Kein Recht auf Heimat

ENTEIGNUNGEN Die Klagen gegen Garzweiler II blieben im Kern erfolglos. Die Verfassungsrichter wollen keine Energiepolitik betreiben

Das Recht auf Freizügigkeit schützt auch gegen Zwangsumsiedlungen – aber nur dort, „wo jeder seinen Aufenthalt und Wohnsitz nehmen kann“

AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH

Auch künftig sind Umsiedlungen und Enteignungen für den Braunkohletagebau möglich. Die Versorgung des Energiemarkts mit dem Brennstoff diene dem Allgemeinwohl, solange die Politik auf diesen Energieträger setze, urteilte an diesem Dienstag das Bundesverfassungsgericht. Zudem entschieden die Richter, dass betroffene Bürger frühzeitig gegen Umsiedlungspläne klagen können.

Konkret ging es um das Braunkohlegebiet Garzweiler II südlich von Düsseldorf, den zweitgrößten Tagebau in Europa. Die dort geförderte Braunkohle liefert 6 Prozent der deutschen Stromproduktion. Dafür werden 4.800 Hektar Fläche rund 200 Meter tief abgebaggert. Seit 2006 wird in Garzweiler II abgebaut. Über 7.000 Menschen aus rund einem Dutzend Ortschaften werden umgesiedelt.

2017 erreichen die Bagger den Ort Immerrath, wo Polizist Stephan Pütz mit seiner Frau wohnt. Die meisten Bewohner des Dorfes sind längst umgesiedelt – doch Pütz hatte noch nicht aufgegeben. Zweiter Kläger war der Umweltverband BUND, der nach der Genehmigung des Tagebaus eine Obstwiese kaufte, die inzwischen weggebaggert wurde.

Pütz hatte sich auf ein neues „Grundrecht auf Heimat“ berufen. Der Wunsch, an einem gewohnten Ort zu bleiben, ergebe sich aus dem bereits im Grundgesetz enthaltenen Grundrecht auf Freizügigkeit (Artikel 11). Die Verfassungsrichter erkannten zwar an, dass das Recht auf Freizügigkeit auch gegen erzwungene Umsiedelungen schütze – allerdings nur dort, „wo jeder seinen Aufenthalt und Wohnsitz nehmen kann“. Eine für alle geltende Umsiedelung für den Tagebau sei damit nicht gemeint. Das Leben im gewohnten Wohnumfeld werde vielmehr durch das – schwächere – Grundrecht auf Eigentum geschützt.

Enteignungen sind laut Grundgesetz „zum Wohle der Allgemeinheit“ zulässig. Pütz und der BUND hatten argumentiert, dass der Braunkohletagebau heute nicht mehr dem Allgemeinwohl diene. Braunkohle sei der „klimaschädlichste aller Energieträger“, und der billige Braunkohlestrom gefährde die Energiewende. Doch darauf ließen sich die Verfassungsrichter erst gar nicht ein. Aus dem Grundgesetz ergäben sich keine speziellen Vorgaben für die Energiepolitik. Bund und Länder hätten hier viel Gestaltungsspielraum. Konkret bezogen sich die Richter auf die Beschlüsse der NRW-Landesregierung zur Verstromung der Braunkohle aus den Jahren 1987 und 1991.

Geprüft wurde in Karlsruhe vor allem, ob der Rechtschutz gegen Umsiedlungen ausreichend ist. Früher konnten betroffene Bürger erst klagen, wenn ihr eigenes Häuschen enteignet wurde. Dann war der Tagebau aber schon im vollen Gange, die Bagger standen am Ortsrand. „Effektiver Rechtsschutz verlangt rechtzeitigen Schutz“, betonten die Verfassungsrichter nun. Betroffene müssten deshalb schon gegen die Zulassung eines „Rahmenbetriebsplans“ klagen können, denn bereits der löse Abwanderungsprozesse aus.

Diese Überlegung ist allerdings nicht neu. Schon 2006 hat das Leipziger Bundesverwaltungsgericht auf Klage von Stefan Pütz erstmals Klagen gegen den Rahmenbetriebsplan zugelassen. Karlsruhe musste diese Rechtsfortbildung jetzt also nur noch bekräftigen. Die Verfassungsbeschwerde von Pütz wurde nun auch abgewiesen, da in seinem Fall ja bereits eine frühzeitige „Gesamtabwägung“ stattgefunden habe.

Allerdings waren immerhin drei von acht RichterInnen der Meinung, dass bei der konkreten Prüfung die Interessen der Umzusiedelnden zu wenig im Fokus standen. Für einen Erfolg der Klage wären aber mindestens fünf Richterstimmen erforderlich gewesen. Zwar muss im Fall von Stephan Pütz noch über die Enteignung des Hauses entschieden werden, doch wird dabei der Tagebau sicherlich nicht mehr gekippt werden.

Dagegen gaben die Verfassungsrichter der Klages des BUND statt, da er mit seinem Grundstück noch nicht von der neuen Leipziger Rechtsprechung profitieren konnte. Doch mehr als ein symbolischer Erfolg ist das nicht. Die Wiese ist weg, die Wiederherstellung des Eigentums wäre da „faktisch ohne Wert“, meinten auch die Karlsruher Richter. Derzeit prangt dort ein 180 Meter tiefes Loch. (Az.: 1 BvR 3139/08)