So fucking special

Nicht mehr auf der dunklen Seite: Thom Yorke, Sänger der auf Strandpartys meistgeklampften Band Radiohead, hat ein schönes Soloalbum gemacht

VON RENÉ HAMANN

Von Thom Yorkes Privatleben weiß man nicht viel. Hört man sich seine neue Platte „The Eraser“ an, übrigens sein Debüt als Solokünstler, könnte man sich Folgendes vorstellen: Irgendwo im englischen Regenwetter, zwischen halb bedrohlichen Bergen und einem eiskalten See, bewohnt er mit Frau und Kind ein Haus mit Flachdach. Besuch kommt selten. In einem der vielen Zimmer, Yorke ist durch Radiohead zum Millionär geworden, also in einem der Zimmer, das vor kurzem noch als Babyzimmer benutzt wurde, hat Yorke alles entfernen lassen, alles rausgeräumt, was eine gemütsfremde Aura haben könnte: Wickeltisch, Kommode, Spiegelchen, Laufstall, alles steht jetzt auf dem Kiesweg vor dem großen Gittertor und wartet auf den Sperrmüll. Reingeschafft hat Yorke nur einen Tisch mit Lampe, ein Laptop, zwei Turntables und vier bis fünf von den großen Kisten mit Schallplatten, die er auf Tour vor allem in Deutschland zusammengekauft hat. Neue deutsche Elektronik hauptsächlich.

Tja, und weil in Ehe und Band nicht immer alles glatt geht, hat Yorke angefangen, an ganz eigenen Tracks zu basteln. Hat an schrammenden Beats, sinistren Soundflächen, schleifenden Bassteilen und vor allem an seiner eigenen gespenstischen Stimme gearbeitet. Er hat die Medikamente ab- und sich hingesetzt und ist darüber auf die Idee gekommen, eine Platte zu machen, die auf Textebene betont einfach bleibt und auf Musikebene sogar so etwas wie eine irrlichternde Eingängigkeit entwickelt. Vielleicht ging es ihm vergleichsweise gut, vielleicht hat er sich gedacht, Frau oder Freundin nur über die Musik etwas mitteilen zu können, was einmal nicht hintersinnig verschlüsselt oder wie zuletzt, auf Radioheads „Hail to the Thief“, politisch überhöht oder collagenhaft zusammengezimmert ist. Und so singt er jetzt Einfachheiten wie „It gets you down“ oder „This is fucked up“, Sätze, die nicht weiter erklärt werden müssen, um am Ende ein schlichtes Gefühl wie die Liebe mit dem Satz „We think the same things at the same time“ zusammenzufassen.

Rückblick: Als MTV anfing, das Video von „Creep“ rotieren zu lassen, damals in den frühen 90ern, dachte man noch, bei Radiohead würde es sich um Englands verspätete Antwort auf Grunge handeln, die schnell wieder in der Versenkung verschwinden würde. Dabei war „Creep“ nichts weniger als das „The Air that I Breathe“ unserer Generation. Ein Song, der die allgemeine postpubertäre Konfusion im Kampf der Geschlechter so sehr auf den verschwindenden Punkt brachte, dass „Creep“ noch ein Jahrzehnt später zu den meistgeklampften Stücken in Parks, an Stränden und sonstigen belagerfeuerten Orten gehört. „Du bist so fucking besonders, aber ich bin nur ein Lump“, wer diesen Satz nicht einmal nachempfunden hat, der hat nicht geliebt in den 90ern.

Dass sich die Mannen um Yorke anschickten, die Beatles ihres Jahrzehnts zu werden, war dementsprechend keine echte Überraschung. Sie entdeckten die refrainlose Ballade, schrieben mit „Karma Police“ einen weiteren Überhit und legten mit „OK Computer“ ein Album hin, das Scharen von mediokren Pathetikern in arge Verzückung versetzte. Radiohead waren fortan nicht nur die Speerspitze des neuen englischen Depripops (und damit der Gegenpol zu Krachmachern und Mädchenbands wie Oasis und Blur), sondern lösten auch eine Welle von Nachahmern aus: Irgendwie waren sie schnell an allem schuld. Coldplay, Muse, Keane, Travis, Starsailor – um nur die Offensichtlichsten zu nennen – wären ohne Radiohead nicht denkbar. Glücklicherweise besannen sich die Gepriesenen schnell auf den eigenen Avantgarde-Auftrag und zogen sich zurück, um sich ausgiebig mit Elektronik zu befassen. Alsdann erschienen Wunderwerke wie „Amnesiac“ und „Kid A“, die Verschmelzung aus Gitarre und Elektronik hatte ihren Höhepunkt erreicht, die lichtscheue Ballade, der hypnotische Rocksong, das zitternd somnambule Elektrostück hatten es ins neue Jahrtausend geschafft.

Genau hier schließt sich „The Eraser“ an. Es beginnt mit einem verrauschten E-Piano. Es hat Pluckerbeats, allerdings so gut wie keine Gitarre. Manchmal klingt es, als ob Yorke bei einer Skizze bleiben wollte, bis ein rundes Schleifenwerk an Rhythmus entstand und den Hörer in Bann zieht. Yorkes Stimme probiert sich dabei zwischen bekannter Gebrochenheit, geahnten Höhenflügen und einer immer wieder neu zu entdeckenden Weltraumkälte aus, dass einem das Schaudern kommt („Skip Divided“). Ein Mann, der seine Schreibtischlampe längst zu den anderen unnützen Dingen gestellt hat und sich irgendwann nur noch aufs blaue Mondlicht aus dem Bildschirm verlässt. Ein Millionär, dem man sofort jede Depression abkauft wie weiland nur Martin Gore. Und dem man jede Leichtigkeit, jeden Gute-Laune-Anfall, wie sie sich in fröhlichen Basstupfern wie in „Atoms for Peace“ („No more going to the dark side“, singt er denn auch) andeutet, von Herzen gönnt. Und einer, der mit dieser Platte zu sich findet. Wenn man so will.

Und was ist mit seiner Band, muss man von Auflösungserscheinungen sprechen? Offiziell heißt es, dass sich Radiohead demnächst auf Welttournee begeben und danach ein neues Album aufnehmen. Aber so hieß es schon des öfteren (das letzte Album ist von 2003). Vielleicht muss eine Stadionrockisierung der klammheimlichen, spukhaften, verstörend schönen Musik von Thom Yorke hiernach auch gar nicht mehr sein.

Thom Yorke: „The Eraser“ (XL Recordings/Beggars Group)