Teheran hat schon jetzt gesiegt

Die Politik Israels und des Westens im Libanon hilft den Radikalislamisten, die im Iran an der Regierung sind: Sie stabilisiert Ahmadinedschads Macht

Von der früheren Abhängigkeit hat sich die Hisbollah, trotz einer Finanzhilfe von 50 Millionen Dollar pro Jahr aus Teheran, längst gelöst

VON BAHMAN NIRUMAND

Für Washington und Tel Aviv stand vom ersten Tag an fest, dass Teheran neben Damaskus im Hintergrund als Drahtzieher des Libanonkrieges wirkt. US-Präsident George W. Bush behauptete, der Iran sei das größte Hindernis für die Lösung des Nahostkonflikts. Hatte Bush nicht mehrmals erklärt, die militärische Option gegen den Iran sei nicht vom Tisch? Wurde nicht auch angedeutet, dann könnte ein solcher Krieg auch auf Syrien ausgeweitet werden? Und hatte Israel nicht stets betont: Sollte keine diplomatische Lösung für den iranischen Atomkonflikt gefunden werden, werde es die Angelegenheit auf eigene Faust regeln?

Auch Teheran provozierte: Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad warnte Israel vor einem Angriff auf Syrien. Dies werde als Angriff auf die gesamte islamische Welt verstanden – und eine „fürchterliche Antwort“ zur Folge haben. Parlamentspräsident Haddad Adel bezeichnete die derzeitige Krise als Krieg gegen Israel zur Befreiung des palästinensischen Volkes. Die iranische Hisbollah erklärte, sie sei jederzeit zu Angriffen auf israelische und US-Ziele in aller Welt bereit. Zweitausend Freiwillige stünden als Milizen bereit, sagte deren Sprecher Mostafa Bigdeli. „Wir warten nur auf das grüne Licht des Revolutionsführers, um zu handeln. Wenn die USA den Dritten Weltkrieg entfachen wollen, heißen wir das willkommen.“

Welche Rolle spielt Iran im derzeitigen Konflikt? Was sind, abseits der beiderseitigen psychologischen Kriegsführung, die Fakten? Es besteht kein Zweifel darüber, dass die libanesische Hisbollah 1982 mit iranischer Hilfe gegründet wurde. Einer der Führer der iranischen Revolutionsgarden, Mostafa Chamran, verdankt seinen Ruhm dem Aufbau der Hisbollah-Milizen in Libanon. Ihm standen einige hundert iranische Revolutionswächter zur Seite. Zudem wurden drei bis vier tausend Hisbollah Kämpfer im Iran ausgebildet. Auch Waffen und finanzielle Hilfe kamen aus dem Iran. Experten zufolge hat Iran den libanesischen Milizen bisher 11.500 Raketen und Flugkörper zur Verfügung gestellt – meist Katjuschas (maximale Reichweite 25 Kilometer). Möglicherweise befinden sich unter den Raketen auch die im Iran entwickelten Fadschr-Raketen (Reichweite 45 bis 75 Kilometer).

Doch aus dieser Unterstützung kann nicht geschlossen werden, dass die Hisbollah Iran als Oberbefehlshaber akzeptiert und ohne Zustimmung aus Teheran keinen Schritt unternimmt. Von dieser ursprünglichen Abhängigkeit hat sich die Hisbollah trotz einer jährlichen Finanzhilfe von 50 Millionen Dollar längst gelöst. Somit brauchte die Geiselnahme israelischer Soldaten nicht unbedingt grünes Licht aus Teheran. Möglich ist es aber schon. Dann könnte man über die Motive Teherans spekulieren.

Anzunehmen wäre, dass Teheran im Vorfeld des Petersburger G-8-Gipfels – ein Hauptthema: Irans Atomprogramm – ein Ablenkungsmanöver einleiten wollte. Tatsächlich wurde der Gipfel von der Libanonkrise überschattet. Aber schnell rückten neue Vorwürfe gegen den Iran in den Mittelpunkt. Eine bereits entworfene Resolution, die ihm Sanktionen androht, soll der UN-Sicherheitsrat in den nächsten Tagen verabschieden.

