jazzkolumne
: Zwischen Stilen und Städten

Kaum ein junger deutscher Musiker ist so vielseitig wie Axel Dörner aus Berlin. Nun kriegt der Trompeter den SWR-Jazzpreis

Wo der Akku ist, kümmert ihn nicht. Sein Handy ist meistens ausgeschaltet. Ständig verfügbar zu sein, findet er belanglos und enervierend. Doch wenn der Trompeter Axel Dörner seinen Monatsplan durchgeht, lobt der vielschichtige und vielbeschäftigte Musiker die Vorteile der Kommunikationsmedien. Als er das erste Mal in Chicago war, wurde noch alles per Telefon geregelt, jetzt trifft man sich via E-Mail, das kostet so gut wie nichts, und die Flüge sind auch billiger geworden. Diese Erleichterungen habe zu einem wesentlich lebhafteren Austausch geführt, sagt Dörner, der regelmäßig zwischen Chicago, Tokio und Berlin pendelt.

In diesem Jahr wird der am 26. April 1964 in Köln geborene Musiker mit dem SWR-Jazzpreis ausgezeichnet, die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung wird am 30. August in Mainz verliehen. In der Begründung lobt die Jury vor allem seine Vielseitigkeit und Versiertheit – kaum ein anderer deutscher Jazzmusiker sei in der Jazztradition ebenso zu Hause wie im Free Jazz oder in der neuen Elektronik. Bei den Donaueschinger Musiktagen trat Dörner im vergangenen Jahr in der Territory Band des amerikanischen Saxofonisten Ken Vandermark, der im Mai in Deutschland auf Tour ist, sowie im Quartett des japanischen Gitarristen Otomo Yoshihide auf. Seine langjährigen Bands Toot und Die Enttäuschung stellt Dörner bei der Preisverleihung im Mainzer Funkhaus vor.

Obwohl der Begriff „seine Bands“ nicht wirklich trifft. Dörner ist mehr in Kollektiven aktiv, in denen man die hierarchische Struktur, wie sie meist im Jazz üblich ist, nicht kennt. Alle sind gleichrangig, keine Hierarchie, kein Bandleader, alle komponieren und man einigt sich, und wenn einer angesprochen wird, organisiert man ein Konzert. Dafür gibt es dann fünf Prozent extra zum normalen Honorar.

Die Labels, für die Axel Dörner aufnimmt, haben Namen wie SOFA, absinth oder creative sources. Solche Sachen liegen nirgends einfach so herum, nach diesen Platten muss man suchen. Als der afroamerikanische Saxofonist Sam Rivers, einer der großen Free-Thing- und Loft-Jazz-Erfinder, vor zehn Jahren von dem Pianisten Alexander von Schlippenbach nach Berlin eingeladen wurde, um dessen Improvisor’s Pool zu leiten, war er voller Lob über den jungen Trompeter. Mittlerweile hat Dörner eine lange Referenzliste vorzuweisen – auf ihr kursieren große Namen der improvisierten Musik: Butch Morris, Vandermark und immer wieder Schlippenbach.

In Otomo Yoshihides New Jazz Orchestra, kurz: ONJO, bringt der japanische Gitarrist und Turntable-Künstler Jazzmusiker mit einer ganz offenen Musikszene zusammen – beim Berliner MärzMusik-Festival trat Dörner in diesem Jahr zusammen mit dem ONJO auf. Nach langer Vorarbeit ist gerade die ONJO-CD „Out To Lunch“ (doubt music) erschienen, eine Hommage an den afroamerikanischen Musiker Eric Dolphy und seine bekannteste Aufnahme. Für diese ONJO-Einspielung hatte Otomo Dörner nach Japan einfliegen lassen.

Im Gegensatz zum Samplen und Remixen vorgegebener Sounds fasziniert Otomo, ganz ohne Platten nur mit Geräuschen zu arbeiten. Mit Toshimaru wiederum hat Dörner letztes Jahr in Berlin gemeinsame Aufnahmen gemacht – sie sollen demnächst bei dem Indie-Label „improvised music from japan“ erscheinen. Der Produktionsvorgang war für Dörner neu. Anders als früher, wo man gemeinsam mit dem Sound-Ingenieur im Studio den fertigen Mix erstellt hat, haben Toshimaru und Dörner diese CD in Japan und in Berlin gemixt, indem die beiden Musiker sich die Files per E-Mail hin- und hergeschickt haben, bis man sich einig war. Die Klänge, die Toshimaru aus dem No-input-Mischpult hervorholt, ähneln denen eines Analogsynthesizers. Spannend nennt Dörner daran, wie Toshimaru die Klänge in der Zeit platziert, wie er als Musiker „dieses Instrument“ spielt.

Musiker wie Toshimaru und Dörner treffen sich bei den einschlägigen Festivals in Nancy, Sydney, Ulrichsberg und Berlin, „man hört sich gegenseitig zu und Kommunikation entsteht“ – in seiner Wohnung in Prenzlauer Berg berichtet Dörner von der Arbeit an acht neuen und sehr verschiedenen CDs, an denen er in den letzten drei Monaten beteiligt war. Dazu gehört auch die neue CD des Trios „the contest of pleasures“, „Albi days“, die, in Südfrankreich aufgenommen, gerade beim Pariser potlach-Label erschienen ist. Fasziniert berichtet Dörner von den einwöchigen Aufnahmen zu dieser CD mit Saxofon, Klarinette, Trompete und einem Sound-Ingenieur, der mit 20 Mikrofonen zusätzliche Live-Mixe während der Aufnahmen machte. Später habe jeder zu Hause aus 5 Stunden Material jeweils ein 20-minütiges Stück zusammengeschnitten, Dörner spricht in diesem Zusammenhang auch von Re-Komposition.

Berlin ist derzeit wegen der billigen Mieten und der kulturellen Infrastruktur einer der attraktivsten Orte für die improvisierende Szene weltweit. Hier passiert Musik, in der manchmal nur sehr wenig geschieht, die sehr leise ist, nur Geräusche oder sehr laut und ganz dicht, hier trifft Dörner auch Leute, die nur Töne spielen oder nur elektronische Klänge.

CHRISTIAN BROECKING

Axel Dörner auf Tour: 3. 5. Berlin, 4. 5. Rüsselsheim, 6. 5. Kempten, 7. 5. Novara, 8. 5. Amsterdam, 10. 5. Rotterdam, 11. 5. Brüssel, 15. 5. Verona, 18. 5. Straßburg, 19. 5. Greiz, 27. 5. Berlin