Luftschlösser und Canaletto-Blick

Veduten im Kopf: Dresden feiert sein 800-jähriges Jubiläum. Dabei schwanken die Statements in den Ausstellungen zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Stadt zwischen Lobeshymnen und demonstrativer Zurückhaltung

In der Redeweise von der Herrlichkeit Dresdens schwingt die Idee einer Stadt mit, die es nicht mehr gibt

VON ROBERT HODONYI

Als 1987 das 750-jährige Stadtjubiläum Berlins in Ost wie West mit viel Pomp und Glanz begangen wurde, sah man in Dresden immer wieder Graffiti und Kreidezeichnungen auf Straßen und Häuserwänden, die den Schriftzug „781 Jahre Dresden“ trugen. Als Affront gegen den ungeliebten Hauptstadtkult gerichtet, wurde die informelle Kampagne „781 Jahre Dresden“ zur rebellischen Verweigerungsgeste der sozialistischen Provinz, die für die offiziellen Staatsfeierlichkeiten und deren selbstherrliche Repräsentation nur Spott übrig hatte.

Zum 800-jährigen Stadtjubiläum ist in Dresden vom subversiv-ironischen Unterton allerdings nicht viel übrig geblieben. Bedeutungsschwer inszeniert sich die Stadt als eine vom Barock geprägte Kunstmetropole. Dresden sei eben doch eine „Weltanschauung“, erklärte Oberbürgermeister Ingolf Roßberg im Rahmen der Festlichkeiten.

Nichts gegen eine exzessive Party, aber was gibt es eigentlich zu feiern? Gerade erst wurde mit dem Totalverkauf der Woba Dresden GmbH die perspektivische Steuerung der Wohnungs- und damit Sozialpolitik an das Unternehmen Fortress überschrieben. Des Weiteren haben laut einer aktuellen Erhebung randständige Gebiete wie Prohlis, Reick oder Gorbitz inzwischen Armutsraten von über 20 Prozent, stieg die Jugendarbeitslosigkeit in den letzten Jahren insgesamt drastisch an.

In der sturen Redeweise von der unglaublichen Herrlichkeit Dresdens schwingt bis heute immer auch die Kopräsenz einer Stadt mit, die längst nicht mehr existiert. Dresden sei Ausdruck einer rückwärts gewandten „Utopie“, meint der Soziologe Karl-Siegbert Rehberg. Hier, so scheint es, sind die „Veduten im Kopf“ (Wolfgang Pehnt) präsenter als anderswo und werden die ewig gleichen Stadtansichten wie zur Selbstvergewisserung ständig reproduziert, wie unter anderem in der Ausstellung „Der Blick auf Dresden. Die Frauenkirche und das Werden der Dresdner Stadtsilhouette“ in den Staatlichen Kunstsammlungen zu sehen ist.

Den berühmten „Canaletto-Blick“ wählt auch das Kunsthaus Dresden zum Logo der aktuellen Schau „Von der Abwesenheit des Lagers. Reflexionen zeitgenössischer Kunst zur Aktualität des Erinnerns“. Das aber nicht, um das affirmative Städtelob und eine möglichst positive und ungebrochene Geschichtskultur fortzuschreiben. Vielmehr geht es um die Aktivierung des negativen Gedächtnisses der Stadt. So wurde auf einer Veranstaltung auf die verhängnisvolle Rolle Dresdens im Kontext der NS-Kulturpolitik hingewiesen. Bereits im September 1933 eröffnete hier die Ausstellung „Entartete Kunst“. Sie nahm in Bezug auf ihre politische Funktion, ideologische Stoßrichtung und propagandistische Inszenierung die Münchener Ausstellung des Jahres 1937 nicht nur vom Titel her vorweg.

Vom viel beschworenen „Mythos Dresden“ erzählt im Rahmen des Stadtjubiläums auch die gleichnamige „kulturhistorische Revue“ des Deutschen Hygiene-Museums, allerdings ohne diesen „Mythos“ zu brechen. Von den Herrschaftsinsignien Augusts des Starken über Odol-Mundwasser bis zum Robotron-Mikrochip wird all das dargeboten, was irgendwie mit Dresden assoziiert werden kann. In der schönen Abteilung „Luftschlösser“ wird anhand von imaginärer Baukunst, am Beispiel von Entwürfen aus dem Umfeld der expressionistischen Architekturszene der frühen 1920er-Jahre bis zu Frank Stellas „Kunsthalle Dresden“ von 1992 angedeutet, dass zumindest architektonisch alles auch anders hätte kommen können.