Möglich ist aber auch, dass Iran sich inzwischen stark genug fühlt, um eine Herausforderung des Westens zu riskieren. Tatsächlich ist seine Macht in den vergangenen Jahren erheblich gewachsen. So sehr die Kriege gegen Afghanistan und den Irak der USA und dem Westen insgesamt geschadet haben – so sehr haben sie den Radikalislamisten in Teheran genutzt. Die beiden Kriege haben Irans größte Feinde im westlichen und östlichen Nachbarland, Saddam Hussein und die Taliban, gestürzt. Damit wurden in beiden Ländern die Tore zu größerer Einflussnahme Irans weit geöffnet. In Afghanistan hat Iran inzwischen fest Fuß gefasst. Im Irak liegt das Schicksal des Landes durch die Machtübernahme der Schiiten nicht zuletzt in iranischer Hand. Zudem haben die katastrophale Lage in Afghanistan und die noch weit schlimmere Entwicklung im Irak sowie die konfrontative Politik der USA und des Westens im Atomkonflikt den Radikalislamisten geholfen, die Macht wieder zu erobern.

Die harten Reaktionen des Westens auf die Attacken Ahmadinedschads haben zudem zur Stabilisierung seines Regimes geführt. In der gesamten islamischen Welt haben sie aus ihm einen Helden gemacht. Heute betrachten nicht nur die Hisbollah, die Hamas, die Schiiten im Irak und in der gesamten Region, sondern auch Abermillionen in anderen islamischen Staaten Iran als ihre einzige Schutzmacht. Die dilettantische Politik der EU und die Feindseligkeiten der Bush-Regierung boten den Herrschern im Iran auch die Gelegenheit, die Vetomächte gegeneinander auszuspielen – und ihre Politik, weg vom Westen, hin zum Osten, erfolgreich durchzuführen.

Aus der Sicht der Fundamentalisten, die sich bereits heute als Herrscher einer regionalen Großmacht fühlen, muten die Drohungen aus dem Westen wie das Gebrüll eines Löwen ohne Zähne an. Sie wissen, dass die Vetomächte keine Einigkeit erzielen werden, zumindest nicht über Sanktionen oder gar militärische Maßnahmen gegen den Iran. Sie wissen, dass die USA nach dem Desaster im Irak es nicht wagen werden, einen neuen Kriegsschauplatz zu öffnen, zumindest nicht ohne die Unterstützung Europas. Sie wissen auch, dass die Europäer, wenn sie dem harten Kurs Washingtons folgen würden, durch den enormen Anstieg der Öl- und Gaspreise, den Verlust lukrativer Märkte sowie Gefährdung ihrer Sicherheit den größten Schaden hätten. Sie, die Radikalislamisten vom Schlage Ahmadinedschads, fürchten aber weder Sanktionen noch einen Krieg – nicht zuletzt, weil er ihnen eine Chance gäbe: Ihre Märtyrerideologie, die in Friedenszeiten zu erlahmen droht, wieder aufleben zu lassen und ihre Basis im Volk zu erweitern.

Israel und der Westen haben offenbar nie verstanden, dass sie mit Gewalt nichts mehr ausrichten können. Im Gegenteil, mit jeder Bombe, die sie auf Palästina oder den Libanon und möglicherweise auf Syrien oder Iran abwerfen, wecken sie noch mehr Hass und Rachegefühle – und erweitern damit die Basis der Radikalislamisten und Terroristen. Israel wird es vielleicht gelingen, die Waffenlager der Hisbollah und Hamas in die Luft zu sprengen und Beirut und andere Städte und Dörfer in Schutt und Asche zu legen. Den geballten Hass von Millionen wird es nicht vernichten können. Dieser Hass und die erweckten Rachegefühle stellen aber eine weitaus größere Gefahr für die Sicherheit Israels dar als die Waffenlager der Hisbollah.