Ausgebremst von Sachverständigen

Der Schreiner Peter Röder ist krank. In seiner Ausbildung hat er die giftigen Dämpfe von Lösemitteln eingeatmet. Fragwürdige Gutachten verhindern, dass er entschädigt wird

Tausende durch den Kontakt mit Lösemitteln erkrankte Arbeiter warten auf ihre EntschädigungPeter Röder klagt gegen die Gutachter: Der Schreiner hofft, dass sein Fall zu einem Präzedenzfall wird

AUS THÜNGEN TILL HOPPE

Der Zweimetermann zuckt zusammen und verzieht das Gesicht, wenn die Schmerzen besonders heftig werden. Die Schübe kommen häufig, trotzdem erzählt Peter Röder weiter. Von seiner Schreinerlehre in einem Betrieb nahe Würzburg, während der er jahrelang ohne geeignete Schutzkleidung mit Holzschutzmitteln arbeiten musste, die giftige Lösemittel enthielten. „Meine Kleidung war durchtränkt von dem Zeug“, sagt er. Seitdem leidet der heute 42-Jährige an Schmerzen in Armen und Beinen, an Magen-Darm-Blutungen und Konzentrationsstörungen – die Liste lässt sich noch ein gutes Stück verlängern. Seit zehn Jahren versucht Röder, sich seine Leiden als Berufskrankheit anerkennen zu lassen. Ohne Erfolg: Die Berufsgenossenschaft (BG) Holz, die als Unfallversicherung des Betriebs eine Entschädigung zahlen müsste, weigert sich hartnäckig.

Die BG stützt sich dabei auf mehrere medizinische Gutachten, die die Beschwerden Röders zum Teil komplett leugnen oder einen Zusammenhang mit dem Giftstoffkontakt verneinen. Dabei bestätigen zahlreiche fachärztliche Untersuchungen, dass er viele für eine Lösemittelvergiftung typische Symptome aufweist.

Röder ist keineswegs ein Einzelfall. Wie er warten tausende durch den Kontakt mit Lösemitteln erkrankte Arbeiter auf ihre Entschädigung. Sie scheitern regelmäßig an einem Geflecht aus zahlungsunwilligen Berufsgenossenschaften und willfährigen Ärzten, die mit medizinisch fragwürdigen Gutachten helfen, die Ansprüche der Betroffenen abzuschmettern.

Röder will sich das nicht länger bieten lassen. Er hat zwei der Sachverständigen, den Jenaer Professor Rainer Schiele und den Würzburger Arbeitsmediziner Manfred Schmidt, angezeigt. Sein Vorwurf: Fälschung medizinischer Gutachten. „Die beiden haben ungefähr 50 Befunde ignoriert oder zeitlich fälschlicherweise so eingeordnet, dass sie gegen Lösemittel als Krankheitsursache sprechen“, sagt Röder. Er hofft, dass sein Fall zu einem Präzedenzfall wird: „Wenn im Rahmen der Beweisaufnahme weitere Fakten ans Licht kämen, könnte endlich das System aufgedeckt werden.“

Einen Teilerfolg konnte Röder im vergangenen Jahr verbuchen. Nach jahrelanger Recherche in medizinischen Fachbüchern und Zeitschriften deckte er einen gravierenden Fehler im einschlägigen Merkblatt des Bundesarbeitsministeriums auf, der daraufhin behoben wurde.

In der Diagnoserichtlinie für begutachtende Ärzte war behauptet worden, dass sich die Leiden nach Ende des Kontakts mit den Lösemitteln nicht verschlimmern können – genau das aber war bei vielen Betroffenen der Fall. Durch die Änderung des Merkblatts konnten zahlreiche kranke Arbeiter neue Hoffnung auf eine Berufsrente schöpfen.