Eine Konsequenz aus dem bauästhetischen Konservatismus Dresdens ist der Wegwerfgestus im Umgang mit der Architektur der Ostmoderne, was sich insbesondere seit 1990 in der Überformung der Prager Straße und der Infragestellung von Solitären wie dem Rundkino oder dem Centrum-Warenhaus zeigt. Urbanistische Projekte im öffentlichen Raum, die versuchten, das Dresden-typische neobarocke Einerlei als Mittel der Vergangenheitsbewältigung und Imageproduktion in der Gegenwart zu konterkarieren, scheinen an der Stadt und ihren Bewohner fast spurlos vorübergegangen zu sein.

Der Versuch, der Diskreditierung der Ostmoderne ein differenziertes Bild der Annäherung entgegenzustellen, wird in diesem Sinne auch in dem neuen Dokumentarfilm „Platte mit Aussicht – Über das Neubaugebiet Dresden-Gorbitz“ deutlich. Die beiden Regisseure Uta Hergert und Marcel Raabe nehmen hermetisch die Orte ihrer Kindheit und Jugend an der westlichen Peripherie Dresdens in den Blick und spannen einen Bogen von den kulturtypischen Lebensmustern der Vorwendezeit bis zu Schrumpfungs- und Verfallsprozessen der Gegenwart. Am Beispiel der Kräutersiedlung kann man aber auch sehen, wie flexibel Plattenbauten vom Typ WBS 70 sein können. Hier wurden einfach die obersten drei Stockwerke abgetragen, Grundrisse verändert und neue Balkone angefügt. Hinzu kommt viel Grün, so dass sich fast gartenstädtische Ideale verwirklicht finden. Sachlich referiert der Film die Baugeschichte von Gorbitz, einem der größten Wohnkomplexe der DDR mit 15.000 Wohnungen, geplant für 45.000 Menschen, gebaut zwischen 1978 und 1989. Architekten, Stadtplaner und Erstbewohner kommen zu Wort und geben Einblick in die Diskrepanz zwischen ideologischem Anspruch und alltäglicher Wirklichkeit sozialistischer Großsiedlungen.

Ein Widerspruch, den wohl niemand intensiver ausgefochten hat als die Autorin Brigitte Reimann. Passagen aus ihrem Roman „Franziska Linkerhand“ von 1974 sind „Platte mit Aussicht“ unterlegt. Zugleich wird damit auch der poetische Gehalt eines Neubaugebiets wie Gorbitz ausgelotet: Plötzlich wird die serielle Ästhetik und die monotone Typenarchitektur mit zahlreichen individuellen und biografischen Geschichten gekoppelt, die von verwinkelten Kellern und den Gerüchen in Treppenhäusern, speziellen Tapetenmustern und Spielplätzen handeln. Das Gurgeln des Badewassers im Abfluss wird dabei ebenso zu einer auratischen Kindheitserinnerung wie die Blicke aus dem Fenster auf den Block gegenüber oder der Schwenk der Kamera ins ehemalige Klassenzimmer.

„Platte mit Aussicht“ fasst die Geografie von Gorbitz als literarisch-topografische Landschaft auf, deren Verschwinden und Veränderung aber nicht mehr aufzuhalten ist, seit dem Schulen geschlossen und Blocks abgerissen werden und teilweise mit dem Rückbau begonnen wurde. Unfreiwillig ist der Film melancholisch. Denn wer sieht schon gerne zu, wenn sich die Orte der eigenen Kindheit in Schuttberge verwandeln?

„Platte mit Aussicht – über dasNeubaugebiet Dresden-Gorbitz“,D 2006, 80 Min., www.gorbitzfilm.de„Mythos Dresden. Eine kulturhistorische Revue“, Deutsches Hygiene-Museum (bis 31. 12. 2006)„Von der Abwesenheit des Lagers.Reflexionen zeitgenössischerKunst zur Aktualität des Erinnerns“,Kunsthaus Dresden (bis 10. 5.)„Der Blick auf Dresden. DieFrauenkirche und das Werdender Dresdner Stadtsilhouette“,Staatliche Kunstsammlungen(noch bis 1. 5.). www.centrum-warenhaus-dresden.de