Küss mich, ich bin öko

Mit Sexappeal hatte Umweltbewusstsein bislang wenig zu tun. Doch nun formiert sich weltweit eine moralisch bewusste Konsumgemeinde, und Hollywood-Stars sonnen sich in Öko-Glamour. Hat sich Aktivismus überlebt?

VON SILVIA LIEBERMANN

Umweltschützer machen einem ein schlechtes Gewissen, haben wenig Spaß und keine coolen Klamotten. Ein veraltetes Klischee? Zumindest ist diese Meinung immer noch weit verbreitet. Tatsächlich haben es Öko-Aktivisten nicht leicht. Stets wird von ihnen absolute Konsequenz gefordert, nach dem Motto: „Ausgerechnet du hast ein Auto/ isst Sushi/ trägst Lederschuhe/ benützt Make-up/ kaufst einen Kaffee im Pappbecher?“ Mit attraktivem Lebensstil oder Sexappeal hatte Umweltbewusstsein bislang wenig zu tun. Doch offenbar ändert sich das gerade.

Gleich zwei große amerikanische Modemagazine – die Konkurrenzblätter Elle und Vanity Fair – widmen ihre Mai-Ausgaben dem Thema Ökologie. In Pressemitteilungen brüsten sich beide Zeitschriften damit, die ersten zu sein, die eine „Grüne Ausgabe“ herausbringen. Beide Hefte liegen ab Mitte April in grünem Kleid an amerikanischen Kiosken. Beide sind voll gepackt mit Öko-Engagement und Hollywood-Glamour. Für das Vanity-Fair-Titelbild hat die Fotografin Annie Leibowitz die bekennenden Umweltschützer George Clooney, Julia Roberts, Al Gore und Robert F. Kennedy jr. moosgrün in Szene gesetzt. Dazu präsentiert das Heft „50 einfache Tipps, um den Planeten zu retten“.

Prominente für die Umwelt

In Hollywood scheint Umweltbewusstsein das Accessoire der Saison zu sein, mit dem man sich gerne auf Cocktailpartys zeigt. Die Liste der Promis, die sich mit einem ökologischen Lebensstil identifizieren, ist lang: Leonardo DiCaprio, George Clooney, Cameron Diaz, Julia Roberts, Edward Norton, Orlando Bloom, Christina Aguilera und viele weitere. Sie fahren Hybridautos, rüsten ihre Villen auf Solarenergie um, kaufen Bioprodukte, wickeln ihre Kinder in Ökowindeln, spenden für die Aufforstung von Wäldern oder werben in Kampagnen für Umweltschutz. Leonardo DiCaprio dreht gerade einen Film über die globale Erwärmung und will auf seiner Privatinsel Ökotourismus betreiben. George Clooney hat seinen BMW gegen das Elektroauto Tango eingetauscht und prangert mit der Kampagne Oil Change die Abhängigkeit vom Erdöl an. Das Filmstudio Warner Bros. verkündet stolz, den Ölthriller „Syriana“ durch den Erwerb von Zertifikaten komplett „klimaneutral“ produziert zu haben. Geschätzte 2.040 Tonnen Kohlendioxid wurden für Dreharbeiten und Reisen in die Luft geblasen. Um die entstandenen Schäden auszugleichen, investierte das Studio in vergleichbarer Höhe in erneuerbare Energieprojekte.

Nicht nur in Hollywood lautet das Motto der neuen Umweltbewegung: Konsum ist okay, wir müssen nur das Richtige konsumieren. Diese Botschaft vermittelt auch die grüne Elle, die Ratschläge zu umweltfreundlichen Konsumorgien gibt: von Naturkosmetik über nachhaltige Mode bis zu Biorestaurants. Während der Naturschützer früher einen beschwerlichen Alltag hatte, weil er Pullis stricken, Dinkelbrot backen, Windeln waschen und auf Protestmärschen mitlaufen musste, kann er also heute einfach einkaufen gehen?

Konsum statt Kampf

„Die Umweltbewegung hat sich stark verändert“, erklärt der Trendforscher Peter Wippermann. Früher sei man davon ausgegangen, dass man nur im Kollektiv etwas erreichen könne: „Man solidarisierte sich und versuchte gemeinsam etwas zu verändern. Heute kauft man stattdessen ein T-Shirt der Marke American Apparel.“ Der internationale Erfolg der US-Modefirma, die ihren Arbeitern faire Löhne zahlt und seine Ökolinie gerade ausbaut, zeige deutlich den Trend: „Man ist zwar Fan einer Umweltidee und kauft gerne eine Firmenphilosophie, doch das tatsächliche politische Engagement lässt gerade unter Jugendlichen stark nach“, erläutert Wippermann und zitiert eine Studie, nach der das Interesse der Unter-30-Jährigen an Umwelt- und Naturschutz in der Zeit von 1995 bis 2005 von 35 Prozent auf rund 15 Prozent gesunken ist.

Dennoch gibt es eine wachsende Gruppe von Menschen, die vor allem in Zusammenhang mit ihrer eigenen Gesundheit an der Erhaltung der Natur interessiert sind. „Man ist nicht mehr so altruistisch wie früher, wo man der Meinung war, man müsse die Erde in gutem Zustand an die nächste Generation übergeben“, erklärt Wippermann. Biosupermärkte boomen seiner Ansicht nach vor allem deshalb, weil die Leute weniger belastende Stoffe zu sich nehmen wollen und sich freuen, wenn sie außerdem die Umwelt schonen. Amerikanische Marktforscher bezeichnen diese wachsende gesundheitsbewusste Konsumentengruppe als LOHAS: Menschen mit „Lifestyles of Health and Sustainability“, mit einem Lebensstil voll Gesundheit und Nachhaltigkeit. Sie wollen gesund leben, sich persönlich weiterentwickeln und achten bei ihren Kaufentscheidungen auf ethische und ökologische Kriterien.

