Das Geheimnis der schlafenden Braut

Der koreanische Regisseur Kim Ki-Duk inszeniert magische, vor allem aber reichlich schmerzhafte Generationen- und Geschlechterkonflikte. Bei seinem neuen Film „Hwal – der Bogen“ haben nun Riten völlig die Oberhand gewonnen: Das Drama um eine Zwangsheirat ist kaum mehr als Folklore-Kitsch

von CLAUDIA LENSSEN

Wenn es so etwas wie buddhistischen Kitsch gibt, dann ist Kim Ki-Duks „Hwal – der Bogen“ ein Beispiel dafür. Der koreanische Autorenfilmer hat sich in zehn Jahren einen internationalen Ruf als Spezialist für magisch-hermetische Beziehungsdramen erworben. Seine dreizehn Filme, darunter „The Isle“, „Samaria“ und zuletzt „Binjip“, konfrontieren die Zuschauer mit Generationen- und Geschlechterkonflikten, in denen Sexualität nie ohne Schmerzprozeduren erlebt wird.

Aus Interviews ist Kim Ki-Duks Erfahrungshintergrund bekannt. Er ist der christlich erzogene Sohn eines Soldaten des Koreakrieges, dessen Kindheit von brutalen Züchtigungen geprägt war. An seinen Traumata arbeitet er sich in visuell eindrücklichen, mit viel Sinn für die Proportionen der Leere arrangierten Bildern ab. Sprache ist kein Kommunikationsmittel in Kim Ki-Duks Universum, Disput bleibt ausgeschlossen. Seine Filme gelten als magisch, indem sie zwischen der gnadenlosen Wiederholung klischierter Rollenverhältnisse und einer Zelebrierung starker stummer Frauengestalten oszillieren. Sie verblüffen mit romantischen Erlösungsideen, mit Gleichnissen von Schuld und Sühne, die Kim Ki-Duks christliche Wurzeln mit seinem Interesse am Buddhismus verschmelzen.

Die Filme polarisieren. Auf westlichen Festivals erfüllt der Regisseur wie andere asiatische Autorenkollegen voyeuristische Erwartungshaltungen zwischen Skandal und Sensation. Die zum Markenzeichen geronnene Wucht verliert sich, wenn seine Filme das naive Märchen herauskehren. Ein synthetisches, in der Dramaturgie und Botschaft leicht entschlüsselbares Märchen ist auch „Hwal – der Bogen“.

Schauplatz ist ein heruntergekommener Kutter vor der Küste, auf dem ein alter Mann (Jeong Sung-Hwan) mit einem schönen 16-jährigen Mädchen (Han Yeo-Reum) zusammenlebt. Die Kamera fliegt über undurchsichtige Fluten auf die künstliche kleine Insel zu und verlässt sie bis zu ihrem symbolischen Untergang am Ende nicht. Eine gefällige Pop-Adaption koreanischer Musik liegt über dieser minimalistischen Welt wie der Musiknebel im Hirn eines iPod-Junkies. Das Mädchen trägt bemerkenswerte Kleid- und Pulloverkreationen aus leuchtend bunter Wolle und Filz, der Alte einen wattierten Anzug im traditionalistischen Militärlook (ein Ausflug in den Film lohnt sich für ModeschülerInnen). Dass die Dreharbeiten auf dem Kahn kein leichter Job waren, sieht man an den blauen Flecken auf den Beinen des Mädchens, im Gegensatz dazu sind die Körper der männlichen Darsteller gut gepolstert unter winterlicher Sportausrüstung.

Der namenlose Alte und das Mädchen empfangen Wochenendfischer. Auf ausrangierten Polstermöbeln lassen sie sich an Bord nieder und warten stoisch auf einen Fang. Die jungfräuliche Schöne beobachtet alles, lächelt in vielen Großaufnahmen und nimmt mit Anmut Kontakt zu den Gästen auf. Immer dann, wenn diese wie üble Grabscher zu attackieren beginnen, zückt der Alte seine traditionelle Waffe, einen Bogen, und straft sie mit gezielten Pfeilschüssen.

In den Ruhepassagen des Films sitzt die Schöne auf einer Schaukel über dem Wasser und lässt die Pfeile ihres Ziehvaters, die er vom Beiboot aus abschießt, neben sich in die Bordwand einschlagen – Filmmusiksoße über romantischer Artistennummer. Ein lächelnder Buddha, als Poster auf die Außenwand des Kahns gepappt, hat schon viele Löcher im Kopf.

Der Alte hat das Mädchen aufgezogen und plant, es an seinem 17. Geburtstag zu heiraten. Von jedem Landgang bringt er kostbare zeremonielle Kleidung für die bevorstehende Vereinigung mit. Aus Blickwechseln, bzw. Flucht- und Annäherungsbewegungen auf dem engen Kahn erschließt sich allmählich das sprachlose Drama: Das Mädchen liebt den Alten väterlich, wehrt sich jedoch gegen dessen besitzergreifende Dominanz, erst recht gegen die Heirat. Als ein jugendlicher Fischer (Seo Si-Jeoh) das Boot betritt, macht ihm das Mädchen deutliche Avancen. Aus kleinen Gesten entwickelt sich eine Romanze, auf die der Alte eifersüchtig rigide reagiert. Es kommt zu der bizarren Zwangsheirat, die wie eine Phantasmagorie dekorativer, im Kern autoritärer Tradition inszeniert ist. Der Alte agiert, seine Braut sinkt wie gelähmt in den Schlaf, der Rivale bleibt in scheinbarer Agonie isoliert auf dem Hauptboot.

Doch Kim Ki-Duk spinnt das Spiel mit der symbolischen Ordnung weiter. Der Alte gibt sich den Tod, ein letzter Pfeil, den er in den Himmel schoss, schlägt zwischen den gespreizten Beinen der schlafenden Braut ein. Erst nach dieser wie ein orgiastisches Opferritual inszenierten Entjungferung kann das junge Paar romantisch vereint dem versinkenden Kahn zuschauen. Die Apotheose kippt in ein Mysterienspiel um stigmatisierenden Inzest und traditionelle Autoritäten. Nicht nur im Dirndlkleid auf dem Bodensee wäre das Folklorekitsch, auch im koreanischen Pazifik verkommt das Spirituelle zur Show.

„Hwal – der Bogen“, Regie: KimKi-Duk. Mit Jeong Sung-Hwan, Han Yeo-Reum, Seo Ji-Seok, u. a., Korea,90 Min.