Nicht irgendwer und niemals in der Einzahl

Das Magazin „Kultur & Gespenster“ feierte seine Geburt ganz ohne Literaturhausstimmung und mit viel ansteckendem Hubert Fichte

Zwanzig Jahre, nachdem Hubert Fichte 1986 im Alter von fünfzig Jahren gestorben ist, scheint es eine Art Fichte-Renaissance zu geben. Hubert Fichte, der sich traute, sich selbst zum Ausgangspunkt, Material und Versuchsobjekt seines Schreibens zu machen – wie heute vielleicht nur noch Rainald Goetz –, wird dabei aber zum Glück nicht kanonisiert. Das zeigte zumindest die Verbrecher-Versammlung am Dienstag im Festsaal Kreuzberg.

Anlass der Veranstaltung war das neue Magazin Kultur & Gespenster, das sich vierteljährlich um literarische, kulturelle, theoretische und politische Themen kümmern will. Die erste Ausgabe nun hat Hubert Fichte als Schwerpunkt. Kultur & Gespenster sieht aus wie die gelungene Tochter der nicht mehr existierenden Halbjahresschrift für Politik und Verbrechen Die Beute und Texte zur Kunst.

Man freute sich auf den Abend. Die Texte, die man vorab aus der Zeitschrift zu lesen bekam, machten gute Laune. Und außerdem war im Frühjahr mit „Die zweite Schuld“ der letzte Teil von Fichtes ursprünglich auf 19 Bände angelegter „Geschichte der Empfindlichkeit“ erschienen. Damit war ein Zyklus zum Abschluss gekommen, in dem Fichte seine verschiedensten Formen sprachlicher Weltverarbeitung zu einem gültigen Ausdruck bringen wollte: In den jetzt vorliegenden 17 Bänden entsprechen die Textformen der Diversität der Welt. Sie reichen vom fast schon leicht zu nennenden Roman „Eine glückliche Liebe“ über Interviews, Polemiken, fundierte Kritik, wissenschaftlich-ethnologische Praktiken bis hin zu Hörspielen und Glossen.

Der immer noch für Hochzeiten benutzte Raum des Kreuzberger Festsaals war für die nervöse Offenheit von Fichtes Texten insofern angemessen, weil er das Aufkommen der fiesen andächtigen Literaturhausstimmung gar nicht erst zuließ. Ohne Andacht wurde der Abend denn auch eingeleitet. Die Schriftstellerin Kathrin Röggla begann mit Leopold von Verschuer im ungleichen Duett, einen „anmaßungskatalog für herrn fichte“ zu lesen. Eine szenische Textcollage, die Fichte aber gar nicht zu nahe trat. „Who the fuck is Hubert Fichte?“, hörte man fragen. „jedenfalls nicht irgendwer. und niemals in der einzahl“, lautete die Antwort. Ja klar, dachte man, sowieso, und bekam noch bessere Laune. „jäcki haßte die masche der spiegelinterviews“, hieß es. Man fügte hinzu: Noch schrecklicher ist nur Mathias Matussek bei Herman & Tietjen.

Es gelang Röggla und von Verschuer, alle Straßenecken und Kreuzungen von Fichtes Spaziergängen einfach nur so ein bisschen anzuschlagen. Und als sie vom „fensterputzerkarl mit seinem notizbuch und seinem literaturhunger“ lasen, flüsterte mir einer, der es wissen muss, ins Ohr: In der taz ist auch der Fensterputzer der Klügste. Das hätte Fichte gefallen. Über Proust, einen seiner Lieblingsautoren, hat Fichte einmal gesagt, er würde immer sofort wieder vergessen, was er gelesen habe, hätte aber immer den richtigen Geruch im Sinn.

Diesen Geruch muss auch Bernd Cailloux im Sinn gehabt haben. Er verband in seiner Lesung nach Röggla und von Verschuer eine Stelle aus Fichtes Roman „Detlevs Imitationen Grünspan“ mit einer Passage aus seinem eigenen letzten Buch „Das Geschäftsjahr 1968/69“. Zwischendurch erzählte er.

Cailloux kannte Fichte aus einem Komitee des „Grünspan“, einem heute noch existierenden Szeneladen der 68er in Hamburg. Fichte war vom Outfit her immer zwei Jahre vor den anderen, erzählte Cailloux. Die plauschigen Fellmäntel, die man von Rainer-Langhans-Fotos kennt, habe Fichte schon 1966 getragen. Als die dann bei den 68ern ankamen, trug Fichte schon feine Anzüge, war immer auf richtige Länge rasiert und überhaupt ein Ausbund an Distinktion. Etwas Gammlerhaftes habe er nicht ausgestrahlt. Dafür sprach er immer sehr leise und zwang seine Zuhörer so in die Aufmerksamkeit. Das muss genervt haben.

Dass man es mit Kunst zu tun hat, merkt man daran, dass es ungemütlich wird – so steht es über einem Interview in Kultur & Gespenster. In Cailloux’ Vortrag hallte etwas von der Ungemütlichkeit Fichtes nach. Sie dürfte auch den Leuten vom Textem Verlag Motivation gewesen sein, ihn zum Thema eines gelungenen Magazins und noch gelungeneren Abends zu machen. Literarische Wahrheitsproduktion ist nämlich auch in Zeiten einer auseinander driftenden Gesellschaft möglich, man muss sich nur offen halten für die Ansteckungen der Welt. Wie es Fichte tat. CORD RIECHELMANN

„Kultur & Gespenster“, Ausgabe 1, Textem Verlag 2006, 12 Euro, bestellen bei: post@textem.de