Der Ornamentalist im Delirium

Als Maler bewegt sich John Malkovich durch immer neue abgründige Szenarien, Veronica Ferres spielt auch mit: Der chilenische Regisseur Raoúl Ruiz inszeniert den Film „Klimt“ als Dekadenzfantasie – als Studie über die Zeit, da die Sprache modrig wurde und die Bilder zu fließen begannen

Die Kritiker wollen ihm übel,die Modelle tuscheln, schwanger von ihm, in der Küche – Klimt muss in diesem Film viel erleben

VON BERT REBHANDL

Unter den österreichischen Beiträgen zur Weltausstellung in Paris im Jahr 1900 war ein Gemälde mit dem Titel „Philosophie“. Es stammt von Gustav Klimt, einem Maler, dessen Werk im 20. Jahrhundert mehr auf Postkarten als in Ausstellungen überliefert wurde. Klimt hat zu einer Zeit schon filmreif gemalt, als die Bilder gerade erst laufen lernten. Trotzdem gibt es erst jetzt einen ernsthaften Film über sein Leben und Wirken – es ist gleich eine anspruchsvolle internationale Koproduktion geworden, mit dem amerikanischen Star John Malkovich in der Hauptrolle und mit der deutschen Veronica Ferres als Pfand für die deutschen Geldgeber.

Der Regisseur Raoúl Ruiz stammt aus Chile, gehört aber seit vielen Jahren zum französischen Kunstfilmadel. Seine „Hypothese vom gestohlenen Bild“ zählt zu den Höhepunkten des selbstreflexiven Kinos, seine Proust-Verfilmung „Le temps retrouvé“ übertrifft die von Volker Schlöndorff um Längen. Der Film „Klimt“ nun hat eine lange Entstehungsgeschichte, wie aus einem Vermerk im Abspann ersichtlich wird, wo Herbert Vesely die Idee zugeschrieben wird, einem 2002 verstorbenen Außenseiter des Kinos, der 1962 das Oberhausener Manifest mit unterzeichnet hat. Zwei Jahrzehnte später veröffentlichte Vesely einen Film über „Egon Schiele – Exzesse“, der mit seinem unverhohlenen Erotizismus die Gemälde des Mädchenmalers noch übertreffen wollte.

Vesely mag mit Klimt, der viele nackte Modelle gemalt hat, etwas Ähnliches vorgeschwebt haben. Aber sein Projekt wurde nichts. Mit Egon Schiele beginnt nun auch der „Klimt“ von Raoúl Ruiz. Der jüngere Maler sucht den alten Meister im Krankenhaus auf. Klimt liegt im Delirium. Er stirbt an den Folgen einer Syphilis, und vor seinem umnachteten Auge ziehen die Bilder vorbei, die in der nun vorliegenden Schnittfassung den Film ergeben. Die Weltausstellung in Paris spielt deswegen eine wichtige Rolle, weil Klimt hier der Frau begegnet, der er danach ständig hinterherfantasiert: Die schöne Tänzerin hat eine Doppelgängerin, sie entzieht sich und geistert durch die Geschichte. Sie wünscht sich ein Bild von sich, aber Klimt malt „keine Porträts, sondern nur Allegorien“. Raoúl Ruiz, ein Intellektueller des Kinos, hatte mit „Klimt“ anscheinend eine Dekadenzfantasie im Sinn, eine Studie über die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, als nicht nur die Sprache modrig wurde, sondern auch die Bilder zu zerfließen begannen.

Zugeich wurde das Kino erfunden, wozu es in „Klimt“ eine schöne Episode gibt: Bei einem Empfang anlässlich der Weltausstellung in Paris trifft Klimt auf den Filmpionier Georges Méliès, der eine kurze Szene mit Klimt und der Tänzerin gedreht hat. Beide werden von Doubles gespielt, und so entspinnt sich der Reigen der Täuschungen und Verdoppelungen.

Auch die Politik wird darin einbezogen, denn Klimt trifft immer wieder auf einen „Sekretär“, der zuerst für die österreichische Botschaft in Paris arbeitet, später für das Finanzministerium in Wien. Diese ephemere Persönlichkeit steht für die Zudringlichkeit des österreichischen Staats gleichermaßen wie für dessen phantasmatische Unerreichbarkeit.

Die distanzierte Nachsynchronisation dieser internationalen Produktion trägt zusätzlich zu einer Verfremdungserfahrung bei, die „Klimt“ prägt. Völlig ungerührt bewegt sich John Malkovich durch immer neue abgründige Szenarien. Die Kritiker wollen ihm übel, seine Mutter und seine Schwester bekommen hysterische Anfälle, die Modelle tuscheln in der Küche (und tragen seine zahlreichen Kinder aus), der Arzt Doktor Stein beschäftigt sich mit Bazillen, ein geheimnisvoller Herr Moritz lockt Klimt in ein Boudoir – in „Klimt“ gibt es so viel zu erleben, dass der Film nur mit weit geschlossenen Augen zu ertragen ist.

An dem Bild der Sexualität aus Stanley Kubricks letztem Film „Eyes Wide Shut“ scheint auch John Malkovich sich zu orientieren – wo alles Allegorie ist, bleibt der Spaß auf der Strecke. Der größte Mangel von „Klimt“ ist aber nicht, dass Malkovich den Maler wie einen Geist spielt, sondern dass die Bilder von Klimt mit den Bildern des Films nichts zu tun haben.

In der Fassung, die die Kinos erreicht, ist alles auf Ausstattung reduziert, auf teure Kostüme und edle Interieurs. Dass der Maler Klimt auf diese Welt reagiert hat, dass er als „Ornamentalist“ auch eine geistesgeschichtliche Position einnimmt, das alles ist in „Klimt“ zwischen den vielen Doppelgängern und Repräsentationsproblemen verloren gegangen.

Die Interessen von Raoúl Ruiz sind noch vage zu erkennen, eine Philosophie entsteht daraus nicht mehr, nur eine Postkarte, die eineinhalb Stunden dauert.

„Klimt“. Buch/Regie: Raoúl Ruiz.Mit John Malkovich, Veronica Ferres, Stephan Dillane, Suffron Burrows,Österreich 2006, 97 Minuten