Schon schön

GÄRTNERN Lange galten Kleingartenanlagen als spießig, nun entdecken auch junge Leute den Charme der eigenen Parzelle

■ Gärten sind Sehnsuchtsorte, inbesondere für Großstadtbewohner. Im Gras liegen und die Seele baumeln lassen, den eigenen Salat oder das eigene Marihuana züchten, die Gießkanne schwingen und den Kampf gegen das Unkraut führen.

■ Die taz hat sich in Berlin auf die Suche nach Hobbygärtnern gemacht. Denn man muss keine Scholle in Brandenburg besitzen, um seine botanischen Neigungen auszuleben. Ein Schrebergarten, der zwischen Autobahn und S-Bahn eingeklemmt ist, tut’s auch. Und selbst auf einem Nordbalkon werden die Tomaten rot – es dauert nur ein bisschen länger. Der Hang zur Natur lässt sich auch weniger brav ausleben, etwa indem man Verkehrsinseln begrünt und Baumscheiben mit Blümchen bepflanzt. Ab heute berichtet die taz jeden Freitag über schräge und weniger schräge gärtnerische Projekte von Menschen mit grünem Daumen. (taz)

VON NINA APIN

Durchatmen, barfuß durchs Gras laufen, die eigenen Tomaten ziehen. Für Großstadtbewohner, die sich unter der Woche zwischen Mietwohnung und Büro bewegen, sind Gärten Sehnsuchtsorte. Wer es sich leisten kann, bewirbt sich auf eine Parzelle in den 808 Kleingärtenanlagen, wo nach fester Vereinsordnung gegärtnert, gegraben und gefeiert wird.

Noch vor zehn Jahren galt das Kleingärtnerwesen als Auslaufmodell. Anlagen namens „Eintracht“ oder „Hand in Hand“ galten Zugezogenen als Horte kleinbürgerlich-deutscher Spießigkeit. Doch das gemeinsame Ackern auf der Parzelle ist wieder beliebt geworden: Der Berliner Landesverband der Gartenfreunde vertritt etwa eine halbe Million KleingärtnerInnen, die 70.000 Parzellen bewirtschaften. „Im Innenstadtbereich gibt es einen großen Andrang“, sagt der Gartenfreunde-Vorsitzende Peter Ehrenberg. Bei einer durchschnittlichen Verweildauer von 21 Jahren der Pächter kommt es da schon mal zu Wartezeiten von fünf bis acht Jahren.

Vor allem junge Familien zieht es in die Kleingärten: Seit 2005 sank der Altersdurchschnitt in Berliner Kleingärten von 63 auf 58 Jahre, auch der Anteil von GärtnerInnen mit Migrationshintergrund, derzeit bei 18 Prozent, steigt rasant. Zwischen Gurken und Plastikliegestühlen vollzieht sich ein Wandel, der längst die ganze Stadt erfasst hat. Nun entdecken auch die den Schrebergarten, die früher damit nicht viel anfangen konnten. Akademiker, Linke, Migranten und Schwule gärtnern Laube an Laube mit alteingesessenen Schrebern und bringen Abwechslung ins gartenzwergverzierte Einerlei. Moderne Variationen sind Schul-, Heil-, interkulturelle -, Guerilla- und Dachgärten.

Selbstbestimmtes Gärtnern im Stadtgebiet hat seit Ende des 19. Jahrhunderts Tradition, als Obdachlose und Arbeiter eigenmächtig auf Baubrachen Beete anlegten. Mit Kartoffelanbau und selbst gezimmerten Lauben sorgte das großstädtische Proletariat selbst für die Verbesserung seiner Ernährungs- und Wohnsituation. Im Gegensatz dazu waren die Gartenanlagen des Deutschen Roten Kreuzes und die Charlottenburger Arbeitergärten Einrichtungen „von oben“. Im Geiste des Leipziger Schrebergartenerfinders Daniel Gottlob Moritz Schreber (1808–1861) richteten Fabrikbesitzer und Beamte Gartenanlagen fürs Wohl des Volkes ein. Der Erziehungsgedanke war deutlich: Arbeiter, die nach Feierabend im Grünen Kartoffeln setzen und gemeinsam musizieren, sind einfacher zu beherrschen als betrunkene und politisierte Kneipenbesucher.

„Im Innenstadtbereich gibt es einen großen Andrang auf frei werdende Parzellen“

Ein Hort der Anarchie waren die Kleingärten jedenfalls nie – dafür sorgte schon das umfangreiche Regelwerk der Vereine: Von der Laubenbreite bis zur Anzahl der zu pflanzenden Obstbäume und gemeinsam zu leistenden Arbeitsstunden wurde alles fest gelegt. Enormen Auftrieb bekam das Kleingärtnerwesen 1919, als die „Kleingarten- und Kleinpachtordnung“ Rechtssicherheit im Umgang mit Bodeneigentümern und Behörden garantierte. Wie dicht das private Netzwerk der „Laubenpieper“ war, zeigte sich während der Nazizeit, als 1.400 Berliner Juden dort ein Versteck fanden.

Bis heute gibt es Gärten an den absurdesten Stellen: Eingeklemmt zwischen Bahnschienen und Schnellstraßen, auf ehemaligen Mülldeponien oder mitten im Industriegebiet. Für die Ewigkeit sind sie dennoch nicht: Weil viele von ihnen auf vermarktbaren Bauflächen stehen, ist ihre Existenz nur durch sogenannte Schutzfristen gesichert. Für fünf Kolonien oder Kolonienteile läuft diese Frist 2010 aus, für andere 2020. Gartenfreunde-Chef Ehrenreich will für jede einzelne Parzelle kämpfen. „Hier geht es nicht nur um die Einzelinteressen von Hobbygärtnern, sondern um eine grüne, lebenswerte Stadt und unsere Kinder.“

Ob die Vereine in 50 Jahren auch noch „Lange Gurke e.V.“ heißen, wird sich zeigen. Aber das Freizeit- und Erholungsmodell Schrebergarten hat eine blühende Zukunft vor sich.