Schwarzbuch Air Berlin

AUS BERLIN ULRICH SCHULTE

Gewerkschaften dürften für Joachim Hunold ungefähr das sein, was für einen Piloten ein klemmendes Fahrwerk kurz vor der Landung ist. Der Geschäftsführer der Fluggesellschaft Air Berlin hasst Arbeitnehmervertreter. „Zusammen mit den wankelmütigen Politikern bereiten die egozentrischen [Gewerkschafts-, d. Red.]Funktionäre damit den Nährboden für Zustände, wie Deutschland sie zuletzt während der Weimarer Republik erlebt hatte“, schreibt Hunold in der September-Ausgabe 2003 des Bordmagazins, das in seinen Fliegern ausliegt. Und fügt hinzu: „Das Ergebnis ist bekannt.“

Als Historiker hätte der bullige 56-Jährige mit solchen Thesen wohl wenig Erfolg. Als Unternehmer schon. Der Rheinländer mit Glatze, der wie ein Patriarch über die Fluggesellschaft Air Berlin herrscht, hat sie von einer kleinen Klitsche zu Deutschlands zweitgrößter Airline gemacht. Doch die Erfolgsstory des Unternehmens, das heute an die Börse geht (Text unten), hat einen Preis: Gewerkschaften kritisieren seit Jahren fehlende Mitbestimmungsrechte der Angestellten, niedrige Gehälter und schlechte Arbeitsbedingungen.

Wer darüber etwas herausfinden will, bekommt leicht das Gefühl, um eine abgeschottete Festung zu schleichen, aus der wenig herausdringt. Eine Mitarbeitervertretung, etwa einen Betriebsrat, gibt es nicht. „Den Beschäftigten wird gesagt: Wer in die Gewerkschaft eintritt, fliegt raus“, sagt Holger Rößler, der bei Ver.di für den Luftverkehr Berlin-Brandenburg zuständig ist. Solche Drohungen gebe es nicht, heißt es bei Air Berlin. Die Neigung der Mitarbeiter, Kritik zu äußern, ist entsprechend gering. „Wir laufen gegen eine Wand aus Angst“, so Rößler. Um ihre Quellen zu schützen, vermitteln die Gewerkschaften keinen Kontakt zu Beschäftigten, auch nicht, wenn Anonymität zugesagt wird.

In der Airline, für die 2.700 Menschen arbeiten, sorgt Hunolds autokratischer Führungsstil schon lange für Unruhe. Zum Beispiel unter den Piloten, der privilegiertesten Berufsgruppe. In einem internen Internet-Forum, dessen Beiträge der taz vorliegen, tauschen sie sich anonym aus. Der „Umgang mit den Mitarbeitern“ sei mehr als verbesserungswürdig, schreibt ein Pilot. „Es gibt faktisch keine Vertrauenspersonen, die Stationsleiter sind dafür kein Ersatz.“ Immer mehr Unzufriedene organisieren sich. Mehr als ein Drittel der 500 Air-Berlin-Piloten sei inzwischen in die Pilotenvereinigung Cockpit eingetreten, sagt deren Sprecher Markus Kirschneck.

Für Hunold ist die Sache einfach: Wer zur Air-Berlin-Familie gehören will, muss auf Mitbestimmung verzichten. „Ich zwinge keinen, bei uns zu arbeiten. Jeder, der hier anfängt, sieht die Vertragsbedingungen.“ Das Betriebsverfassungsgesetz, das die Rechte von Betriebsräten stärkt, gibt ihm eine gute Position: Es billigt fliegendem Personal keine Mitarbeitervertretung zu. Nur durch einen Tarifvertrag könne eine Vertretung „für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer“ errichtet werden, steht dort. Wo keine Gewerkschaft, da kein Tarifvertrag.

Bei den Dienstzeiten nutzt Air Berlin das, was der Gesetzgeber an Arbeitsregelungen vorgibt, bis an die Grenze des Erlaubten aus. Ein Pilot bemängelt in dem Internetforum voll gestopfte Schichten. Einiges müsse sich tun, „so dass man nicht ständig nur am legalen Limit arbeitet“. Ein anderer regt sich darüber auf, dass Flugzeugführer bei den Gesellschaften Hapag, DBA oder LTU bis zu 50 Prozent mehr verdienen – bei weniger Arbeit. „Wie kann es sein, dass wir keine Altersvorsorge bei AB erhalten?“, fragt er. Ein Flugkapitän verdient bei Air Berlin mit Aufschlägen nach Firmenangaben fast 100.000 Euro im Jahr. Klagen auf hohem Niveau also, im Vergleich mit anderen Gesellschaften verdienen sie aber wenig. Im Börsenprospekt wirbt das Unternehmen mit seinen niedrigen Arbeitskosten. Air Berlin gab 2005 9,6 Prozent des Umsatzes für Gehälter aus, von solchen Zahlen träumen andere Airline-Bosse.

