Erst heiraten, dann abtreiben

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Es war eine Hochzeit der besonderen Art. Im September 1975 gaben die Dortmunder Ruhr Nachrichten (RN) und die Recklinghäuser Zeitung (RZ) bekannt, ab November 1975 im Verbreitungsgebiet der RZ beide Blätter gemeinsam zu vertreiben. Außerdem – und das war die eigentliche Heirat – kündigten die Ruhr Nachrichten an, sich mit 40 Prozent an der RZ zu beteiligen. Was Folgen haben sollte. Denn nur wenige Tage nach der offiziellen Trauung verkündete RN-Verleger Florian Lensing-Wolff, drei Lokalredaktionen zu schließen: in Datteln, Waltrop und in Recklinghausen. Oder anders gesagt: im Verbreitungsgebiet der RZ.

Heute, gut 30 Jahre später, wiederholt sich die Geschichte. Wieder wird kooperiert. Wieder werden Redaktionen geschlossen. Und wieder läuft alles ab wie damals. Anfang Januar genehmigte das Bundeskartellamt den RN und der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), ein gemeinsames Unternehmen aufzubauen: eine Druckerei, wie es beim Kartellamt heißt. Die Verlage selbst schweigen bis heute zur Sache. Sicher ist nur: Die einst verfeindeten Häuser hatten sich verbündet. Was Folgen haben sollte: Nur wenige Tage nach dem Kartellamts-Segen verkündete RN-Verleger Lambert Lensing-Wolff, Florians Sohn, drei Lokalredaktionen zu schließen: in Bottrop, Gladbeck und in Gelsenkirchen. Oder anders gesagt: im Verbreitungsgebiet der WAZ.

Ob damals oder heute – die Folgen sind dieselben. Durch den Rückzug der einen sollte eine andere Zeitung profitieren. Früher die RZ, heute die WAZ. Die aktuellen Vorgänge hatten nur einen Schönheitsfehler: Durch den Rückzug der RN ist die WAZ zwar in Bottrop und Gladbeck seit dem 1. April die einzige Lokalzeitung. In Gelsenkirchen aber steht dem Monopol noch ein Blatt im Weg: die Buersche Zeitung (BZ). Doch wie es der Zufall will: Auch die macht zu. Ausgerechnet am letzten Produktionstag der RN gab BZ-Verleger Kurt Bauer das Aus bekannt. Am 30. September soll die letzte Ausgabe der BZ erscheinen. Dann ist Feierabend. Nach genau 125 Jahren. Interessant daran: Bauer ist gut bekannt mit RN-Verleger Lensing-Wolff. Mit ihm teilt er sich die Recklinhäuser Zeitung. Zudem lieferte Bauers Buersche den Ruhr Nachrichten bis zur Einstellung den Gelsenkirchener Lokalteil.

Genau das, sagt Bauer, Verleger mehrerer Zeitungen, außerdem beteiligt am Lokalsender Hit Radio Vest und einer Veranstaltungsagentur, habe ihm das Genick gebrochen. Bisher erhielt er für die Zulieferung des Lokalteils von den RN 320.000 Euro im Jahr. Die fallen nun weg. Weshalb er sich gezwungen sehe, das Erscheinen der Buerschen einzustellen, sagte Bauer vorige Woche bei einem Arbeitsgerichtsprozess in Gelsenkirchen. Dass dies der einzige Grund für das plötzliche Aus der BZ sein soll, wollen viele im Ruhrgebiet aber nicht glauben. Immerhin: Mit einer Auflage von rund 8.000 Exemplaren kann sich die BZ, zumal als klassische Stadtteilzeitung, durchaus sehen lassen. Wäre sie also doch noch zu retten?

Arbeitsplatzvernichtung

Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski war bisher der einzige, der offen aussprach, was in anderen Rathäusern bloß hinter vorgehaltener Hand vermutet wird. Mit der Buerschen brach dem Sozialdemokraten binnen kürzester Zeit die zweite von drei Lokalzeitungen weg. Der OB witterte schließlich Kalkül hinter den Redaktionsschließungen. Anfang April sagte Baranowski der taz, die Vermutung liege nahe, „dass sich die Verlage das Ruhrgebiet aufgeteilt haben“. Woraufhin die Anwälte des BZ-Verlegers Baranowski umgehend aufforderten, seine Äußerung zurückzunehmen. Dabei ist der OB nicht der einzige, der eine Absprache unter Verlegern für möglich hält. Auch der Dortmunder Medienexperte Horst Röper sprach von „Auffälligkeiten“ im Hinblick auf die BZ-Einstellung. Ähnlicher Ansicht ist auch die Gewerkschaft, die den Verlust der Pressevielfalt anprangert und neben Bauer auch RN-Verleger Lensing-Wolff vorwirft, „ohne wirtschaftliche Not“ Arbeitsplätze zu vernichten.

