Aufklärung für die Aufklärer

Debatte plus Nutzwert: Die neue Zeitung „La Gazette de Berlin“ wirft alle zwei Wochen für frankophone Neu-Berliner einen Blick auf deutsche Unverständlichkeiten

Es ist wie in jeder Redaktionssitzung. Die Redakteure sitzen zusammen, suchen nach Themen, und der Chefredakteur wirkt leicht gestresst. Régis Presents-Griot, Chef und Herausgeber der am 1. Juni gestarteten Zeitung La Gazette de Berlin, und seine noch recht überschaubare Schar von Berliner Mitarbeitern planen in ihrem Büro in Prenzlauer Berg gerade die dritte Ausgabe ihrer Zeitung. Die erscheint vierzehntägig in einer Auflage von 40.000 Stück und wird hauptsächlich in Berlin, aber auch in ein paar größeren deutschen Städten kostenlos ausgelegt. Man diskutiert über den geplanten Schwerpunkt: die neue Seligkeit mit der Deutschlandfahne und die Debatte rund um den wahren oder falschen Patriotismus.

Eine neue deutsche Gefahr wittert von den in Berlin lebenden Redakteuren niemand. Philippe Dihalleau, der eine dunkle Hautfarbe hat, meint, „No-go-Areas“ gebe es in Frankreich auch nicht weniger als hierzulande. Neben dem Chef ist Philippe Dihalleau der einzige männliche Redakteur neben fünf Frauen, die, so Dihalleau, „alle unglaublich gut aussehen“. Die gut aussehenden Französinnen also, was für ein Klischee! Aber das geht in Ordnung, denn all diese Klischees, die es zwischen Franzosen und Deutschen in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung immer noch gibt, beschäftigen die Redakteure von La Gazette de Berlin täglich.

Um die 30.000 Französischsprachige leben derzeit in Berlin, und es werden immer mehr. An diese richtet sich die 16-seitige Zeitung in französischer Sprache – und natürlich an all die Frankophilen dieser Stadt. Man möchte, so die Politikredakteurin Anne Joly, „einen französischen Blick auf die deutsche Realität“ werfen. Immer noch gibt es zwischen diesem Blick und der Realität viele Unstimmigkeiten und Ungereimtheiten. So hat man sich etwa in der letzten Ausgabe dem Thema Prostitution während der WM gewidmet.

In Deutschland schwappte dieses Thema kurz hoch, um dann schnell wieder zu verpuffen. In Frankreich dagegen, so Redakteurin Dorothée Fraleux, war es ein Riesending, dass während der WM angeblich Schlepperbanden Prostituierte scharenweise aus dem Osten Europas nach Deutschland transportierten. „Das ging so weit, dass Unterschriftenlisten kursierten, die WM in Deutschland zu boykottieren“, so Fraleux. La Gazette de Berlin sah ihre Aufgabe nun darin, Franzosen über die unterschiedlichen Gesetzgebungen bezüglich der Prostitution in beiden Ländern aufzuklären. Deutschland sei in diesem Punkt viel liberaler, so Fraleux, was wiederum zu übertriebenem Alarmismus in Frankreich geführt habe.

La Gazette de Berlin will aber außer interkulturellem Debattenblatt auch eine Zeitung von durchaus schlichtem Nutzwert für französische Neu-Berliner sein. Wie findet man hier einen Platz in der Kita? Was muss man beim Gang zu den Behörden beachten? In eine hübsche Rahmenerzählung verpackt, werden derartige Probleme etwa in der Geschichte von „Bernd und Monique“ in der neuen Ausgabe im Ressort „Praktisches Leben“ erörtert. Weitere Themen der dritten Gazette de Berlin sind: Familienpolitik, die Debatte rund ums Rauchverbot. Und natürlich die WM: Frauen erklären Fußballregeln für Frauen. Letzteres wirft dann doch die kleine Frage auf, ob die Franzosen in manchen Dingen weiter hintendran sind, als man dachte.

Régis Presents-Griot hatte vor neun Jahren bereits ein ähnliches Projekt wie La Gazette de Berlin laufen. Weil er zu dieser Zeit in Moskau lebte, versuchte er es mit einer Gazette de Moscou. Doch nun ist er Berliner und möchte, so sagt er, so schnell auch nicht wieder weg. Seine Zeitung soll sich nach kurzer Anlaufphase langfristig über Werbegelder finanzieren. Die Redaktion soll weiter ausgebaut werden, Korrespondenten in Hamburg, München und Frankfurt gibt es bereits.

Eine ganz eigene Idee verwirklicht er jedoch nicht: Bereits 1743 gab es auf Anregung von Friedrich dem Großen eine Zeitung unter dem Namen Gazette de Berlin. 50 Jahre lang hielt sie durch. ANDREAS HARTMANN