„Das war ein Test der Russen“

GEORGIEN Der niederländische Journalist Jeroen Akkermanns wurde durch Streumunition verletzt, sein Kameramann starb bei dem Anschlag

■ ist Deutschland- und Osteuropakorrespondent des niederländischen TV-Senders RTL4. Ab 1991 arbeitete der heute 47-Jährige mehrere Jahre in Moskau. Sein Dokumentarfilm über den Anschlag in Gori wurde auf RTL4 ausgestrahlt

taz: Herr Akkermans, können Sie kurz beschreiben, was am 12. August 2008 in der georgischen Stadt Gori passiert ist?

Jeroen Akkermans: Als wir in Gori ankamen, war die Stadt fast menschenleer. Nirgendwo haben wir einen Polizisten oder Soldaten gesehen, nur einige alte Menschen. Als wir den zentralen Platz erreichten, hatte es dort zwei Stunden zuvor einen Autounfall gegeben. Ein israelischer Kollege und mein Kameramann Stan Storimans standen sechs Meter von mir entfernt und sind zu der Gruppe gelaufen, die die Autos abschleppen lassen wollte. Plötzlich krachte es. Ich bin hinter ein Auto gesprungen, dann wurde geschossen. Erst dachte ich, das seien Scharfschützen. Ich konnte sehen, dass zwei Personen sehr schwer verletzt waren. Ich kroch unter das Auto. Kurz darauf habe ich erfahren, dass Stan und dem israelischen Kollegen etwas zugestoßen war. (Er holt eine kleine Dose mit Teilen von Streumunition hervor.) So sehen die aus. Man muss sich das wie einen Kugelregen vorstellen. Aber die kommen nicht nur von oben, sondern von überall.

Sie haben dann versucht, Ihren Kollegen abzutransportieren.

Wir wollten den Platz sofort verlassen und haben versucht, mit Stan in das Auto zu kommen, das aber nicht ansprang. Plötzlich kamen zwei Krankenwagen. Da habe ich gemerkt, dass der israelische Kollege noch am Leben war. Ich dachte, dass auch Stan noch lebt. Eine Krankenschwester sagte, er sei tot, aber ich wollte das nicht wahrhaben. Dann sind die beiden weggebracht worden. Kurz darauf habe ich gehört, dass Stan in ein Militärkrankenhaus in Gori gebracht worden ist, in die Leichenhalle. Erst da habe ich verstanden, dass er tot war.

Auch Sie sind verletzt worden.

Dass ich hier sitze, ist ein kleines Wunder. Ich wurde am Bein und an der Hüfte getroffen. Ein paar Splitter sitzen immer noch in meinem Oberschenkel. Eine Operation wäre jedoch zu kompliziert, man müsste alles aufschneiden. Normalerweise merke ich davon nichts, nur wenn es kalt wird, spüre ich die Splitter.

Sie haben über dieses Ereignis einen Dokumentarfilm gedreht. Welcher Frage gehen Sie nach?

Nach dem Angriff hat die niederländische Regierung eine offizielle Untersuchung veranlasst. Sie haben jedoch nur die Umstände untersucht, die zu Stans Tod geführt haben und sind nicht der Frage nachgegangen, warum das passiert ist. Ich habe beides gemacht. Ich wollte beweisen, wer das getan hat und warum.

Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Das waren die Russen, denn nur sie verfügen über eine SS-26-Rakete. Dieser Angriff war ein Test. Eine Rakete, die in einem Krieg eingesetzt worden ist, ist mehr wert und zeigt dem Feind, wozu man in der Lage ist.

Sie haben vor dem Internationalen Gerichtshof in Straßburg geklagt. Was erwarten Sie von dieser Klage?

Nachdem die niederländische Regierung zu dem Ergebnis kam, dass es die Russen gewesen sein müssen, wurde auf diplomatischer Ebene versucht, Moskau zu einer Reaktion zu bewegen. Doch bis heute sagt die russische Regierung: Es stimmt nicht, wir werden unsere eigene Untersuchung veröffentlichen. Bis jetzt ist das nicht passiert. Wenn man Recht bekommen will, gibt es nur den Gang nach Straßburg. Experten räumen uns gute Chancen ein, weil wir auch Videobeweise haben.

Sie arbeiten schon lange in Krisengebieten. In Georgien wurden Sie zum ersten Mal verletzt. Was hat diese Erfahrung mit Ihnen gemacht?

Die ersten vier Monate war es total dunkel. Ich habe stark daran gezweifelt, ob ich überhaupt wieder in den Journalismus zurückkehren würde. Das war vor allem eine Frage des Selbstvertrauens, wieder auf Menschen zugehen zu können. Nach diesen vier Monaten bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich mental nicht kaputt gemacht worden bin. Der Journalismus hat mich in diese Lage gebracht, aber der Journalismus holt mich da auch wieder heraus. Der Dokumentarfilm war so eine Art Therapie für mich. Man fühlt sich weniger machtlos, wenn man tatsächlich noch etwas tun kann.

Hat sich an Ihrer Einstellung gegenüber Russland etwas geändert?

Ich habe lange in Russland gelebt und gearbeitet. Und ich habe auch in Tschetschenien gesehen, wozu die Russen fähig sind. Ich denke, es ist wichtig, dass es Journalisten gibt, die öffentlich machen, was dort passiert. Denn wenn die Fenster geschlossen werden, wird es für die Menschen noch schlimmer.

INTERVIEW BARBARA OERTEL