„Kein großer Mitdenker“

RECHTE GEWALT Mit einem Faustschlag hat ein 26-Jähriger aus der rechten Szene Kiels hinterrücks die Laufbahn eines Balletttänzers beendet. Nun muss er für zwei Jahre und acht Monate ins Gefängnis

„Großartig nachgedacht hab’ ich ja nicht“

CHRISTOPHER R, ANGEKLAGTER

Das Gesicht des Angeklagten schimmert rot unter seinem blond gefärbten Kurzhaarschnitt, ein Schweißfilm liegt auf seinen Nasenflügeln. Die Fragen des Gerichts versteht er nur langsam und die nach dem Warum, die kann oder will Christopher R. dem Amtsgericht Kiel nicht beantworten. Mit einem Faustschlag hat der Neonazi dem Tänzer Claudiu C. hinterrücks eine Schädelfraktur zugefügt, eine zweite kam beim Aufprall auf dem Asphalt dazu. Heute ist der 29-Jährige auf einem Ohr taub und sein Gleichgewichtssinn ist beeinträchtigt. In seinem Beruf als Profitänzer ist er nicht mehr konkurrenzfähig, eine Umschulung kann nur mit psychologischer Begleitung gelingen.

Als Christophers R.’s Befragung endet, neigt er den Kopf zur Seite und starrt die nächsten fünf Stunden mal aus dem Fenster, mal auf den Tisch. Am 18. April 2009 war er zu einer Auseinandersetzung zwischen Neonazis und linken Gegendemonstranten zu spät gekommen. Trotz Platzverweises waren die Gruppen mittags in der Nähe des Kieler Opernhauses zusammengestoßen. Die Kameraden hätten sich auf dem Vorplatz getroffen, angeblich um eine Einkaufsliste für ein Grillfest zu besprechen, sagt ein Mitglied der damaligen Gruppe vor Gericht. Als Christopher R. ankam, hatte die Polizei sie bereits umstellt.

Claudiu C., schmächtig, klein, dunkle Locken, hatte nach der Tanzprobe mit zwei Kollegen auf einer Wiese auf der anderen Straßenseite gesessen. Sie waren aufgestanden, als sich die Straßen um sie herum mit Demonstranten und Polizisten füllten und wollten gehen, sagen sie. C. ging langsam voraus und beobachtete die Szene, R. kam von hinten. Er nahm Anlauf und schlug C. mit der Faust nieder. Dann stellte er sich grinsend der Polizei.

Etwa drei Tage lag C. auf der Intensivstation, dann erhielt er Therapien. „Sie müssen sich das vorstellen, als ob ein Besoffener versuchte zu tanzen“, sagt er. Ballett war sein Kindheitstraum, jetzt macht er ein Licht- und Tontechnik-Praktikum am Theater.

Christophers Motivation für die Tat? „Großartig nachgedacht hab’ ich ja nicht“, sagt er. An das Schreiben seines Anwalts, der ihm panische Gemütslage wegen angeblicher Verfolgung bei der Tat attestiert, könne er sich auch nicht erinnern. Der Anwalt gibt seinerseits zu, dass er vor Gericht ein ganz neues Bild des Falles bekommen habe. Sein Mandant sei Mitläufer, „kein großer Mitdenker“, sagt er. Sein Plädoyer vor Gericht: „Das ist Dauerdummheit, seit Jahren.“ An anderer Stelle sagt er, R. sei einer der vier führenden Neonazis Kiels gewesen. R. selbst erklärt, er habe sich von der Szene gelöst. Bei seinem Schlusswort blickt Christopher R. sein Opfer an: Er wolle sich entschuldigen. Doch dem kommt die Entschuldigung zu spät. KRISTIANA LUDWIG