Kein Geld für Benzin oder Schokolade

Seit drei Monaten erhalten Angestellte der Palästinensischen Autonomiebehörde keine Gehälter mehr. In Geschäften müssen sie für Grundnahrungsmittel anschreiben lassen. Die UNO sieht kein Ende der Misere. Sie will die Flüchtlingshilfe aufstocken

AUS GAZA SUSANNE KNAUL

„Wir lassen hier nur noch lebenswichtige Nahrungsmittel anschreiben“, sagt Abu Chaled. Der Palästinenser besitzt ein Geschäft an der zentralen Scheich-Radwan-Straße in Gaza. Über 40.000 Schekel (rund 5.400 Euro) Außenstände haben sich in den vergangenen drei Monaten angesammelt. In dieser Zeit hat ein großer Teil seiner Kundschaft kein Gehalt mehr bezogen – eine Reaktion Israels und des Westens auf die Bildung der islamistischen Hamas-Regierung nach den Parlamentswahlen vom Januar. „So schlimm wie jetzt war es noch nie“, klagt Abu Chaled.

Wer Beamter der Palästinensischen Autonomiebehörde ist und nicht bar zahlen kann, der bekommt bei ihm keine Zigaretten, keine Telefonkarten und keine Schokolade mehr. „Nur Mehl, Öl, Milch und Babynahrung“ gibt Abu Chaled noch heraus. Aber wenn es sein muss, lässt sich der gutmütige Kleinhändler auch mal zu einer Packung Waschmittel breitschlagen.

Suleiman Abeid bleibt keine Wahl, als anschreiben zu lassen. 165.000 Mitarbeiter beschäftigt die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) nach offiziellen Angaben. Der Apparat sei „über alle Maßen aufgeblasen“, schreibt Hanna Siniora, Chefredakteur der englischsprachigen Tageszeitung Jerusalem Times. Nach Angaben der Weltbank lebt heute rund ein Viertel der Bevölkerung von den Gehältern der PA.

„Es ist nichts mehr übrig“, sagt Ingenieur Abeid. Sein letztes Gehalt hat der im Landwirtschaftsministerium tätige Ingenieur im Februar ausgezahlt bekommen. Seither arbeitet er für umsonst. Genau wie seine Mitarbeiter, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad ihren Arbeitsplatz erreichen können. Wer mit dem Auto kommen muss, bleibt zu Hause, denn Benzin oder gar Taxis kann keiner mehr bezahlen.

Der Sohn einer aus der israelischen Stadt Aschkelon stammenden Flüchtlingsfamilie hat sich den Weg zum „gehobenen Mittelstand“ gebahnt. Mit seiner Frau und sieben Kindern wohnt Abeid in einer Vierzimmerwohnung im Stadtzentrum. Die drei ältesten Söhne studieren an der Al-Azhar-Universität, was den Vater rund 3.000 Dollar Gebühren kostet, ein Drittel seines Jahreseinkommens. Trotzdem blieb für Abeid bis zum Jahresanfang noch genug übrig, um zwei seiner Brüder, die arbeitslos sind, monatlich je 500 Schekel (knapp 100 Euro) zuzustecken.

Um über die Runden zu kommen, hat das Ehepaar sämtlichen Goldschmuck versetzt. Die Familie verzichtet auf Hühnchen, das es früher mindestens zweimal pro Woche gab. „Tomaten sind gerade sehr günstig“, meint Abeid, sein trauriges Schicksal belächelnd. Außerdem gebe es bei der UNRWA (United Nations Relief and Works Agency), die sich um die palästinensischen Flüchtlinge kümmert, Überlegungen, Nahrungsmittelpakete an die mittellosen Angestellten auszugeben.

Bisher werden regelmäßig 135.000 Familien mit Nahrungsmittelpaketen versorgt. Christer Nordau von der UNRWA will diese Zahl auf 160.000 aufstocken. Zielgruppe sind PA-Angestellte, die offiziell als Flüchtlinge registriert sind. Zusätzlich zu den bereits zugesagten 95 Millionen Dollar müssten dafür bis zum Jahresende weitere 75 Millionen Dollar aufgetrieben werden.

Dass ein Ende der Misere absehbar ist, glaubt der UNRWA-Vertreter nicht. Ähnlich wie die palästinensische Führung fürchtet er, dass Wochen oder Monate vergehen können, bevor das Nahostquartett (EU, USA, UNO und Russland) seine Entscheidung umsetzt, die humanitären Hilfszahlungen wieder aufzunehmen. Selbst wenn das passiert, dann „sind noch immer keine Gehälter bezahlt“. Rund zwei Drittel der Personalkosten der Autonomiebehörde werden aus den von Israel zurückgehaltenen Zoll- und Steuergeldern beglichen – rund 55 Millionen Dollar monatlich. „Der Hunger ist nicht mehr weit weg“, warnt Nordau. Schon jetzt gebe es zahlreiche Familien, die nur noch „jeden zweiten Tag essen“.

Die ausbleibenden Gehälter sind beherrschendes Gesprächsthema. Die Positionen sind gespalten zwischen denen, die auf keinen Fall der von Israel und dem Westen gestellten Forderung nach einer Anerkennung Israels nachgeben wollen und denen, die auf eine moderatere Haltung der Regierung drängen. „Ich würde (Premierminister Ismail) Hanijeh raten, die Tür zu öffnen, zum Wohle seines Volkes, und jetzt den Dialog mit Israel aufzunehmen“, meint Abeid. Wichtig sei allerdings, dass dabei die Rechte der Palästinenser gewahrt bleiben. Dazu gehöre auch das Recht der Flüchtlinge auf eine Rückkehr in ihre Heimat. Abeid, der selbst in Gaza geboren wurde, lehrt seine Kinder: „Vergesst niemals Aschkelon.“