Revolutionär im Hochparterre

EXIL Wie soll Syrien befriedet werden? Viele, die ihre Heimat verließen, wollen von Berlin aus helfen. Zu ihnen zählt Mouaffaq Nyrabia

Der Westen, so meint er, hätte früher eingreifen und die moderaten Kräfte unterstützen müssen

PORTRÄTS GESA STEEGER
FOTOS WOLFGANG BORRS

Zwischen Berlin und Damaskus liegen rund 2.795 Kilometer Luftlinie. Trotz der Entfernung versuchen viele Exilsyrer von hier aus, auf die Verhältnisse des zerrütteten Landes Einfluss zu nehmen. Einer von ihnen ist Mouaffaq Nyrabia. Gerade komme er aus Brüssel zurück, erzählt er. Dort habe er mit Catherine Ashton, der Hohen Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, über die für Januar geplante internationale Syrien-Friedenskonferenz in Genf gesprochen.

Nyrabia, kräftige Statur, mit Brille und weißem Haarschopf, empfängt im Hochparterre eines schmucklosen Altbau-Hinterhauses. Es ist das Berliner Verbindungsbüro der Nationalen Koalition der Syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte, die ihren Hauptsitz in Istanbul hat. Seit Anfang Juni residiert das Bündnis, das aus westlicher Perspektive als die größte und einflussreichste Gruppe der Regierungsgegner gilt, in den Räumen in Mitte. Noch sind die Wände kahl, die Regale leer. Nyrabias dunkler Schreibtisch wirkt neu und unbenutzt.

Der 63-Jährige ist der offizielle Vertreter des Oppositionsbündnisses in Deutschland. Zu seinen Aufgaben gehört es, Verbindungen zwischen syrischen Organisationen, der deutschen Regierung, NGOs und Medienvertretern anzustoßen.

Er selbst sei seit den 1970er Jahren in der syrischen Opposition aktiv, erzählt Nyrabia. Erst gegen Präsident Hafis al-Assad, dann gegen seinen Sohn Baschar. Nach mehreren Haftstrafen habe er die letzten sechs Jahre versteckt im syrischen Untergrund verbracht, berichtet er. Gemeinsam mit seiner Frau gelang ihm im Februar dieses Jahres die Flucht aus Syrien.

Laut dem Landesamt für Statistik lebten im Juni 2.916 Syrer in Berlin. Das Büro sei auch als Anlaufstelle für syrische Oppositionelle gedacht, erklärt Nyrabia. Es gebe von allen in Syrien aktiven Gruppen eine Vertretung in Berlin, vieles laufe aber über persönliche Kontakte ab. „Wenn jemand Spenden für ein Krankenhaus in seinem Heimatdorf sammelt, läuft das nicht über offizielle Kanäle.“

Aus Berlin komme vor allem humanitäre Hilfe, sagt Nyrabia. Die Nichtregierungsorganisation „Adopt a Revolution“ unterstütze beispielsweise zivilgesellschaftlichen Protest in Syrien mit Spenden und technischem Gerät. Andere Initiativen wie der „Verein syrischer Studenten und Akademiker“ schaffe regelmäßig Medikamente, Kleidung oder Nahrung nach Syrien. Es gebe auch engagierte Privatpersonen, die Spenden sammelten oder kleinere Medikamentenlieferungen nach Syrien schickten. „Ohne diese Hilfe“, meint Nyrabia, „wäre der Widerstand in Syrien schon längst erloschen.“

Damit der Kampf gegen das Assad-Regime weitergeht, bekommt die Nationale Koalition von der deutschen Bundesregierung finanzielle Unterstützung. Dafür sei er sehr dankbar, sagt Nyrabia. Trotzdem ist er auch kritisch. Der Westen hätte, so meint er, früher eingreifen und die moderaten Kräfte besser unterstützen müssen, sagt er. Dass radikale Gruppen wie die Al-Nusra-Front jetzt an Boden gewinnen würden, sei auf diese Versäumnisse zurückzuführen. „Hätte die Freie Syrische Armee eine bessere Ausstattung, wären die Islamisten für viele Menschen nicht mehr so attraktiv“, glaubt Nyrabia.

Für die Zeit nach Assad hofft Nyrabia auf ein demokratisch organisiertes Syrien. Dass sei aber nur möglich, sagt er, wenn die Assad-Clique verhaftet oder außer Landes gebracht werde. Wie lange er noch auf ein friedliches Syrien warten müsse? Mouaffaq Nyrabia schüttelt seinen weißen Haarschopf. Vielleicht stürze das Regime nächste Woche, vielleicht aber auch erst nächstes Jahr. Das Wichtigste sei, die Hoffnung nicht zu verlieren.