Für Röder selbst hat sich dadurch allerdings bislang nichts geändert. Seine Gutachter führen die – falsche – Behauptung des alten Merkblatts weiterhin als wichtigen Grund für ihre Ablehnung von Röders Antrag an. Laut Röder würde Schiele außerdem mehrere ärztliche Befunde aus den Achtzigerjahren unterschlagen, die auf die typischen Symptome für eine Schädigung des Nerven- und Immunsystems hindeuten – angeblich um die lange Zeit zwischen Ausbildungsende und Beginn der Krankheiten als Ablehnungsgrund anführen zu können.

Auch das Ausmaß, in dem Röder während der Arbeit mit giftigen Lösemitteln Kontakt hatte, wird von Schiele falsch dargestellt, behauptet der kranke Schreiner. Röder habe nur ein halbes Jahr lang mit Lösemitteln gearbeitet, die die gefährlichen Chemikalien PCP und Lindan enthielten, schreibt Schiele in seinem Gutachten. Anschließend seien die Stoffe durch ungiftige ersetzt worden. Röders Anwalt Hanns-Georg Weit konnte der taz allerdings Papiere vorlegen, die belegen, dass sein Mandant weitere drei Jahre mit Lindan-haltigen Lösemitteln arbeiten musste.

Bei dem zweiten Sachverständigen Schmidt verwundert bereits die Tatsache, dass dieser in dem Fall überhaupt begutachten darf. Denn Schmidt arbeitete während der Ausbildung Röders als Arzt für das Gewerbeamt Würzburg. In dieser Funktion war er dafür zuständig, die Arbeitsbedingungen in den Betrieben zu kontrollieren und dafür zu sorgen, dass alle Sicherheitsvorschriften eingehalten wurden. Wenn er Röder bescheinigen würde, durch seine Arbeit krank geworden zu sein, würde er sich somit gewissermaßen selbst belasten.

Schiele weist die Anschuldigungen gegen sich zurück. „Ich habe mir nichts vorzuwerfen“, sagte er der taz. Seine Befunde stünden im Einklang mit früheren Gutachten, etwa dem des Arbeitsmediziners Gerhard Lehnert. Ob Lehnert aber als Entlastungszeuge geeignet ist, darf bezweifelt werden. Denn dem mittlerweile emeritierten Erlanger Professor wurden mehrere Gutachtenfälschungen nachgewiesen, nach einem Gerichtsurteil darf er deshalb als „Professor für Unbedenklichkeit“ bezeichnet werden. Dennoch genießt er unter Arbeitsmedizinern weiterhin großes Ansehen, auch bei seinem ehemaligen Schüler Schiele. „Er hat zu mir gesagt, dass er niemals ein Gutachten schreiben würde, das der Meinung Lehnerts entgegen stehen würde“, sagt Röder.

Trotz der Fülle an belastenden Fakten, die Röder gegen seine beiden Gutachter vorbringen kann, ist noch unklar, ob es zu einem Prozess kommen wird. Die zuständige Würzburger Staatsanwaltschaft hat es zunächst abgelehnt, ein Ermittlungsverfahren gegen Schiele und Schmidt einzuleiten. Es lägen „keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beschuldigten wider besseres Wissen gehandelt hätten“, heißt es zur Begründung. Röders Anwalt Weit kritisiert aber, dass die Staatsanwälte den Vorwürfen überhaupt nicht nachgegangen seien: „Die Untersuchungsakte zeigt, dass überhaupt nicht ermittelt wurde.“ Er hat Widerspruch gegen die Entscheidung eingelegt.

Peter Röder hat den Verein „Initiative kritischer Umweltgeschädigter“ gegründet. Um die Kosten des Prozesses tragen zu können, ist die Initative auf Spenden angewiesen. Kontonummer: 521 906 Bankleitzahl: 790 691 50, Raiffeisenbank: Karlstadt-Gemünden e. G. – Spendenquittungen werden auf Wunsch zugesandt. Im Internet unter: www.bk1317.de