„Reverenz an meine Kultur“

DESIGN IN SÜDAFRIKA Von der Isolation zum Aufbruch – Andile Dyalvane, Gregor Jenkin und die junge Szene am Kap

AUS KAPSTADT JUDITH REKER

Woodstock, das war bis vor wenigen Jahren nicht viel mehr als ein heruntergekommenes Industrieviertel nahe dem Hafen von Kapstadt. Doch dann entdeckte die Kunst- und Kreativenszene die leer stehenden Lagerhäuser und verwandelte die Gegend. Woodstock ist heute das, was einst Mitte für Berlin oder Williamsburg für New York waren. Der neueste Geheimtipp, den anscheinend jeder zu kennen glaubt.

Der 32-jährige Andile Dyalvane ist einer dieser jungen Kreativen. Er hat sich in Woodstock sein Keramikstudio eingerichtet. Während draußen Regenwolken über die Stadt jagen, erzählt er, wie er im Alter von 17 Jahren aus Kieskammahoek – einem winzigen Ort im Ostkap, einer der ärmsten Provinzen Südafrikas – nach Kapstadt kam. Bis er 16 war, hütete er nach der Schule das Vieh der Eltern. Aus der Tonerde eines nahen Flussbettes haben er und die übrigen Kinder Figuren geformt, Hunde, Ziegen, Kühe. Er hat eine Begabung dafür. Zeichnen tut er auch schon, so lange er sich erinnern kann.

Doch Kunstunterricht an der Schule, das gab es für einen wie Andile Dyalvane nicht. Dass man Ton brennen kann, erfuhr er so erst später auf dem College, als er Keramik und Grafikdesign studierte. „Ich hatte eine Tante“, sagt er lachend, „die besaß ein paar Porzellantassen, die sie von ihrer Arbeitgeberin geschenkt bekommen hatte. Bis zum College dachte ich, die seien aus Tierknochen.“

Gestern Hirtenjunge, heute Trendsetter

Zwölf Stunden Busfahrt liegen zwischen Dyalvanes Heimatdorf Kieskammahoek und Kapstadt. Das sind Welten zwischen seiner Vergangenheit als Hirtenjunge und seiner Gegenwart als Keramikdesigner, der – unter dem Namen des von ihm mitgegründeten Kollektivs „Imiso“ – in Museen ausstellt und in internationalen Edelshops verkauft.

Zu einer Art Markenzeichen sind die Schnitte in seiner Keramik geworden, die an die aufgeritzten Leinwände des italienischen Künstlers Lucio Fontana erinnern. Er machte sie zuerst als Experiment, um ein Objekt lichtdurchlässiger zu machen. Dabei aber kamen Kindheitserinnerungen auf, an das Ritzen und Vernarben der Haut bei der Xhosa-Bevölkerung des Ostkaps. Seither ist ihm diese Technik mehr als ein Stilmittel geworden: „Sie ist eine Reverenz an meine Kultur.“

Töpferwaren, Verweise auf kulturelle Praktiken – Imisos Stücke scheinen einem im Westen bestehenden Wunsch nach Exotik, nach klar erkennbaren „afrikanischen“ Einflüssen entgegenzukommen. So schwärmte die Financial Times kürzlich über südafrikanisches Design von einer „Keramik mit erdigen Formen und Farben“ und „dem Rausch aus afrikanischen Textilien, Farben und Perlstickereien“.

Doch so einfach ist nicht zu definieren, was südafrikanisches Design eigentlich sei. Das Land mit seinen elf offiziellen Landessprachen, unzähligen Bevölkerungsgruppen und verschiedensten Landschaften ist viel zu uneinheitlich, als dass sich das Design auf eine Linie oder bestimmte Materialien festlegen ließe.

Wenn es etwa nach dem Möbeldesigner Gregor Jenkin geht, dem wohl erfolgreichsten Designexport des Landes, dann ist sein „Cape Table“ genannter Tisch aus typisch südafrikanischem Material. Nämlich – aus Stahl. „Das ist für mich genauso landestypisch wie indigene Hölzer“, sagt Jenkin. Internationale Käufer hat der Stahl jedenfalls nicht abgeschreckt, der Tisch wurde zum Allzeitbestseller des Pariser Conran-Shops, einer internationalen Interieurkette. Jenkin, 34, wuchs als Sohn eines Eisenwarenhändlers in Johannesburg auf. Erst seit Kurzem lebt und arbeitet der studierte Architekt in Kapstadt. Jenkins Showroom liegt im Zentrum der Stadt. Bereits um halb acht in der Früh steht er zwischen seinen Tischen und Stühlen einer Gruppe von Designstudenten Rede und Antwort. Draußen regnet es wieder einmal.

