Einbürgerung der Pampelmuse

DAS SCHLAGLOCH von ILIJA TROJANOW

In Deutschland existiert ein merkwürdiger Ausdruckszwinger namens Fremdwörterlexikon

Auch ich wurde einmal eingebürgert. In den guten alten Zeiten vor der Einführung von Klausuren. Ein Beamter blätterte die Unterlagen durch, die ich sorgfältig ausgefüllt hatte, Fragen nach meinen Personalien, aber auch nach meinen Vorlieben und Plänen. Dabei kamen wir auf meine Liebe zur Literatur zu sprechen. Ach, meinte der Beamte, offensichtlich erleichtert, auf den perfekten Lackmustest gestoßen zu sein, dann können Sie mir bestimmt etwas über den deutschen Schriftsteller Lenz sagen. Klar doch, antwortete ich, aber welchen Lenz meinen Sie? Hermann, Siegfried oder Jacob Michael Reinhold? Gut, gut, unterbrach mich der Beamte, ich sehe, Sie kennen sich aus. Worauf er den Antrag gegenzeichnete und mich entließ.

Man könnte sagen, ich verdanke meinen deutschen Pass einer übermäßigen Integrationserfüllung, und wer weiß, ob ich letzte Woche zu einem Gespräch mit dem Herrn Außenminister eingeladen worden wäre, hätte ich mich nicht mit der „Deutschstunde“ vertraut gemacht, mich nicht mit der „Begegnung“ und gar mit dem „Hofmeister“ beschäftigt. Bei dem ministerialen Gespräch über Kultur, Sprache und Vielfalt war eine Reihe interessanter und intelligenter Menschen mit „Migrantenhintergrund“ anwesend. Sie diskutierten lange und angeregt und blieben sich uneinig.

Es gab jene, die muslimische Mädchen zum Schwimmunterricht zwingen wollen, weil dies der Weg sei, die jungen Frauen aus dem reaktionären Würgegriff ihrer Väter zu befreien. Es gab jene, die für rhetorische Angebote an Verinlandete plädierten, sich mit diesem Land zu identifizieren. Es gab jene, die einen entschieden antireligiösen Standpunkt einnahmen, und jene, die Koranunterricht auf Deutsch in der Schule forderten. Und es gab jene, die an der Komplexität der Herausforderungen fast verzweifelten. Gemein war uns allen eigentlich nur, dass wir die deutsche Sprache beherrschen, in ihr denken und fühlen, ohne Wenn und Aber. Wir alle, die wir uns in einem Séparée versammelt hatten, waren Sprachpatrioten.

Daher nehme ich das Wort „deutsch“ ohne schlechtes Gewissen in den Mund. Für mich bedeutet es vor allem die Sprache, die ich mir zur Heimat erwählt habe. Ist deswegen die deutsche Sprache anderen Sprachen überlegen? Darf sie das sein? Würde eine solche Überzeugung eine feindselige Beziehung zu anderen Sprachen implizieren? Jeder Tennisprofi schwört auf seinen Schläger, und mein Schläger ist nun einmal die deutsche Sprache. Es gibt jede Menge Gründe, Deutsch zu lernen: um Büchner, Kafka oder Celan im Original zu lesen; um herauszufinden, welch schlechtes Deutsch die Nazis in alten Hollywood-Schinken brüllen; um sich mit hundert Millionen Menschen zu unterhalten; oder um die kreativen Krümmungen von Kanaksprak zu verstehen.

256 Millionen Euro, der Jahresetat des Goethe-Instituts, erscheinen als ein Klacks, wenn es darum geht, eine der reichhaltigsten Kultursprachen der Menschheitsgeschichte zu fördern und zu verbreiten. Die reflexartige Angst vor einem neuen Kulturimperialismus ist in diesem Zusammenhang absurd, denn das Angebot der Goethe-Institute ist unverbindlich, die Teilnahme freiwillig, und Deutsch konkurriert mit den anderen größeren europäischen Sprachen. Und doch scheint es einer politische Klasse, die lautstark Assimilierung fordert, an dem würdevollen Selbstbewusstsein zu fehlen, die eigene Sprache in die Welt hinauszutragen.

