„Das war’s“

Standbilder, Archivbilder, gar keine Bilder: Wer es zur Fußball-Weltmeisterschaftmit Handy-TV versucht, muss jede Menge Pioniergeist mitbringen. Ein Selbstversuch

Von Sonja Kretzschmar

„Stellen wir uns Benny vor: seiner Freundin kann er zum Jahrestag den Wunsch auf einen Restaurantbesuch zur Spielzeit nicht abschlagen. Mit der richtigen Ausstattung kann Benny beides haben: Fußball und Familienfrieden. Die Lösung: Benny besitzt ein UMTS-fähiges Handy und ein wenig Geschick, die Ereignisse auf dem kleinen Display unter dem Tisch unbemerkt zu verfolgen.“ Ein ganz realistisches Szenario, was auf der Internet-Seite von WISO, ZDF.de, angenommen wird: natürlich, in genau der Situation sind wir alle schon gewesen, und wir fragen uns, wir wir diesen einen Abend überleben konnten, ohne ein UMTS-fähiges Handy zu haben.

Wer solche Verrenkungen in der Marketing-Strategie braucht, zeigt deutlich, dass einiges unklar ist: Wer braucht wozu Handy-Fernsehen? Und warum gerade während der Fußball-WM? Auch in den glücklichsten Beziehungen ist schließlich nicht vier Wochen lang Jahrestag. Um der mobilen Gesellschaft nachzukommen, könnte man meinen; schließlich leben nicht alle Menschen so sesshaft, dass sie jedes Spiel fix an einem Ort anschauen können, ob nun auf dem Sofa, oder Openair mit tausend anderen, was zu dieser WM ja hip ist. Was also bietet Handy-Fernsehen zur WM?

Neu am Start ist das mobile Fernsehen Deutschland (MFD), das per Rundfunktechnik DMB die ZDF-Spiele überträgt: aber derzeit nur in sechs Städten in Deutschland. „20 Spiele live“: das größte Rechtepaket der Mobilfunkanbieter hat eindeutig T-Mobile. Am 9. Juni, um 18 Uhr sehe ich auf dem T-Mobile-Handy: nichts. Eine Verbindung kommt nicht zustande. Erst nach einer Viertelstunde kommen Bildern, die immer wieder einfrieren, schmieren und aussetzen.

Außerdem: live ist nicht gleich live. Während das Spiel im Sofa-Fernsehen „live live“ läuft, ist es auf dem Handy circa zehn Sekunden zeitverzögert: so viel Zeit braucht die Technik, um den Stream zu laden, zu puffern. Wenn ein Tor gefallen ist, und alle, die zumindest ein tragbares Radio haben, jubeln, dann können zehn Sekunden verdammt lang sein.

Spätestens zur Halbzeitpause weiß ich dann auch, was „Live-Rechte“ bedeuten: Live-Rechte. Sonst nichts. In der Pause erscheint eine Einblendung auf dem Bildschirm, die mich an Papptafeln bei Stummfilmen erinnert: „Deutschland – Costa Rica“ steht darauf. Wann es weitergeht, muss ich selber herausfinden. Aber ich kann ja auch einfach fünfzehn Minuten auf die Papptafel schauen. Das war zwar noch nicht einmal zu Stummfilmzeiten üblich, aber ein bisschen Pioniergeist braucht man ja für neue Medien. Immerhin geht es irgendwann weiter, sogar ohne größere technische Abbrüche, und zum Ende der Live-Übertragung kann ich auf der Papptafel lesen: „Das war’s.“

Weiter geht’s zur Konkurrenz: Vodafone. Vodafone hat das Problem, überhaupt keine Rechte für Bewegtbilder von der Fußball-WM zu haben. Hier stellen sich ganz neue, spannende Fragen, zum Beispiel: Wie macht man eigentlich Fernsehen ohne Bilder? Antworten findet man in einer 15-Minuten-Schleife, in der im Wechsel Programme von Premiere oder Eurosport wiederholt wird. Experten stehen vor Tafeln und malen auf, wer von wo nach wo gelaufen ist, und auch der Börsenexperte kann mit spannenden News aufwarten: auch nach dem zweiten Tor gegen Costa Rica sind die Kurse nicht eingebrochen. So was!

Aber etwas eigenes sollte dennoch dabei sein, und beim Spiel Deutschland gegen Schweden – Anpfiff 17 Uhr – finde ich schon gegen 21 Uhr die Lösung: „Visual Radio“, einen Kommentar, der das Spiel im Nachhinein zusammenfasst und dazu mit Archivbildern unterlegt, die mich irgendwie an Hanuta erinnern. Sollte ich mich zur Spielzeit also gerade auf einem 12-stündigen Langstreckenflug befunden haben, fernab von jeder Live-Übertragung, dann wäre zeitversetztes visuelles Radio also genau das Richtige gewesen. Wenn ich das Handy im Flugzeug hätte benutzen dürfen. Und nicht sowieso mindestens ein Nachrichtensender eine Zusammenfassung hätte senden können.

Keine Konkurrenz in Bereichen, in denen man nicht gewinnen kann, sondern Vorteile nutzen, die UMTS auch bietet: das ist das WM-Konzept von o2. Deren Rechte-Paket umfasst Spielzusammenfassungen von jedem Spiel, die wenige Minuten lang sind und die on demand abgefragt werden können. Denn, Hand aufs Fußballherz: Wer hat sich schon 90 Minuten Paraguay – Trinidad/Tobago anschauen wollen?

Aber gerade heute, im Hinblick auf das Viertelfinale am Freitag, ist es vielleicht ganz interessant zu sehen, wer beim Spiel Argentinien – Elfenbeinküste wann welche Tore geschossen hat. Der Vorteil von UMTS, Interaktivität für Zuschauer über einen Rückkanal, macht’s möglich, den gibt’s im Sofa-Fernsehen nicht.

Sogar die Clips selber sind Handy-spezifisch aufbereitet: immer so nah dran wie möglich, kaum Totalen, damit man den Ball nicht aus dem Blick verliert. Dieses „New Media Package“ für Handys hat sich zum Verkaufsschlager des Rechtehändlers Infront entwickelt: fast einhundert Länder haben während dieser WM die Rechte dafür gekauft; bei der WM 2002 waren das gerade mal zwei, Japan und Südkorea. Der Renner können die Handy-Clips in Ländern wie China sein, wo die Spiele aufgrund der Zeitverschiebung nachts laufen. Da gibt’s mobile Information auf dem Weg zur Arbeit. Damit gibt es dann auch wenigstens keine Beziehungskrise wie bei Benny.

Sollte der Jahrestag allerdings zufällig auf das Spiel Deutschland – Polen gefallen sein, hat das hingegen zu keinem glücklichen Abend geführt: an diesem Abend gab es bei T-Mobile überhaupt keinen Fußball für niemand. Das Netz war tot. Die Lösung der Frage „Was ist dir wichtiger – Fußball oder ich?“ kann man also auch von neuen Medien nicht erwarten.