Die Posen, die Waffen

CODES EINER SUBKULTUR Was es bedeutet, Roma zu sein: Die Ausstellung „Roma Welt“ im Collegium Hungaricum verzichtet auf ein kohärentes Bild zugunsten unterschiedlicher Blickwinkel – wie schon László Moholy-Nagy 1932

In der Ausstellung wird man immer wieder mit seiner eigenen Herangehensweise an filmische und fotografische Bilder konfrontiert

VON ANDREAS RESCH

In seinem Film „Großstadtzigeuner“ aus dem Jahr 1932 porträtiert der ungarische Künstler, Medientheoretiker und Filmemacher László Moholy-Nagy die Mitglieder einer Roma-Gemeinschaft in Berlin. Er zeigt Männer beim Kartenspiel, Mädchen, die einander die Haare kämmen, streitende Frauen, ekstatische Musiker, ausgelassen tanzende Zuhörer. Immer näher lässt der Filmemacher seine Kamera an diese Menschen herangleiten, mehr und mehr bleibt sie dabei an Details hängen: an Händen, Füßen oder Gesichtern. Sie greift den Rhythmus der Bewegungen auf, wird so zum Teil des Geschehens.

Aus den seltsamsten Blickwinkeln hat Moholy-Nagy seine Protagonisten gefilmt, oft von unten oder von schräg oben. Mal bewegen sie sich aus der Unschärfe in die Schärfe, mal aus dem Licht in den Schatten und umgekehrt. Moholy-Nagy war auf der Suche nach einer im Filmbild liegenden Wahrheit und unabhängig davon, ob er sie nun tatsächlich gefunden hat oder nicht, handelt es sich bei „Grossstadtzigeuner“ um den geglückten Versuch, das Leben als solches einzufangen, ohne dass sich das Gesehene zwangsläufig in ein Sinnextrakt überführen ließe. Denn weder ist der Film Anklage der Lebensbedingungen seiner Protagonisten, noch verklärt er deren Nomadenexistenz in allzu romantisierender Art und Weise.

Robi Csorba wird beerdigt

Gezeigt wird Moholy-Nagys Film im Rahmen der Ausstellung „Roma Welt“, die bis September im Collegium Hungaricum zu sehen ist und in der es aus je unterschiedlichen Perspektiven um das Selbst- und Fremdverständnis dessen geht, was es bedeutet, Roma zu sein. Dabei sind manche der gezeigten Werke - zum Beispiel die ornamentalen, mit religiöser Symbolik aufgeladenen Bilder der Künstlerin Katarzyna Pollok – eher apolitisch, während sich andere dezidiert gesellschaftskritisch geben.

Etwa jene schwarz-weißen Panorama-Fotografien von Tamás Zádor im Erdgeschoss, die eine Trauergesellschaft auf der Beerdigung des Roma Robi Csorba und seines Sohnes Robika zeigen, die Anfang 2009 im ungarischen Tatárszentgyörgy von Tätern mit rassistischen Motiven ermordet wurden. Sicherlich, die Bilder entfalten auch ohne das Wissen um ihren Hintergrund ihre Wirkung. Doch vor allem sind sie eben Aufforderung, sich mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen.

Interessant sind auch die Bilder des slowakischen Fotoclubs Gemer, die das Zusammenleben von Roma, Slowaken und Ungarn in der slowakischen Region Gemer-Malohont dokumentieren. Hierbei handelt es sich um reine Amateurarbeiten, in Auftrag gegeben von der Kuratorin der „Roma Welt“-Ausstellung Vera Baksa-Soós. Man sieht zerfallene Ruinen, karge Landschaften sowie Porträtaufnahmen von zumeist zerfurchten Gesichtern, die offen in die Kamera blicken. So entsteht der Eindruck einer Region, eingefangen von den Menschen, die selbst in ihr leben.

Alles in allem funktioniert die Ausstellung trotz einer mitunter ein wenig unscharfen Fokussierung, weil es ihr gelingt, die unterschiedlichen Perspektiven in der Gestaltung der einzelnen Räume zusammenzuführen, ohne dass das Ganze in wilden Eklektizismus ausarten würde. Dadurch nämlich, dass man gezwungen ist, seine Haltung gegenüber dem Gesehenen ständig zu hinterfragen, da die Grenzen zwischen künstlerischem und nicht-künstlerischem Anspruch, zwischen dokumentarischem Blick und individuellem Ausdruck ständig verschwimmen, wird man immer wieder mit seiner eigenen Herangehensweise an filmische und fotografische Bilder konfrontiert. Ohne behaupten zu wollen, dass dies in vollem Umfang auch so intendiert gewesen ist, ein interessanter Effekt.

Dass die Codes innerhalb einer Subkultur weitgehend konstant sind, unabhängig davon, wo deren Anhänger sozialisiert worden sind, belegt eine Installation des Medienkünstlers Dávid Szauder, der mehrere Hip-Hop-Videos von Budapester Rappern kompiliert und durch dokumentarische Filmaufnahmen ergänzt hat. Es ist schon lustig: die Posen, die Waffen, die schnellen Autos, all das kennt man schon aus unzähligen amerikanischen Videoclips, weshalb sich der Erkenntniswert der Installation auch weitgehend auf die Tatsache beschränkt, dass sich die ungarische Sprache extrem gut für schnellen, stakkatohaften Rap zu eignen scheint.

■ „Roma Welt“, Collegium Hungaricum, Dorotheenstraße 12, täglich von 10 bis 19 Uhr, Infos: www.hungaricum.de