Verlierer und Gewinner

So sieht der großkoalitionäre Durchbruchbei der Gesundheitsreform aus: Die Beiträge werden ab dem kommenden Jahr erhöht

„Der Fonds ist absolut unsinnig und schafft nichts als neue Bürokratie“

VON ANNA LEHMANN

Sie hatten die Nacht durchgearbeitet – Angela Merkel, Kurt Beck, Edmund Stoiber und die anderen Mitglieder des Koalitionsausschusses. Gestern Morgen traten die drei Parteivorsitzenden vor die ebenfalls übernächtigten Pressevertreter, die darauf warteten, Einzelheiten darüber zu erfahren, wie die große Koalition das Gesundheitswesen künftig reformieren möchte. Man habe einen wirklichen Durchbruch erreicht, sagte Merkel, und: „Wir werden hier zum 1. 1. 2007 noch einmal die Beiträge erhöhen müssen, etwa in der Größenordnung von 0,5 Prozent.“ Ab 2008, sagte SPD-Generalsekretär Hubertus Heil später am Tage, sollen sie stagnieren.

Angetreten waren die Koalitionspartner mit dem Ziel, die Beiträge und damit die Lohnnebenkosten zu senken. Vor zwei Wochen noch hatten sich die SPD und sogar einige Unionspolitiker dafür ausgesprochen, zu diesem Zweck die Abgaben zu erhöhen und zwischen 23 und 45 Milliarden Steuermittel ins Gesundheitssystem zu pumpen. Übrig geblieben von dieser Summe, die bis zu einem ein Viertel des jährlichen Budgets der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgemacht hätte, sind 1,5 Milliarden. Die sollen ab 2008 für die Versicherung der Kinder von Kassenpatienten eingesetzt werden, im folgenden Jahr sollen weitere 3 Milliarden hinzukommen. Und dann sind Wahlen. Allein die Versicherung der Kinder würde aber 14 bis 16 Milliarden kosten.

Den von den SPD-Linken gewünschten Wechsel hin zu einem steuerfinanzierten Gesundheitssystem wird es also erst einmal nicht geben. Auch wenn der Vorsitzende der SPD, Kurt Beck, das Verhandlungsergebnis gar als Paradigmenwechsel etikettierte. Beck strich später die tapfer geführten Abwehrschlachten der SPD-Seite heraus und betonte, es werde keine Leistungskürzungen geben. Nur wenn jemand mit Entzündungen, die von Piercings oder Tattoos herrühren, zum Arzt komme, müsse das selbst bezahlt werden. Bei der Behandlung dieser Volkskrankheit hat also ein Umdenken eingesetzt.

Die wirkliche Neuerung der Reform ist der Gesundheitsfonds, in dem ab 2008 die Beiträge der Versicherten, der Arbeitgeber und die Steuergelder gesammelt und verwaltet werden. Die Lobbys hinter den Parteien sind sich über den Fonds einig. Gewerkschaften, Arbeitgeber, Ärzte und Klinikvertreter finden: Hände weg! Nun konnten sich Union und SPD aber gerade auf den Fonds einigen, denn in ihm finden die einen ihre Kopfpauschale, die anderen ihre Bürgerversicherung wieder. Aus dem Fonds werden die gesetzlichen Krankenkassen einen Einheitsbeitrag erhalten; Kassen mit hinfälligeren Mitgliedern bekommen einen Zuschlag. Die Fondsgelder decken 95 Prozent ihres Etats, den Rest müssen sie selbst erwirtschaften oder einsparen: Sie können die Beiträge ihrer Mitglieder erhöhen oder eine Prämie, die kleine Kopfpauschale, einführen.

Nach Ansicht des stellvertretenden Chefs der AOK Baden-Württemberg, Christopher Hermann, wird dieser Zusatzbeitrag den eigentlichen Paradigmenwechsel einleiten. „Es wird einen Wettlauf um die effizienteste Leistungsverweigerungsstrategie geben.“ Denn die Gesetzlichen, die sich anders als die Privaten ihre Mitglieder nicht aussuchen können, hätten sonst keine Chance, wirtschaftlicher zu sein als Kassen, die Gesunde und Jüngere versichern.

Die privat Versicherten sollen vom Fonds weitgehend verschont bleiben. Hier konnte sich die SPD nicht durchsetzen, die Neukunden um einen einkommensabhängigen Beitrag bitten wollte. Für den SPD-Linken Karl Lauterbach eine bittere Pille: „Der Fonds ohne Einbeziehung der PKV ist unsinnig und schafft nichts als neue Bürokratie.“ Lauterbach zählt auch die eigenen Genossen zu den Verlierern der Gesundheitsreform: „Der Fonds ist der Einstieg in die Kopfpauschale. Ein mehr als symbolischer Sieg für die Union.“