Lebenslang für die Zeugin

Melek A., Zeugin im Sürücü-Prozess, muss versteckt leben. Der Gedanke an Hatun Sürücüs Sohn habe sie zur Aussage bewogen, sagt ihre Anwältin

von ALKE WIERTH

Melek A., deren Vorname auf Deutsch „Engel“ bedeutet, lebt seit vielen Monaten versteckt – wie lange noch, ist nicht absehbar. Denn auf der Aussage der heute neunzehnjährigen türkischstämmigen Berlinerin fusste die Anklage der Staatsanwaltschaft gegen die zwei freigesprochenen Brüder Hatun Sürücüs. Beide streiten die Beteiligung an dem Mord an ihrer Schwester bis heute erfolgreich ab.

Melek A. war bis zur Tatzeit die Freundin von Ayhan, dem jüngsten der Sürücü-Brüder. Er hatte den Mord an seiner Schwester gestanden. Neun Jahre und drei Monate Haftstrafe hat der Zwanzigjährige dafür bekommen. Ayhans Version, die Tat allein und ohne Wissen anderer Familienmitglieder begangen zu haben, stand Meleks Aussage entgegen. Sie hatte von gemeinsamen Mordplänen der Brüder berichtet und sie als Mittäter belastet.

Sie sei „im Prinzip eine glaubhafte Zeugin“, hatte das Gericht in seiner Urteilsbegründung Melek bescheinigt. Dennoch reichte dem Richter ihre Aussage für eine Verurteilung der beiden Sürücü-Brüder Mutlu und Alpaslan nicht. Die Anwältin Ulrike Zecher hat Melek als Rechtsbeistand im Prozess zur Seite gestanden. Wie die junge Frau den Freispruch der beiden Brüder aufgenommen hat, wie es ihr heute geht, darüber will Rechtsanwältin Zecher nicht reden. Nur so viel mag sie sagen: „Es ist bitter, wenn jemand einen so hohen Preis zahlt, und sich dann die Bilder der lachenden Brüder nach dem Freispruch ansehen muss.“

Es war Meleks Mutter, die der jungen Frau dazu geraten hatte, ihre Beobachtungen der Polizei mitzuteilen. Dass sie sich damit in große persönliche Gefahr begeben würde, war beiden klar: „Wenn du die Aussage machen willst, nehmen wir danach einen Kredit auf und schaffen dich ins Ausland“, habe Meleks Mutter ihrer Tochter angeboten, erzählt Anwältin Zecher. „Es war der Gedanke an Hatuns Kind, der für Melek den Ausschlag gegeben hat.“ Dass der Sohn des Opfers von der Familie des Täters erzogen würde – „das hätte ich nicht ertragen“, habe Melek gesagt.

Meleks mutige Haltung – das sei auch Ausdruck türkischer Familienkultur, „auch einer gläubigen Familie“, sagt Zecher. Ob die junge Frau die Entscheidung, deren Folgen vielleicht ihr ganzes weiteres Leben beeinflussen, bereue – dazu will sie nichts sagen. Melek A. müsse ihr Leben lang damit rechnen, dass ihr etwas passiere, so die Befürchtung der kurdisch-stämmigen Linkspartei-Abgeordneten Evrim Baba. Der Mut der jungen Frau sei nicht belohnt worden. Melek habe durch ihre Entscheidung die wichtige Debatte über Ehrenmorde und Zwangsverheiratungen mit angestoßen, resümiert Rechtsanwältin Zecher. Darauf könne sie stolz sein.