Die Vereinigung Cockpit kritisiert vor allem das Entlohnungssystem. Air Berlin zahlt einen niedrigen Grundlohn, für jede Flugstunde gibt es Aufschläge. Wer viel fliegt, verdient viel. Ein System, dass extrem ungerecht ist, findet Sprecher Kirschneck. Denn als Flugstunde zählt nur die Stunde, in der sich das Flugzeug bewegt. Kirschneck rechnet vor: Ein Jetpilot, der morgens in Nürnberg abhebt, zu den Kanaren fliegt und wieder zurück, ist zehn Stunden unterwegs – für sieben Stunden bekommt er die Aufschläge. Ein Jetpilot, der in Düsseldorf startet, absolviert mehrere Kurzflüge hintereinander. Viele Starts, viele Landungen, viel Stress, weniger Geld. Teilweise liegen die Starts in den späten Nachtstunden. „Nach ein paar Tagen ist der Biorhythmus des Düsseldorfers nicht mehr existent“, sagt Kirschneck.

Illegal sind übermüdete Piloten allerdings nicht. Nach deutschem Gesetz darf ein Pilot 14 Stunden am Stück arbeiten. Es gibt Erzählungen darüber, wie sich die Müdigkeit auf manchen Air-Berlin-Flügen bemerkbar macht. Wer solchen Unsinn öffentlich erzähle, werde vom Unternehmen verklagt, droht der Air-Berlin-Sprecher. Deshalb stehen sie hier nicht. Solche Geschichte spielen sich in einer rechtlichen Grauzone ab. Die Passagiere bekommen es kaum mit, wenn müdes Kabinenpersonal etwas unaufmerksamer ist. Air Berlin fliegt bislang unfallfrei, dass die junge Fliegerflotte einwandfrei gewartet wird, bestreitet selbst der engagierteste Gewerkschafter nicht.

Für die Freundlichkeit seiner Kabinen-Mitarbeiter ist Air Berlin schon ausgezeichnet worden. Steffen Kühhirt, Ver.di-Fachgruppenleiter Luftverkehr, schätzt das Grundgehalt einer freundlichen Stewardess auf unter 1.000 Euro brutto. Dazu kämen Aufschläge. Das Unternehmen beteuert, eine 21-jährige Berufsanfängerin komme auf 1.350 Euro netto. Das Kabinenpersonal stellt Air Berlin über eine Unterfirma ein, die CHS Cabin und Handling Service. 60 Prozent der rund 1.000 Angestellten arbeiten mit Zeitverträgen, sie werden pro Saison oder für zwei Jahre abgeschlossen – StudentInnen fliegen gerne im Nebenjob. „In der Kabine findet eine Entwertung statt“, kritisiert Kühhirt. „Denn eigentlich sind die Mitarbeiter für die Sicherheit da und nur in zweiter Linie für den Service.“ Was Air Berlin wichtig findet, bringt die Airline den Bewerbern in sechswöchigen Lehrgängen bei. Ein Gehalt bekommen sie in dieser Zeit nicht.

Der Unternehmenssprecher Peter Hauptvogel, ein enger Vertrauter Hunolds, ist ein jovialer Typ, der eine ganz andere Geschichte erzählt. Sie handelt von einem jungen, aufstrebenden Unternehmen, in dem sich die Mitarbeiter duzen, in dem Probleme offen angesprochen werden, in dem alle gerne mal länger arbeiten, wenn es nötig ist. Er vermutet hinter den Vorwürfen ganz andere Interessen der Pilotenvereinigung Cockpit. Über 80 Prozent ihrer Mitglieder seien Lufthansa-Piloten, sagt er. „Und die haben natürlich kein Interesse an starken Wettbewerbern.“ Ganz von der Hand zu weisen ist der Vorwurf nicht, auch wenn die Vereinigung argumentiert, sie schicke nur Piloten aus dem jeweiligen Unternehmen zum Verhandeln. Mit den Air-Berlin-Chefs würden nur Air-Berlin-Piloten sprechen.

Hauptvogel weist auch andere Kritikpunkte zurück. Die kritischen Piloten in dem Internetforum seien „wenige Querulanten und immer dieselben“. Hauptvogel verweist auf Preise, die Air Berlin eingeheimst hat, zum Beispiel den des Reisemagazins ADAC Traveller im Januar – als bester deutscher Billigflieger. „Glauben Sie, unsere Servicekräfte wären so freundlich, wenn wir sie knechten und auspeitschen würden?“