Die Autonomen sind ausgebrannt

Der „revolutionäre 1. Mai“ stößt in der linken Szene nur noch auf wenig Interesse. Aktivisten sprechen von einem „Vermittlungsproblem“. Sie hoffen auf ein Revival zum 20-jährigen Jubiläum 2007

VON FELIX LEE

Wenn es einen Gradmesser für die Stimmung in der linken Szene gibt, dann sind es die Postings auf „Indymedia“. Die Zahl der Kommentare in den Foren dieses Internetportals schnellte in den vergangenen Jahren rapide in die Höhe, je näher der 1. Mai rückte. Doch derzeit ist auf Indymedia „tote Hose“ angesagt. Es finden sich gerade einmal drei Beiträge, die sich mit dem Kreuzberger 1. Mai beschäftigen; 2005 waren es um diese Zeit noch einige Dutzend. 19 Jahre nach dem legendären revolutionären 1.-Mai-Aufstand scheint die linke Szene ausgebrannt.

„Die sozialen Widersprüche sind ja immer noch da“, sagt Gunnar Krüger von der linksradikalen Gruppe BANG (Berliner Anti-Nato-Gruppe). Und sie würden von Jahr zu Jahr immer schlimmer werden. BANG ist eine der autonomen Gruppen in Kreuzberg, die bis jetzt den alten Mythos des „revolutionären 1. Mai“ jedes Jahr aufs Neue heraufbeschwören wollten. 2005 mobilisierten sie noch zu ihrer traditionellen 18-Uhr-Demo. In diesem Jahr ruft ein anonymes „Autonomes 1.-Mai-Plenum“ dazu auf – ohne den Protest jedoch offiziell anzumelden. Die Teilnehmerzahl dürfte gering sein. Denn selbst Krüger gibt zu: „Im Moment sind die anderen in der stärkeren Position. Wir sind nicht mit dabei.“

Mit den „anderen“ meint er die Polizei, den Innensenator, vor allem aber die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Cornelia Reinauer (Linkspartei). Seit 2003 organisiert sie das Myfest, belegt all die Straßen und Plätze mit Bühnen und Wurstständen, auf denen sonst die großen „revolutionären 1.-Mai-Demonstrationen“ stattfanden – und im Anschluss daran die Randale. 2003 blieb es noch krawallreich wie in den Jahren zuvor. Kombiniert mit einem harten, aber nur punktuellen Eingreifen der Polizei gegen Randalierer ging die Zahl der Sachschäden vor zwei Jahren dann deutlich zurück. 2005 schließlich erlebte Berlin den ruhigsten 1. Mai der vergangenen zwei Jahrzehnte.

Im vergangenen Jahr verzichtete auch zum ersten Mal die Antifaschistische Linke (ALB), Berlins größte Antifa-Gruppe, auf eine eigene Demo. Von einem Abgesang möchte ALB-Aktivist Michael Kronawitta zwar nicht sprechen. Beim Kreuzberger 1. Mai gebe es aber ein Vermittlungsproblem. Seine Gruppe mobilisiert diesmal zu Protesten gegen einen Nazi-Aufmarsch in Rostock. Kronawitta selbst setzt auf neue Protestformen. Deshalb werde er mit großem Interesse die Mayday-Parade „für weltweit soziale Rechte“ beobachten, die in diesem Jahr das erste Mal in Berlin stattfindet (siehe Interview). Beim 20. Jahrestag des legendären 1. Mai 1987 werde seine Gruppe 2007 aber wieder mitmischen.

Was die Krawalle betrifft, spielen die Linksradikalen bereits seit einigen Jahren keine tragende Rolle mehr. Das hat inzwischen auch die Polizei erkannt. „Früher hatte die linksextreme Szene immer einen starken Anteil an den Gewalttaten“, sagte Polizeipräsident Dieter Glietsch vor kurzem in einem Interview. Die Zusammensetzung der Gewalttäter habe sich aber stark verändert. Anders als in den Medien dargestellt handelte es sich aber auch nicht überwiegend um junge Migranten. Auswertungen hätten ergeben, dass sich am 1. Mai Jugendliche deutscher Herkunft in Kreuzberg „austoben“, so Glietsch.

Auf die haben die Migrantenorganisationen keinen großen Einfluss – und die Autonomen schon gar nicht.