„Die Stärke hat mich angesteckt“

Sie sind jung, ehrgeizig – und im Asylverfahren. Für ihre Chancen in Deutschland kämpfen jugendliche Flüchtlinge gemeinsam, auch in Brandenburg. Dabei werden sie von der EU unterstützt

aus Potsdam Jan Sternberg

Paimana nennt es ein „Gefängnis ohne Gitter“, in dem sie in Deutschland lebt. Adela klagt, wie „irrsinnig es ist, dass ich vor Gericht klagen muss, um eine Ausbildung machen zu dürfen“. Paimana Heydar (22) aus Neuruppin und Adela Bektic (21) aus Potsdam haben beide ihr Abitur bestanden, haben Studienplätze und Lehrstellen sicher – und dürfen sie nicht antreten. Ein Satz in ihrer „Aufenthaltsgestattung“ verbietet das. Die beiden Frauen sind im Asylverfahren. Paimana lebt hier seit gut zehn Jahren in einem Schwebezustand, Adela bereits ein Dutzend Jahre.

Paimanas Familie kam 1995 nach Neuruppin. Ihr Vater war Redakteur beim Rundfunk in Kabul, die Mutter Juristin im Außenministerium. Vor 15 Jahren, als die Truppen der Mudschaheddin in Kabul einrückten, flohen sie aus Afghanistan, landeten nach einer fünfjährigen Odyssee in Deutschland. „In Afghanistan habe ich auf keinen Fall eine Zukunft“, sagt Paimana, die ihr langes schwarzes Haar offen trägt. „Als Frau nicht – selbst wenn an jeder Ecke sechs Soldaten der Friedenstruppen stehen. Die haben doch keine Ahnung. In Afghanistan sind zwei Generationen Schrott, die können nur töten und getötet werden.“ Wenn sie aufgeregt ist, mischt sich brandenburgischer Dialekt in ihr dunkel gefärbtes Hochdeutsch.

Adelas Familie stammt aus Janja in Bosnien. Der Ort liegt an der Grenze zu Serbien und gehört heute zum bosnischen Teilstaat Republika Srpska. Kein Ort, an den eine muslimische Familie wie ihre zurückkehren kann. „Gehen Sie doch in Ihre Heimat und bewerben Sie sich von dort für einen Studienplatz in Deutschland“, hat man ihr gesagt. „Meine Heimat ist hier“, hat sie geantwortet. „Sie wissen schon, was wir meinen“, kam zurück. Aber wer würde ihr garantieren, dass sie ein Visum für Deutschland bekäme? „Das mache ich auf keinen Fall“, meint Adela. Lieber kämpft sie, damit man ihr hier eine Chance gibt.

Die deutschen Regeln sind gegen sie. Alles, was den Aufenthalt „verfestigt“, haben Menschen wie sie tunlichst zu unterlassen. Die Schule ist eine Ausnahme. Aber wenn sich ihre Freundinnen und Freunde in den Bewerbungsmarathon stürzen, sollen Jugendliche wie Paimana und Adela Däumchen drehen. Die Widersprüche der deutschen Flüchtlingspolitik sind Teil ihres Lebens, seit sie hier sind. „Wir sollen uns möglichst nicht integrieren. Aber nach zwölf Jahren sind wir das eben“, sagt Adela.

Die meisten Jugendlichen in ihrer Lage geben einfach auf, sagt sie. Doch Adela und Paimana sind Kämpferinnen. Sie sind gut, sie könnten erfolgreich sein, wenn man sie ließe. Und sie wissen das auch. Inzwischen. Dazu gehört einiger Mut. „Warum dürfen wir nicht, was andere dürfen?“ Die Frage ist einfach und unendlich kompliziert. Und die beiden jungen Frauen haben lange gebraucht, bis sie angefangen haben, sie zu stellen. „Wir haben nie Freiheit kennen gelernt“, sagt Adela. „Unsere Eltern haben für uns entschieden, dass wir in dieses Land kommen. Hier sind wir in die Situation hineingewachsen, dass wir dies nicht dürfen und jenes beantragen müssen.“ Immer. Die Residenzpflicht verbietet ihnen, den zugewiesenen Landkreis zu verlassen. Das Arbeitsverbot, einen Job anzunehmen, und wenn sie doch eine Ausnahmegenehmigung bekommen, werden Deutsche, EU-Bürger und Ausländer mit gesichertem Aufenthaltsstatus vorgezogen. Die Behörden prüfen. Und manchmal prüfen sie lange.