Dass bewusster Konsum eine Menge bewirken kann, leuchtet ein. Je mehr Leute mitmachen, desto wirksamer ist diese Methode. Darauf basiert auch die aus England stammende Bewegung „We Are What We Do“ – „Wir sind, was wir tun“, die es seit kurzem auch in Deutschland gibt. In einem bunten Buch mit lustigen Grafiken macht die Initiative 50 einfach Vorschläge, die Welt ein Stück besser zu machen – ökologisch und sozial. „Einfach die Welt verändern“ heißt das Buch, für das viele Grafiker und Werbeexperten unentgeltlich arbeiteten. Gleich 60.000 Exemplare wurden in den ersten zwei Monaten in Deutschland verkauft. Entscheidend war der Gedanke, dass viele Leute in kleinen Schritten Großes bewirken können.

Die Tipps sind nicht neu. Ungewöhnlich ist aber, dass sie nicht mit dem Zeigefinger daherkommen, sondern mit Humor und Leichtigkeit. Und dabei spielt der Konsum eine entscheidende Rolle: „Hol Ökostrom ins Haus“ – „Kauf da ein, wo du wohnst“ oder „Kauf Fair-Trade-Produkte“ heißen einige der Tipps. „Wenn jeder zum Beispiel nur noch Obst aus der Region oder fair gehandelten Kaffee kaufen würde, hätte das bereits eine große Wirkung“, erklärt Patricia Taterra, Leiterin des deutschen Ablegers von „We Are What We Do“. Anstelle eines schlechten Gewissens wolle das Buch den Leuten vermitteln, dass sie nicht gleich ihr ganzes Leben umkrempeln müssen, um Gutes zu tun. Keiner solle das Gefühl haben, von den Anforderungen erschlagen zu werden, erläutert Patricia Taterra. Kein Flugzeug mehr besteigen, Konsum vermeiden, nur noch Biogemüse essen? Muss nicht alles auf einmal sein, beruhigt das freundliche blaue Büchlein. Du kannst auch einfach damit anfangen, beim Zähneputzen den Wasserhahn abzudrehen.

Projektleiterin Taterra weiß allerdings aus eigener Erfahrung, dass die beste Lösung eben leider oft nicht die bequemste und günstigste ist – zum Beispiel beim Reisen. Um ihren Urlaub möglichst klimafreundlich zu gestalten, wollte sie auf das Flugzeug verzichten und mit der Bahn von Berlin in die Toskana fahren. 500 Euro hätte die Reise für zwei Personen etwa gekostet, 17 Stunden wäre man unterwegs. Deshalb entschied sie sich nun doch für das Auto. Um der Verlockung eines Billigfliegers zu widerstehen, muss man schon ernsthaft um das Klima besorgt sein.

Gutes Gewissen leider teuer

Ähnliche Erfahrungen machte auch der englische Journalist Leo Hickmann, der ein amüsantes Buch über den Selbstversuch eines ökologisch und ethisch guten Lebens schrieb. Auch er wollte mit Frau und Baby umweltfreundlich nach Italien reisen, von England aus mit dem Zug. 650 Euro kostete die billigste Variante, ohne Schlafabteil. Mit einem Baby sei das nicht zu machen, fand Hickmann und buchte die Schlafabteil-Variante zum Schnäppchenpreis von 1.500 Euro. Sein Resümee: „Ein gutes Gewissen kommt teuer.“

Umweltschutz scheint doch nicht immer einfacher zu sein als früher. Und das alte Problem der Glaubwürdigkeit und Konsequenz stellt sich auch heute immer mal wieder. Laurie David zum Beispiel, Hollywoods lauteste Klimaschützerin, wird von vielen als glamouröse Vorreiterin der Ökobewegung bejubelt, die es scheinbar problemlos schafft, Prada-Kleider und Protestaktionen unter einen Hut zu bringen. Die ehemalige Fernsehproduzentin und Frau von Co-Seinfeld- Poduzent Larry David sitzt im Kuratorium der großen Naturschutzorganisation NRDC und ist auf roten Teppichen zu Hause. Angeblich soll sie innerhalb von Minuten beinahe jeden Hollywood-Star ans Telefon bekommen. In ihrem Hybridauto Toyota-Prius beschimpfte sie früher an roten Ampeln gerne mal andere Fahrer, um sie auf ihren hohen Benzinverbrauch aufmerksam zu machen. „Ich glaube an sozialen Druck“, sagt sie.

Doch dann geriet sie wegen mangelnder Konsequenz selbst unter Druck. In einem Zeitungsartikel und in mehreren Weblogs wird sie als „Gulfstream-Liberale“ bezeichnet, in Anspielung auf die Privatjets der Marke Gulfstream, in denen sie sich angeblich gerne mal herumfliegen lässt. Jene nur scheinbar antiquierte Konsequenz im Handeln bleibt also gefragt. Schließlich gilt Glaubwürdigkeit als eine der wichtigsten Konstanten im Spiel mit Images.