15 Minuten Ruhm

Sat.1-Journalist Dirc Seemann durfte beim Champions-League-Finale Kommentator Werner Hansch vertreten

Es waren keine 20 Minuten gespielt beim Champions-League-Finale zwischen dem FC Barcelona und Arsenal London, noch stand es 0:0 – da verstummte auf einmal Kommentator Werner Hansch mitten im Satz.

Das Tonsignal war ausgefallen und mit ihm der ganze Übertragungswagen, mit dem Sat.1 exklusive Bilder von Paris nach Deutschland senden wollte, zum Beispiel von Nationaltorhüter Jens Lehmann. Durch den Ausfall konnte Sat.1 vorübergehend lediglich auf das international angebotene Bildmaterial zurückgreifen.

Normalerweise spricht der Kommentator nach einigen Minuten genauso plötzlich weiter, wie er aufgehört hat. Dieses Mal kam es jedoch anders: Nicht Hansch meldete sich zurück, sondern völlig überraschend eine fremde Männerstimme, die sich mit den Worten „Ja, dann übernehmen wir mal aus München das Spiel“ vorstellte.

Die Stimme aus München gehört Dirc Seemann, 41. Eine gute Viertelstunde lang vertrat er Werner Hansch – an seiner Performance scheiden sich die Geister: Manche bemängeln, dass er desorientiert wirkte, Spieler und Spielzüge durcheinander brachte und dies zu kaschieren versuchte, indem er künstlich Spannung erzeugte; andere finden, dass er seinen Job unter den gegebenen Umständen ganz gut gemacht hat: genauso souverän und unaufgeregt, wie auf dem Rasen Arsenals Ersatztorhüter Manuel Almunia den vom Platz gestellten Jens Lehmann in der 18. Spielminute ersetzte.

Mit einem entscheidenden Unterschied: Dirc Seemann saß nicht wie ein Ersatzkeeper seit Beginn der Champions League bei jedem Spiel in München und fieberte seinem Einsatz als Back-up-Kommentator entgegen. Vielmehr ist Seemann bei Sat.1 Leiter der Sportnachrichten, zu seinen Aufgaben gehören die Spielzusammenfassungen für die Sat.1- und N24-Nachrichtenformate.

So auch an diesem Abend: Seemann schaute sich gerade mit einem „glücklicherweise alkoholfreien“ Bier das Spiel an – ohne zu ahnen, dass er es wenige Minuten später dann vor mehr als acht Millionen Zuschauern kommentieren durfte. Und das ohne besondere Vorbereitung: „Wenn in 20 Sendungen nie was passiert, bereitest du dich auch nicht weiter vor.“ Das war aber auch nicht nötig, denn: „Barcelona und Arsenal sind ja bekannt, bei Bratislava gegen Lissabon wäre das ein bisschen schwieriger geworden.“ Kommentatorenerfahrung hat Seemann ohnehin, da er für den nur in Nordamerika empfangbaren Abo-Kanal ProSiebenSat.1 Welt regelmäßig von Bundesliga-Spielen berichtet. Dennoch: „Man konnte sich ja nicht ausmalen, dass ich dabei gleich eine der Fußballszenen des Jahres erwische“ – gemeint war die möglicherweise spielentscheidende rote Karte gegen Jens Lehmann.

Zunächst glaubte Seemann an einen schlechten Scherz: „Die Sat.1-Sportredaktion wird aufgelöst. Am Freitag ist eine Fete, und die Kollegen machen einen Abschiedsfilm. Ich dachte, die lassen mich das zum Spaß kommentieren. Zum Glück habe ich das im Kommentar nicht erwähnt.“ So brachte Seemann seinen Einsatz ohne größere Fehler hinter sich – und hat für die anstehende Jobsuche ein Bewerbungsvideo. MICHAEL BRAKE