Adelas Familie wohnte neun Jahre als geduldete Kriegsflüchtlinge in Berlin, dann sollten sie abgeschoben werden. „Morgens um fünf standen die Polizisten vor unserer Tür: Sachen packen, jeder 20 Kilo, ab geht’s.“ Am Flughafen meldete sich der Anwalt, den sie in letzter Minute eingeschaltet hatten. Er beantragte Asyl für die Bektic’. So kamen sie erst ins Abschiebegefängnis Grünau, dann wurden sie als Asylbewerber Brandenburg zugeteilt. Doch Adela und zwei ihrer Geschwister wollten weiter auf ihre Schule in Berlin-Schöneberg gehen. „Das war unser Ort der Sicherheit. Wenigstens dort war Alltag, dort war es normal“, sagt Adela. Seit drei Jahren läuft die Prüfung, ob das gestattet werden kann. Adela hat die Schule inzwischen abgeschlossen.

„Wir haben lange gezweifelt, ob wir das Recht haben zu verlangen, dass wir so leben wollen wie die anderen. Man traut sich nicht, sich zu wehren“, sagt sie. Inzwischen traut sie sich. Seit vergangenem Jahr gibt es die Gruppe „Jugendliche ohne Grenzen“. Sie entstand aus einem Projekt „Hiergeblieben“ des Grips-Theaters. Sie zog ihre Kreise, erst nach Brandenburg, dann in andere Bundesländer. Inzwischen sind es 150 bis 200, die sich bei „Jugendliche ohne Grenzen“ engagieren. Sie werden von der Europäischen Union unterstützt mit 10.000 Euro, damit sie zu den Innenministerkonferenzen der Länder reisen können.

Bei der Tagung im bayerischen Garmisch-Partenkirchen vor zwei Wochen veranstalteten sie zum dritten Mal ihre parallele Gegenkonferenz. Jedes Mal übergeben sie eine Resolution, die ein Bleiberecht für lange hier lebende Ausländer ohne sicheren Status fordert und die Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention für jugendliche Flüchtlinge. Immer hoffen sie, einen Minister zu sprechen. Stets werden sie mit einem Vertreter abgespeist, der nichts entscheiden kann. „Die Politiker halten sich schön zurück“, schimpft Adela. „Die sind unter sich und reden über Menschen, die sie gar nicht kennen wollen. Sonst müssten sie vielleicht anders entscheiden.“

Der Protest ist wichtig, sicherlich. Wichtiger noch aber ist für Adela und Paimana, eine Gruppe von Mitstreitern zu finden, denen es genauso geht wie ihnen. „Ich habe Leute kennen gelernt, die einen wirklich starken Willen haben, die sich hier zu Hause fühlen und sich durchsetzen wollen“, erzählt Paimana atemlos, „diese Stärke hat mich angesteckt.“ Adela geht es ähnlich: „Irgendjemand hat dort immer gerade noch Luft und Energie, um die anderen aufzubauen, damit es weitergeht.“

Die Bleiberechtsregelung ist von den Innenministern wieder einmal vertagt worden. Vielleicht wird sie im Herbst entschieden. „Überall woanders geht es schneller, meine Verwandten in Österreich und in Schweden sind mit ihren Verfahren schon lange durch“, sagt Adela. Paimana hält „dieses ewige Hin und Her für typisch deutsch“. So würde auch eine Deutsche über die Politik schimpfen – insofern ist Paimana wirklich perfekt integriert.

In dieser Woche haben die hartnäckigen jungen Brandenburgerinnen einen kleinen Erfolg erzielt. Im Innenministerium in Potsdam trafen sie die zuständige Referatsleiterin. „Sie haben uns zugesagt, bis zum Sommer zu prüfen, ob die Ausländerbehörden nicht in Fällen wie unseren wohlwollender entscheiden könnten“, fasst Adela das Gespräch zusammen. In Berlin gibt es einen entsprechenden Erlass bereits. Das brandenburgische Innenministerium konnte trotz wiederholter Anfragen bislang keine Stellung nehmen.