Wichtiger als Adorno

Viel Licht und wenig Langeweile: Drei Tage Bob-Dylan-Kongress in Frankfurt am Main

Von den sechs Gästen auf dem Podium waren zumindest zwei als Diven bekannt

Freitagabend, Großer Sendesaal des Hessischen Rundfunks. Der zweite Tag des Frankfurter Bob-Dylan-Kongresses geht auf die Zielgerade, die Teilnehmer der Podiumsdiskussion „ ‚Don’t Look Back‘ – Dylan in Deutschland“ laufen ein: Susan Neiman vom Einstein-Institut in Potsdam, die Autoren Siegfried Schmidt-Joos, Günter Amendt und Diedrich Diederichsen, Hanns Peter Bushoff von Sony und der Musikologe Richard Klein. Im Foyer spielt das Trio Devilish DoubleDylans, im Repertoire haben die Musiker auch Bob Dylans auf John Lennon zielende „Ballad of a Thin Man“, mit der berühmten Zeile: „Because something is happening here and you don’t know what it is, do you, Mister Jones?“

Lennon, das hatte man am Freitagvormittag im Vortrag des HR-Literaturredakteurs Peter Kemper erfahren, konnte diesen Hieb nie verwinden, schlug mit verkrampften, eher peinlichen Dylan-Parodien zurück und verstieß ihn aus seinem Olymp: „I don’t believe in Zimmerman!“ Davon hat sich Dylan, wie man weiß, bis heute nicht erholt. Nach Kempers Lehrstück über die Ambivalenz zwischen Dylan und Lennon sah der anfängliche Dylan-Vergötterer und spätere Dylan-Schmäher Lennon aus wie ein plärrendes Ich-habe-keine-Mutter-Söhnchen und ein wütender Vatermörder.

Nach seiner fundierten Kulturarchäologiearbeit hatte Kemper am Abend Moderationsaufgaben, und darum beneidete man ihn nicht unbedingt. Von den sechs Gästen auf dem Podium waren zumindest zwei als Diven bekannt. Günter Amendt hatte zwar salopp erklärt: „Bobby ist mein Hobby“, aber der mit Dylan-Wissen gesättigte Mann war in seiner leidenschaftlichen Verehrung zeitweise kaum zu bremsen. Diedrich Diederichsen saß mit tonnenschwerer Brille und fuchtelnden Hände im Stuhl, kartoffelbreite vor sich hin und beantwortete die Bitte um „ein Schlagwort“ zu Bob Dylan mit den Verweisen auf Andy Warhol, den Film „Renaldo And Clara“ und einen Besuch in St. Louis. So macht man das als Karl Lagerfeld der Popkultur.

Wundervoll war der Blick, den sich Diederichsen für seine uferlosen Ventilationen von Susan Neiman einfing. Die Philosophin war fassungslos über den Mangel an Empathie. Für sie ist Dylan die „amerikanische Nationalhymne“, und das leuchtet ein: Dylan hat das große amerikanische Songbook komplett aufgesogen, Jimmy Rodgers ebenso wie Woody Guthrie und Hank Williams, hat alles Material verdaut und als unverwechselbares Werk von Bob Dylan wiederausgespuckt. Ihr Bekenntnis, es „bis heute unverzeihlich“ zu finden, für ein Wittgenstein-Seminar ein Konzert der „Rolling Thunder Review“-Tour von Dylan sausen gelassen zu haben, sah nicht nach Koketterie aus.

Dass die Furcht, bei einem Dylan-Kongress auf verquaste Dylanologen zu treffen, nicht unbegründet war, bewies Richard Klein. Der studierte Kirchenmusiker, Wagnerianer und Musikologe hatte schon in seinem Vortrag über „Dylan als Herausforderung der Ästhetik“ mit Banalitäten um sich geworfen. Dass Dylan mit „Nashville Skyline“ seine Bruststimme entdeckte und so seinem Gesang mehr Raum und Tiefe gab, ist ja richtig – nur muss man dafür nicht einem Schwallhans lauschen, der in einer äußerst zäh verstreichenden Stunde über Resonanzräume weniger sagt als eine gute Gesangslehrerin in zehn Minuten. Klein praktiziert die akademische Methode, ein Gesamtwerk zu parzellieren, sich seinen Claim abzustecken und ihn für singulär bedeutsam zu erklären. Ginge es nach Klein, wäre Dylan kein allumfassender Mystiker, sondern ein beschränkt predigender Kirchenmusikus.

Klein war nicht der Einzige, der immerzu von Bob Dylans „Narrativität“ und „Performität“ sprach. Spätestens nach dem zehnten Mal wollte man das wirklich perforieren. Oder den Kongress zum Lied bitten: Wir lagen vor Narrativik und hatten Performik an Bord. Dass es aber Vorträge über „Verweigerung als Mesmerismus“ gab, erstaunte nicht nur Messiasse.

Am Abschlusssamstag fand Klaus Theweleit klare Worte: „Die Amerikaner lieben nicht Gott, sondern nur das Göttliche in sich selbst.“ Matthias Beltz, per Filmeinspielung noch einmal zurückkommend, hatte das schönste Geschenk für die Frankfurter Schule: „Dylan war wichtiger als Adorno.“ Dafür allein hätte sich der Dylan-Kongress schon gelohnt. Und für die Geschichte, die der wunderbare Siegfried Schmidt-Joos erzählte: wie Bob Dylan nach einem Konzert im Madison Square Garden vom Boss seiner Plattenfirma zu einem nächtlichen Essen gebeten wurde, zwei Stunden zu spät kam und seine ganze jüdische Familie mitbrachte, allen voran seine Mutter. „Du isst nicht genug, Bob“, sagte sie. „Nur Haut und Knochen, Bob.“ Da wird aus „It’s Alright, Ma“ schnell „Du nervst, Ma.“ WIGLAF DROSTE