„Gelegentlich politisch, oft humorvoll und immer sehr durchdacht“, so beschreibt Jenkin sein Design. Seine Stücke versteht er als Kommentare zu der Gesellschaft, in der er lebt. Zum Beispiel sein Beistelltisch „Um den Block gehen“: Nachdem er mehrfach von Freunden in Johannesburg gehört hatte, dass sie aus Angst vor Kriminalität nicht mehr vor die Tür gingen, entwarf er einen Glastisch, dessen gefräste Stahlseiten die Silhouetten eines Häuserblocks beschreiben, mit Bäumen, Straßenlaternen usw. So kann man in der Sicherheit des eigenen Wohnzimmers eben mal kurz die Straße sehen – und dabei über das Politische im Privaten sinnieren.

Der vielleicht größte gemeinsame Nenner südafrikanischen Designs ist die lange Isolation des Landes. Heute, 16 Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen, ist sie fast vergessen. Die Apartheid-Jahrzehnte führten nicht nur zu Sanktionen aus dem Ausland, sondern auch zu einer Abschottung von innen heraus. Südafrikas MTV-sozialisierte Jugend von heute kann sich kaum mehr vorstellen, dass Fernsehen bis ins Jahr 1976 verboten war.

Mit der früheren Isolation einher gingen die Unmöglichkeit, sich an ausländischen Trends zu orientieren, und auch ein verzögertes Bewusstsein für Design. Jenkin sieht das im Rückblick für seine Entwicklung positiv: „Es war nicht wie in Schweden, wo man sich mit hunderten von schwedischen Designern auseinandersetzen muss, die schon ein Bild davon geformt haben, was schwedisches Design ist.“

Auch Andile Dyalvanes Keramik kann da für einen Gegenbeweis für eine Traditionslinie „lokalen“ Designs nicht herhalten. Dafür bedient er sich zu selbstverständlich bei den Freiheiten der Moderne. Anleihen beim Meister des Abstrakten Expressionismus, Jackson Pollock, sind genauso erkennbar wie bei den heutigen Praktiken der digitalen Medien und ihrer Künste.

Was auch die Obamas schon sammeln

Der vielleicht zweitgrößte gemeinsame Nenner südafrikanischen Designs ist aber das besondere Verhältnis der Designer zu ihrem Land. Fragen mit dem Tenor „Und was tust du für dein Land?“ gehören zum Alltag in Südafrikas gesellschaftlichem Diskurs, der stark von politischem und sozialem Aktivismus geprägt ist. Was tut ein Designer für sein Land?

Gregor Jenkin sagt: „Ich frage mich schon manchmal, warum ich so viel Zeit mit Dingen verbringe, die so wenige Menschen in Südafrika betreffen. Aber dann denke ich auch wieder, mit meiner Arbeit verschaffe ich Südafrika Aufmerksamkeit.“ Auch Dyalvane „will der Welt zeigen, dass aus Südafrika Gutes kommt“.

Dass die Objekte von Imiso und von Gregor Jenkin heute überhaupt an einigen der begehrtesten Shopping-Adressen der Welt zu finden sind, wie zum Beispiel bei Bergdorf Goodman in New York, in den weltweiten Conran-Läden oder der US-Kette Anthropologie, das verdanken sie Trevyn McGowan und ihrer Agentur Source, die nach eigenen Angaben rund 90 Prozent der exportierenden Designer vertritt.

McGowan nennt einen weiteren Aspekt, der erklärt, was ausländische Käufer anzieht: „Südafrikanisches Design wird nicht massenproduziert. Viele Stücke sind handgemacht und Unikate.“ Bestes Beispiel dafür sind zwei Kronleuchter des Designkollektivs Magpie, die es bis ins Weiße Haus geschafft haben. Die fast zwei Meter hohen Leuchten, die heute in den Privaträumen der Obamas hängen, wurden in einem kleinen Ort in der Karoo-Wüste aus bunten Glasscherben, Flaschendeckeln und weiteren recycelten Materialien hergestellt. Südafrikanisches Design mag keine definierbare Linie haben, dafür die Aufmerksamkeit weltweiter Trendscouts.