Am vergangenen Sonntag protestierte der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) in der Recklinghäuser Innenstadt. Auf knallroten Handzetteln informierte der DJV die Menschen über das drohende Aus der BZ. Ein günstiger Zeitpunkt: Auf dem Altstadtmarkt feierte BZ-Verleger Bauer gerade das 175-jährige Bestehen seines Verlagshauses. Rudi Assauer war da, Kinder wurden auf der Bühne betätschelt, einige Lokalgrößen durchgereicht. Und die Gewerkschaft sammelte rund 1.000 Unterschriften für den Erhalt der Pressevielfalt im Revier. Mit großen Schildern, auf denen eine mit Dynamit gespickte Geburtstagstorte abgebildet war, mischten sich die Gewerkschafter unters Volk. Was Bauer natürlich gar nicht gerne sah.

In erster Linie wollen die Gewerkschaften die Menschen informieren, was sich bei ihren Lokalzeitungen zwischen den Zeilen abspielt. Was es bedeutet, wenn künftig nur eine in ihrer Stadt existiert statt zwei oder drei. Und: Wer dahinter steckt. Denn wenn die meisten Zeitungstitel den Menschen im Revier auch bekannt sein dürften – aus welchen Verlagen die Blätter kommen, wissen die wenigsten.

Eiskalter Rechner

Wer hat schon eine Ahnung davon, was zum Beispiel die Ostruhr-Anzeigengesellschaft (ORA) ist? Die Titel aber, die von der ORA vertrieben werden, sind im Pott so ziemlich jedem bekannt. Es sind die kostenlosen Anzeigenblätter namens Stadtspiegel oder Stadtanzeiger, die zwei Mal wöchentlich zwischen Gladbeck und Witten in die Hausflure fallen. In einer beachtlich hohen Auflage von fast 1,2 Millionen Exemplaren bei 15 Titeln.

Die ORA ist ein weiteres Paradebeispiel dafür, wie eng die Verlage im Ruhrgebiet zusammenhängen. Auch hier erklärt ein Blick in die Siebzigerjahre Einiges. Damals war das Ruhrgebiet regelrecht beherrscht von einer Pressefehde, die vor allem die RN und die WAZ ausfochten. Die Verlage stritten sich um Anzeigenblätter und Anzeigenpreise, landeten dabei häufig vor Gericht. Und immer wieder kursierten Gerüchte, die WAZ habe Interesse, die RN zu schlucken.

Noch im Juni 1977 titelt Die Welt: „Bot die WAZ-Gruppe 50 Millionen für die Ruhr Nachrichten?“ Die Anzahl gerichtlicher Auseinandersetzungen ebbte erst ein halbes Jahr später ab, als etwas geschah, was der Gelsenkirchener Journalistikprofessor Karl-Martin Obermeier einen „schmutzigen Deal“ nennt: Zum 1. Januar 1978 gründeten WAZ und RN die ORA, die ihnen noch heute zu gleichen Teilen gehört.

Im Wissen, wie die Verlage untereinander verbandelt sind, fällt es zumindest schwer, nach den jüngsten Ereignissen nicht an einen Deal zu glauben. Zumindest Lensing-Wolff ist bekannt als eiskalter Rechner, der seine Pläne durchsetzt – komme, was da wolle. Wenngleich die Schließung der RN-Redaktionen noch als wirtschaftlich durchgehen könnte. Die Auflage je Stadt zählte zuletzt nicht mal mehr 3.000 Stück.

Allerdings: Genau so brachial, wie Lensing-Wolff wirtschaftet, geht er auch mit seinen Mitarbeitern um. Wie in den 70ern wurde die Hochzeit mit der RN klammheimlich und auf höchster Ebene besiegelt. Erst dann wurden die Mitarbeiter informiert. Das ist die Kehrseite der Medaille: Nicht nur verlieren die Revier-Bewohner ein erhebliches Stück Pressevielfalt. Auch fallen der Pressekonzentration etliche Arbeitsplätze zum Opfer. Was genau die Gründe dafür sind, sei dahin gestellt. Zu den Vorwürfen äußern wollten sich die beteiligten Verlage bislang jedenfalls nicht.