ANDREAS FANIZADEH LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Diedrich und die Nietzschelinge

Sie haben noch nie von einem „Nietzscheling“ gehört? Da passen Sie mal auf. Denn es gibt sie noch, die gute alte Textform der kulturellen Selbstvergewisserung, in der ein Autor sich und seine Umgebung bespricht, um solidarische von unsolidarischen Kreativen, den Nietzschelingen, zu unterscheiden.

Diedrich Diederichsen geht in seinem Essay „Menschen der Steigerung, Menschen der Macht: Die Nietzsche-Ökonomie“ (in dem Sammelband: „Kapitalistischer Realismus“, Campus 2010) zunächst Techniken des Networking durch Verabredung nach. Das paarweise Ausgehen, das konzentrierte Abendessen, das verabredete Rumstehen mit und ohne Kulturanlass, im Gegensatz zur eher offenen, rauschhaften, schnellen, auf Multikontakt und Potenzialität bauenden Nacht von Risikoexistenzialisten.

Antagonistisch gedachte Gegensatzpaare können methodisch anregend sein, so sie wie bei Diederichsen nicht absolut gesetzt sind. Der Autor sieht sich denn auch „als Mittler“ der kühlen „Nietzsche-Ökonomie“ von kulturellen Einzelkämpfern und „der Intensitätskultur“ von Hippies, Punks, Technoiden und heutigen „Großstadt-Hedonisten“.

Lyotards „Intensitäten“ und Teipels „Verschwende Deine Jugend“ stehen literarisch für die Pole in den Überlegungen. Diederichsen setzt Alltagsbetrachtungen zum Einzelunternehmer, gewonnen auf dem Zollamt Schöneberg, in Bezug zum Kultur-Freelancer oder dem pragmatischen Effizienz-Nitzscheaner der heutigen Kulturnacht, „Herrenmensch nicht aus Überschreitungsgrandeur, sondern aus nackter Not“.

Wen er meint? Die Prügel beziehen mal wieder die Digital-Bohemianer, die „nicht mehr Teil einer Bewegung“ sind, sondern nur noch für sich wirtschaften. „Nietzschelinge“ eben wie Diederichsen unter Bezug auf Jakob Taubes meint. Klingt lustig, aber auch etwas einfach.

Andreas Fanizadeh leitet das Kulturressort der taz Foto: privat