Der Kinderkick

Die ARD setzt ihren Show-Man Harald Schmidt als demografischen Geburtenhelfer ein und beschenkt schwangere Akademikerinnen mit WM-Tickets. Ein Mediengag oder ein Anreiz-System mit Zukunft?

VON VANESSA SEIFERT

Das Krankheitsbild ist eindeutig: Die Nation schwankt in diesen Tagen zwischen Fußball-Manie und Geburten-Depression. Die einen singen mit WM-Maskottchen Goleo, der praktischerweise die Hosen schon runtergelassen hat, eine Hymne auf die „Love Generation“. Und die anderen stimmen derweil das Klagelied an, dass Liebe allein offensichtlich nicht zwingend zur Reproduktion führt.

Wie passend, dass jetzt endlich mal jemand medienwirksam und allzweck-therapeuthisch erkannt hat, dass Sport und Schöpfung schon irgendwie zusammenpassen. Zumindest für eine Fernsehsendung. Harald Schmidt ist dieser Stürmer, der sich mal an den Elfmeterpunkt gestellt hat, um den Politikern zu zeigen, warum sie eigentlich dauernd im Rückstand sind. Seine These: Selbst wenn „unsere Jungs“ in der Vorrunde ausscheiden, können wir doch noch Weltmeister werden – Geburtenweltmeister! Vorausgesetzt, die Anreize stimmen.

Anreiz WM-Ticket

Es geht nämlich gar nicht um Krippenplätze, Ganztagsbetreuung, Modelle zur Teilzeitarbeit, Elterngeld. Nein, alles Kleinigkeiten. Harald Schmidt weiß, was Frauen wirklich wollen. Und mit ein bisschen Glück vor allem die Männer: WM-Tickets!

Im Januar 2005 hatte Schmidt, selbst übrigens vierfacher Vater, in seiner Sendung insbesondere die „Problemgruppe“ der Akademikerinnen zum nationalen „Zeugungsförderungswettbewerb“ aufgerufen. Allen, die bis zum Jahresende schwanger werden würden, versprach Schmidt Karten für die Fußballweltmeisterschaft. Tja, und frei nach dem Werbespruch eines amerikanischen Brauseherstellers („Make it real – it’s your Heimspiel“) wurde daraufhin in deutschen Betten der ein oder andere Treffer versenkt. Fast zehn kleine Fußballmannschaften – oder besser gesagt: 108 Nachwuchsintellektuelle – seien unterwegs, verkündete die ARD kurz darauf stolz. Nur stellte Obermotivator Harald Schmidt dann plötzlich fest, dass er selbst den Ball ziemlich weit übers Tor hinausgeschossen hatte: Weil Schmidt nämlich gar keine Tickets besaß, die er verschenken hätte können.

Doch wenn es um die großen Dinge des Lebens geht, also um die Zukunft einer guten Sache wie das Land oder das Firmenimage oder eben um Fußball, dann ist Gott sei Dank auf Sponsoren Verlass. So half die deutsche Telekom dem Entertainer aus der Falle und stellte genau 216 WM-Eintrittskarten für die 108 Elternpaare zur Verfügung.

Am Samstag war es dann endlich so weit. In heimeliger Atmosphäre zwischen Biertischen und bequemen Holzbänken – für Schwangere ja bekanntermaßen besonders rückenschonend – wurden die Tickets im Rahmen einer Sondersendung verlost. Damit auch noch ein paar weitere nicht-schwangere Frauen bei der Übergabe anwesend sind, hatte Schmidt zuvor drei Möchtegern-Models gecastet, die nur zu gern „Germany’s Next Spielerfrau“ werden möchten. Dafür muss frau nur nett lächelnd WM-Karten überreichen können und wissen, dass das Runde irgendwie in das Eckige gehört.

Kaum Unterhaltungsreiz

Das Ziel der Nachwuchsförderung hatte Schmidt immerhin mit seiner zynisch karikierten Aktion erreicht. Bei der Zielvorgabe „Quote“ sah er weniger erfolgreich aus. Gerade einmal 1,81 Millionen Zuschauer (ab drei Jahre) wollten Schmidts Sondereinsatz sehen. Kein Wunder, denn spektakuläre verbale Zweikämpfe gab’s keine. Stattdessen schoben 80 Schwangere nacheinander ihre Babybäuche durchs Bild. Das ist schon spannend. Nach ARD-Maßstäben auf jeden Fall.

Ihr Allzweck-Agent Schmidt garnierte schließlich das Ganze mit brandaktuellen Erkenntnissen aus der Babypflege. Nach dem Motto: „Nicht pudern, das scheuert dann nur.“ Und wie Eltern ihren Nachwuchs an regelmäßiges Schlafen gewöhnen, auch das weiß Schmidt: „Hinlegen, Licht aus und einmal um den Block fahren.“ Wahlweise wahrscheinlich auch zum Fußball gehen. Zu einer Sendezeit, in der die ARD an einem gewöhnlichen Samstag ihre Bundesliga-Sportschau sendet, mag das für Zuschauer noch die schönste Vorstellung gewesen sein.

Die ganz andere, gesellschaftliche Erklärung für den Misserfolg lässt immerhin den kopfklaren Rest der sonst so demografie-alarmierten Zuschauerschaft aufatmen. Der Aufruf „Kinder für Deutschland“ dürfte nicht nur bei studierten Historikerinnen eine Übelkeit ausgelöst haben. Mit Schuldzuweisungen an Nicht-Väter und Nicht-Mütter, mit nationalen Appellen und aufgerüschten politischen Geldgeschenken lässt sich eben immer noch kein Kinder produzieren. Aber schrilles Fernsehen.