Wieder Revolution in Kuba

WECHSEL Die Partei fordert, dass Journalisten kritischer über Missstände im Land berichten

„Wir befinden uns in einer anderen Epoche“

MIGUEL DÍAZ CANEL, KUBANISCHER VIZEPRÄSIDENT

„Der neue Chefredakteur der Granma bloggt und hat ein Facebook-Konto“, schrieb die kubanische Medienexpertin Milena Recio in der vergangenen Woche auf Facebook. Inzwischen ist es offiziell. Nicht nur in der Granma, der 1965 gegründeten Tageszeitung der Kommunistischen Partei Kubas, wurde der Neue vorgestellt. Auch Kubas Nachrichtenagentur Prensa Latina widmete dem Wandel an der Spitze der wichtigsten Tageszeitung des Landes einen Beitrag.

Der kommt nicht ganz überraschend, denn Kritik an der Qualität der eigenen Medien hatte Partei- und Staatschef Raúl Castro in den vergangenen Jahren immer wieder geäußert. „Einen Hang zum Triumphalismus“ hat der heute 82-Jährige den Medien bereits nach seinem Amtsantritt im Juli 2006 unterstellt und sie zu mehr Kritik und differenzierter Berichterstattung aufgefordert. Zwar wurden ab Mai 2008 dann einmal wöchentlich relativ kritische Leserbriefe in der Granma zugelassen, doch viel mehr passierte nicht, um dem Leitmedium der kubanischen Revolution auf die Sprünge zu helfen.

Gepanschter Alkohol

Das sollte sich mit dem Mitte Juli in Havanna stattfindenden Kongress der Union der kubanischen Journalisten ändern. Dort trat Vizepräsident Miguel Díaz Canel, der designierte Nachfolger der Castro-Brüder, für mehr „Dialog und Polemik“ ein. „Wir befinden uns in einer anderen Epoche, wir müssen die Argumente überprüfen und neu interpretieren, Konzepte und die Mentalität ändern“, mahnte der 53-Jährige auf dem Kongress.

Der Appell zeigte zuerst im Fernsehen Wirkung. Mitte September sorgten zwei Fernsehbeiträge in Kuba für Gesprächsstoff. Der „Runde Tisch“, eine Diskussionsrunde auf Televisión Cubana, widmete sich am 14. September dem Thema Alkoholismus in Kuba. In den vergangenen Monaten starben mehrere Menschen an gepanschtem Alkohol, der Konsum ist an sich recht hoch – beides behandelte die Sendung.

Doch auch andere unbequeme Themen wie die Selbstbedienungsmentalität im Schulsystem – die Lehrer, die sich am Schulmaterial vegreifen – und das trostlose Dasein in Notunterkünften fanden den Weg ins Abendprogramm.

Solche Missstände sollen stärker in den Medien berücksichtigt werden, ebenso wie die zunehmende Korruption, vor der Staatschef Castro oft gewarnt hat. Daher wurde das Personal an der Spitze der Granma und der Juventud Rebelde, der Zeitung der kommunistischen Jugendorganisation, ausgetauscht.

Jugend in die Produktion

Granma-Chefredakteur Lázaro Barredo, ein linientreuer Parteisoldat von 65 Jahren, wurde in den Ruhestand belobigt und durch den 47-jährigen Pelayo Terry ersetzt. Terry, bis dahin Chefredakteur der etwas munteren Juventud Rebelde, hat die Aufgabe, für frischen Wind in der Granma zu sorgen. Seine ehemalige Stellvertreterin Marina Menéndez Quintero übernimmt das Jugendblatt. Mit der Personalrochade hofft man in der Partei mehr Selbstkritik und weniger Lobhudelei, aber auch ein stärkeres Augenmerk auf soziale Medien in die Printmedien zu holen.

Ob das so einfach vonstatten gehen wird, bezweifeln Kritiker wie etwa der unabhängige Journalist Esteban Gutiérrez. Der hat in einem Beitrag für das exilkubanische Webportal „Cuba Encuentro“, dessen Empfang in Kuba blockiert wird, die Appelle der revolutionären Führung der letzten 30 Jahre an die Medien Revue passieren lassen. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass Journalismus eben nicht funktioniere, wenn die Partei festlege, was kritisiert werden dürfe.

Das bestätigt indirekt auch Vizepräsident Miguel Díaz Canel auf dem Journalistenkongress. Da definierte er als zentrale Leitlinie, dass „unsere Presse der Revolution treu ist“. Der Spielraum bleibt also begrenzt. KNUT HENKEL