch, dass der englische Musiker Robert Wyatt – bis heute ein bekennender Kommunist – zu seinen ewigen Säulenheiligen gehört. Bereits 1993 haben The More Extendend Versions gemeinsam mit der Hamburger Band Cpt. Kirk und der Platte „Round About Wyatt“ dem englischen Querdenker ein bleibendes Denkmal gesetzt. Inzwischen steht Kurzmann mit Wyatt in losem, aber regelmäßigem Kontakt. Nicht ohne Stolz berichtet er, dass Wyatt aus der 93er-Hommage Parts für seine eigene vorletzte Platte gesampelt habe.

Man kann Robert Wyatt, und da schließt sich ein Kreis, sogar aus Kurzmanns Singstimme heraushören: Dieses ungemein Sanfte und Beruhigende, das hat er sich eindeutig bei dem Engländer abgeschaut. Auch wenn er sich seit gut zehn Jahren eigentlich viel mehr für Elektronik interessiert, übernimmt bei The Year Of die Holzblasinstrumente. Saxofon zumindest spielt er so, dass es „für meine Zwecke reicht“. Zu profimäßig will er aus Prinzip kein Instrument beherrschen: Vehement spricht er sich für einen gepflegten Dilettantismus aus – für ihn die wichtigste Könnerschaft überhaupt. Auch wenn er genau weiß, dass der Saxofonist Michael Brecker ein großartiger Beherrscher seines Arbeitsgeräts ist, sagt er genau deswegen und mit einem genüsslichen Anflug Wiener Schmähs über ihn: „Der ist mir schon immer am Arsch vorbeigegangen.“