„Eine Vernichtungsaktion“

Bahnchef Mehdorn habe sein Projekt verhunzt, klagt Meinhard von Gerkan, der Architekt des neuen Berliner Hauptbahnhofs

INTERVIEW ROLF LAUTENSCHLÄGER

taz: Herr von Gerkan, heute eröffnet der neue Berliner Hauptbahnhof, der größte Kreuzungsbahnhof der Republik. Jede Menge Reden werden gehalten. Weil Sie in Fragen des Urheberrechts und wegen Änderungen Ihrer Planung mit Bahnchef Mehdorn im Clinch liegen, hat der Ihnen einen Maulkorb verpasst. Gehen Sie trotzdem hin?

Meinhard von Gerkan: Das weiß ich noch nicht.

Sie sind dafür bekannt, sich eigentlich so etwas nicht gefallen zu lassen.

Wissen Sie, die Höflichkeit gebietet es, sich da nicht mutwillig in den Vordergrund zu drängen. Die Bahn ist ja der Gastgeber und nicht Herr Mehdorn, obwohl der meint, nur er sei die Bahn und der Bahnhof sein Schlafzimmer.

Aber zu sagen gehabt hätten Sie schon etwas, was sich vielleicht nicht ganz so freundlich anhören würde?

Dazu will ich hier nichts sagen. Aber unterschiedliche Auffassungen von Baukultur haben wir sicher.

Gehört heute der Zank zwischen Bauherr und Architekt nicht zum Geschäft?

Nein, das gehört nicht dazu. Unser Büro hat über 200 Bauten erstellt, und in keinem Fall hat es einen nachhaltigen Streit über Fragen der Gestaltung oder des Urheberrechts gegeben. Der Berliner Bahnhof ist die große Ausnahme.

Worin?

Es gab keine Kompromissbereitschaft. Wenn jemand, wie Herr Mehdorn, nur aus Böswilligkeit etwas kaputtmacht, ohne dass er, die Bahn oder die Reisenden einen Nutzen davon hätten und wenn Schaden in einem solchen Maße entsteht, ist das die Ausnahme. Das schadet der Bahn, dem Bahnhof, der im Blickpunkt weltweiter Öffentlichkeit steht, und das schadet der deutschen Architektur. Da muss man dagegenhalten.

Das klingt, als seien Sie persönlich beschädigt?

Es ist weniger ein Stück persönlicher Verletzung. Natürlich ist auch die dabei. In erster Linie geht es aber um öffentliche Verantwortung, die man als Architekt an dem prominenten Ort und mit den Bauwerk hat. Durch die Verstümmelung des Bauwerks ist ein nachhaltiger Schaden entstanden. Die Proportionen stimmen durch die Verkürzung des Glasdachs einfach nicht mehr. Das Gleiche betrifft die Raumgestaltung im Innern. Die unterirdische Halle, immerhin die größte der Welt, kann man nicht einfach mit einer verbeulten Blechdecke abhängen. Das war sinnlos, zumal keine Zeit gespart und viel mehr Geld ausgegeben wurde. Es war eine Vernichtungsaktion.

Die Bahn hat gesagt, die Kosten und die Zeit laufen davon. Und verlängern werden sie die Glasdächer wohl auch nicht. Was bringt der Streit vor Gericht?

Wenn der Bauherr sagt, die können mich mal, ist das Gericht eben unser letztes Mittel, die Ultima Ratio. Denn so können wir uns das nicht gefallen lassen.

Bieten Sie doch einen Kompromiss an.

Das habe ich doch. Wir haben angeboten, die Flachdecke im Tiefgeschoss teilweise zu belassen. Nur im hochfrequentierten Zentrum bestehen wir auf unserer Licht- und Raumgestaltung. Es wäre eine Kleinigkeit selbst bei Betrieb des Bahnhofs, diese Umbauten vorzunehmen. Die Bahn bewegt sich trotzdem nicht. Es herrscht ein anderer Geist dort vor. Was vor 14 Jahren unter dem Motto die „Renaissance der Bahnhöfe“ gestartet wurde, ist heute zur Renaissance der Börse geworden.

Im 19. Jahrhundert waren Bahnhöfe die „Kathedralen des Verkehrs und der Moderne“. Was ist der Bahnhof heute?

Unser Ziel ist es, dem Bahnhof die hohe gesellschaftliche Wertschätzung und den Status zurückzugeben, den er einmal hatte. Angesichts der verstopften Straßen und der überfüllten Flughäfen ist seine Bedeutung für die Mobilität von größter Bedeutung. Er muss ein Ort sein, an dem man sich wohl fühlt und keine Angst hat.

Kuschelig ist Ihr Hauptbahnhof nicht, er ist supermodern, sehr funktional, sehr konstruktiv, ein gewaltiger Umschlagplatz für Menschen- und Verkehrsströme.

Ein Bahnhof an einer so bedeutenden Stelle in Berlin, der täglich von so vielen Menschen aufgesucht wird, hat das Recht, repräsentativ zu sein, und die Pflicht, eine gute Orientierung zu garantieren. Er muss eine Identität stiften und ein architektonisches Zeichen setzen.

Ist er nicht eher ein technisches Zeichen?

Nein. Es ist schon die Symbiose von Architektur und Technik. Die Architektur wird zur Technik ausgebildet. Weiter geht es darum, die bestmögliche Orientierung, viel Tageslicht und Transparenz in dem Kreuzungsbahnhof und auf den Ebenen zu schaffen. Ein Bahnhof der Neuzeit muss zeigen – im Unterschied zu den alten Stationen mit ihren historisierenden Fassaden –, dass er ein Stück Technik ist, die mit unseren Städten funktioniert und diese miteinander verbindet. Durch die Konstruktion, insbesondere am Dach, kommt dies zum Ausdruck.

Kritik muss der Bahnhof bis dato – neben der zu großen Dimensionierung – vor allem städtebaulich einstecken. Als gläserner Koloss im Niemandsland wurde er abgekanzelt. Ist er das Raumschiff im Spreebogen?

Klar, er liegt noch quasi in der Wüste am Rande des Regierungsviertels. Aber von Anbeginn des Wettbewerbs sind wir davon ausgegangen, dass es ein verdichtetes starkes urbanes Umfeld dort geben wird. Das ist auch nach wie vor vorgesehen, dafür gibt es einen bestehenden Masterplan. Dass all die Bauten in den vergangenen zehn Jahren nicht entstanden sind, liegt sicher an den Marktverhältnissen und den hohen Berliner Leerständen im Immobilienbereich. Sicher hat auch die große Baustelle des Bahnhofs dazu beigetragen, dass kein anderer dort baut. Aber ich bin mir sicher, dass das jetzt kommt. Genau genommen liegt der Bahnhof ja in der Mitte Berlins: vom Bahnsteig aus sieht man die Charité, den Reichstag, den Potsdamer Platz oder das Kanzleramt. Das gibt das Gefühl, sich im Zentrum Berlin zu befinden.