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: Angst vor Liberalisierung

„Die Kuh ist noch nicht vom Eis“, warnt Heiko Glawe vom Berliner DGB. Während in den meisten Medien der Eindruck vermittelt werde, das Thema „EU-Dienstleistungsrichtlinie“ sei vom Tisch, bestehe aus gewerkschaftlicher Sicht weiterhin deutlicher Handlungsbedarf, sagte Glawe. Bereits der Kompromiss, der im Februar im Europäischen Parlament verabschiedet wurde, habe erhebliche Schwächen aufgewiesen. Die nachfolgenden Veränderungen durch die EU-Kommission und den Ministerrat hätten den Beschluss weiter verschlechtert. Das europäische Gesetzgebungsverfahren wird voraussichtlich bis Ende 2006 abgeschlossen.

Mit der so genannten Bolkestein-Richtlinie, die europaweit zu Massenprotesten von Gewerkschaften und Globalisierungskritikern führte, soll der Markt für Dienstleistungen liberalisiert werden. Ursprünglich war vorgesehen, dass Dienstleister sich nur an die Regelungen ihres Herkunftslandes halten müssen, nicht aber an die des Landes, in dem sie ihre Dienstleistungen erbringen. Konkret hätte das geheißen: Eine Firma lässt sich in Slowenien nieder, bietet ihre Dienstleistung in Deutschland an, und das unter slowenischen Arbeitsbedingungen, die nicht gerade zu den sozialsten gehören. Die Aushöhlung von Tarif-, Umwelt- und Sozialstandards wäre so eine logische Folge gewesen – und sie hätte die Tendenz zur prekären Beschäftigung in ganz Europa weiter verschärft.

Auch die IG Metall warnt davor, nach den europaweiten Protesten zur Tagesordnung überzugehen. Der mit heißer Nadel gestrickte Kompromiss zwischen Konservativen und Sozialdemokraten habe zwar die Bolkestein-Richtlinie entschärft. Dennoch beinhalte der Kompromiss „noch immer Rückschritte hinter geltendes EU-Recht“. Durch vage Kompromissformulierungen werde keine Rechtssicherheit geschaffen, sondern Raum für Rechtssetzung durch den liberalisierungsfreundlichen Europäischen Gerichtshof. So werde eben nicht der in Artikel 50 des EG-Vertrages vorgesehene Grundsatz gesichert, dass für die gleiche Arbeit am gleichen Ort zumindest die gleichen Mindeststandards bei Löhnen und Arbeitsbedingungen gelten. Stattdessen befürchtet die Metallgewerkschaft, dass ihr Einfluss noch weiter schwindet.

Das EU-Parlament steht nun in der Verantwortung, fordert die IG Metall. So müsse Leiharbeit komplett von der neuen Regelung ausgenommen werden. Außerdem sollen bei Arbeitnehmerentsendung die Lohn- und Sozialstandards des Gastlandes gelten. Scheinselbstständigkeit müsse von den EU-Mitgliedstaaten bekämpft werden, die öffentliche Daseinsvorsorge dürfe nicht durch Privatisierungszwänge torpediert werden.

Letzteres lässt sich etwa auf dem Wohnungsmarkt beobachten. Den Kommunen fehlt unter anderem Geld, weil ihre Finanzgrundlage durch Steuergeschenke an Unternehmen und Besserverdienende wegbricht. In ihrer Not helfen sie sich, indem sie städtische Wohnungen verkaufen – die damit dem öffentlichen Zugriff entzogen sind.

Dass sich alle Dumping-Probleme auf den europäischen Arbeitsmärkten nicht so einfach lösen lassen, zeigt das Beispiel der Entsenderegelung auf dem Bau in Deutschland. Offiziell müssen alle Anbieter die hiesigen Löhne zahlen und andere Sozialstandards einhalten. Gängige Praxis, dies zu umgehen: Die Arbeiter schuften zwölf Stunden am Tag, kriegen ihren Lohn aber nur für acht Stunden bezahlt. Oder ihnen werden völlig überzogene Summen für Verpflegung und Unterkunft abgezogen. RICHARD ROTHER