„Aufs Fliegen verzichten“

Vortrag Eine Umweltwissenschaftlerin klärt ethische Fragen zum Klimawandel

■ 27, Doktorandin der Umweltphysik an der Universität Bremen, studierte Philosophie und Physik.

taz: Frau Müller, welche ethischen Fragen in Zeiten des Klimawandels meinen Sie?

Denise Müller: Ganz allgemein formuliert geht es darum, was man gegen den Klimawandel tun sollte und wer etwas tun sollte. Das ist aber nicht einfach zu beantworten.

Warum nicht?

Das Wort „soll“ deutet an, dass es um etwas Normatives geht. Wenn man das Thema zum Beispiel unter einer Ethik der Gerechtigkeit diskutiert, stellt sich die Frage, was ist gerecht. Darf jeder gleich viel CO2 emittieren oder so viel, wie er zum Überleben braucht?

Überleben ist relativ.

Ja. Soll man sagen, eine Tonne CO2 im Jahr reicht für jeden? Muss man dann nicht berücksichtigen, dass jemand, der in einer kalten Region lebt, mehr heizen muss? Und wo beginnen Luxus-Emissionen? Ist unser Lebensstandard Luxus, auf den wir verzichten sollten?

Ist es gerecht, dass Menschen in verwundbareren Regionen leiden, weil wir so viel emittieren?

Das ist die Denkrichtung, nach der der Verursacher zahlen soll. Wir emittieren aber schon seit 150 Jahren: Wer kommt für die Verschmutzung derjenigen auf, die schon verstorben sind?

Ist es gerecht, den Schwellen- und Entwicklungsländern jetzt zu verbieten, diese Phase der Industrialisierung nachzuholen?

Da halte ich es mit dem Philosophen Paul Harris, der gesagt hat, die Trennlinie zwischen Verursachern und Opfern des Klimawandels sei nicht zwischen Staaten zu ziehen, sondern zwischen Arm und Reich. Daraus leite ich ab, dass jemand, der es sich leisten kann, auch die Pflicht hat, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Und sei es auch nur, auf das Fliegen zu verzichten.

Das lehnen manche mit dem Argument ab, ihr persönliches Verhalten mache nur einen Bruchteil dessen aus, was die Industrie verursacht.

Das ist eine konsequentialistische Herangehensweise. Viele schauen nur darauf, ob die Folge einer Handlung gut oder schlecht ist. Oder ökonomisch: Lohnt sich das? Man kann aber auch anders argumentieren und sagen, eine Handlung ist gut, wenn ich nach einer Regel handle, die für alle gelten könnte. Und wenn man die jetzige Situation als ungerecht empfindet, ist es richtig, selbst dagegen etwas zu tun.  INTERVIEW: EIB

Samstag: 11 Uhr, Haus der Wissenschaft, Sandstraße 4