Leider wird die deutsche Sprache nicht nur politisch schmählich vernachlässigt, sondern in letzter Zeit auch noch kosmetisch vermeintlich verschönert. Die Operation trägt den Namen Anglisierung, das Endprodukt McDeutsch. Zum einen haben wir es mit einer Vielzahl von Wörtern – Schätzungen reichen von 5.000 bis 8.000 – zu tun, die sich in den letzten Jahrzehnten epidemisch verbreitet haben: Opening, Ticket, Crew. Des Weiteren haben sich heimliche Anglizismen eingeschmuggelt, bei den Verben etwa: generieren, initialisieren und implementieren. Um uns herum wird in fremden Redewendungen geredet: „um eine lange Geschichte kurz zu machen“, „einen Unterschied machen“, „ich sehe Ihren Punkt“ (auf der Stirn?), ja, selbst „Liebe machen“ ist kein deutsches Idiom, denn der Teutone vollzog jahrhundertelang – umständlich, aber ordentlich – den Geschlechtsverkehr.

Natürlich muss nicht jedes Muttermal der eigenen Geliebten schön sein und nicht jeder modische Schmuck, den sie anlegt, hässlich. Deshalb mutet der Versuch, jeden sprachlichen Import einzudeutschen, bisweilen lächerlich an. Der berühmteste Versuch einer Wortbereinigung stammt von Joachim Heinrich Campe aus dem Jahre 1801: Lügenzicht für Dementi; und gleich vier Alternativen für Ironie: Scheinunwissenheit, Spottlob, Hechelscherz, Schalksernst.

So viel Hechelscherz war keinem zuzumuten, und heutzutage ist die Ironie jedem Bürger zumindest theoretisch bekannt. Aber sie wird, wie alle anderen Aneignungen, noch Jahrhunderte später in lexikalischen Ghettos verwahrt. Denn in Deutschland existiert ein merkwürdiger Ausdruckszwinger namens „Fremdwörterlexikon“, ein Phänomen, das im Englischen so gut wie unbekannt ist. Die Bewahrer von Herkunftsdifferenzen verzeichnen darin nicht nur die eigentlich fremden Wörter, sondern auch die so genannten Lehnwörter, als wollten sie zum Ausdruck bringen: Wer einmal fremd ist, bleibt immer fremd. Die Pampelmuse etwa, vor vielen Jahrhunderten aus dem tamilischen balbolmas über das holländische pompelmoes eingewandert, wird weiterhin ausgegrenzt, obwohl sie so wunderbar deutsch klingt wie Apfelmus.

Jeder Tennisprofi schwört auf seinen Schläger, und mein Schläger ist eben die deutsche Sprache

Und damit stoßen wir auf ein grundsätzliches Missverständnis. Integration sollte nicht Anpassung, sondern Anreicherung bedeuten. Untersucht man nüchtern die „Überfremdungstendenzen“ im heutigen Deutschland, so muss man feststellen, dass nicht die Moschee im Stadtbild dominiert, sondern die allseits beliebte kulinarische Multikulturalität, die sich so weit durchgesetzt hat, dass die deutsche Gastwirtschaft neben Pizza, Burger oder Gyros fast untergegangen ist. Und betrachtet man die Sprache, dann droht Überfremdung keineswegs durch Anatolien. Die Paschas mit ihrem Fez haben es gerade einmal geschafft, Kadi und Kaffee ins Deutsche zu schmuggeln, die Amis und Engländer hingegen haben die deutsche Sprache überlaufen. Wer überfremdet wen, und wer wehrt sich dagegen? Die Fronten sich nicht so eindeutig gezogen, wie manch Leitartikel glauben machen will.

Vor einiger Zeit, in einem jener Chawls, in denen die meisten Bewohner Bombays zusammengepfercht leben, umarmte mich ein Fremder mit einem Lächeln, kaum hatte er vernommen, woher ich komme. Ich spreche Deutsch, sagte der Mann, ich habe ein wenig gelernt. Wieso?, fragte ich erstaunt. Weil ich die Sprache liebe, es ist eine so schöne Sprache, erklärte er entwaffnend. Ich empfand Stolz. In einem indischen Armenviertel – fernab der Diskussionen über Leitkultur, Maßnahmenkatalog und Einbürgerungstest – bereitete es mir, dem Sprachpatrioten, keine Probleme, mich mit diesem Kompliment zu identifizieren.