ANGELA MERKEL ALS CHEFIN EUROPAS
: Wäre man doch konservativ

KNAPP ÜBERM BOULEVARD

Deutschland hat gewählt. Und das ist auch eine europäische Wahl. Jede nationale Wahl hat natürlich mittlerweile Relevanz für Europa – und für Deutschland gilt das ganz besonders. Aber mit diesem Wahlergebnis sind die deutschen Wahlen tatsächlich zu europäischen Wahlen geworden. War es doch Angela Merkel, die mit ihrem Austeritätskurs ein gewissermaßen deutsches Europa definiert hat. Merkel ist die Chefin Europas, meinte ein Däne im TV. Und dieses deutsche Europa ist nun mit atemberaubender Mehrheit wiedergewählt worden.

Reine Zuseher

Hat man in Deutschland überhaupt eine Vorstellung davon, wie diese Wahlen anderswo wahrgenommen werden? Im Ausland wird das Ergebnis nicht einfach zur Kenntnis genommen. Die Menschen verfolgen im Fernsehen und im Internet Hochrechnungen, Sondersendungen und Elefantenrunden wie bei jeder heimischen Wahl – nur dass man zum Zuschauen verdammt ist. Das sind politische Vorgänge, die alle in Europa betreffen, und man kann dabei nur zusehen! Wenn das schon in Österreich so ist, wie muss es am Sonntag erst Griechen oder Portugiesen ergangen sein? Das Gefühl ist: Die Deutschen wählen für uns. Eine merkwürdige Verschiebung: Sie entscheiden nicht über uns – sie wählen für uns. Und wir sind reine Zuseher.

Wahlen sind ja, wie der französische Theoretiker Claude Lefort analysiert hat, demokratische Rituale. Sie haben symbolische Funktion: Jeder Wahlberechtigte sieht von seinen Besonderheiten ab und wird zur reinen Zahl. Damit zählt aber jeder. Und jeder zählt gleich viel, denn die Stimmen werden nicht gewichtet. In diesem Sinne ist der Moment der Wahl der Moment einer radikalen, arithmetischen Gleichheit. Wahlen finden damit immer auf der symbolischen Bühne der Politik statt. Aber wenn sie zu exemplarischen Wahlen werden, wie im deutschen Fall, dann wird der Rest Europas, den es ja durchaus betrifft, zum Zeugen eines demokratischen Rituals, ohne eingreifen zu können. So können Wahlen in Zeiten der Europäisierung zu einem demokratischen Defizit werden! Dass Österreich kommenden Sonntag wählt, erscheint nur als Trostpflaster.

Und als solches präsentiert sich die politische Landschaft Österreichs auch. Das Wesentliche, was man dazu sagen kann, lautet: Ein Konservativer müsste man sein! Was haben die für ein Glück. Die haben eine Auswahl ohne Ende. Was sich da alles tummelt – von Liberalen (gemischt mit toughen Neoliberalen) bis hin zu JWD-Rechten (also ganz weit draußen). Von denen gibt es nach endlosen Spaltungen und Wiedervereinigungen mittlerweile sogar zwei Versionen. Deren Parteiführer können sich beim TV-Duell nicht einmal mehr zur Show streiten, so einig waren sie sich. Duett statt Duell, hieß es da. Und dann gibt es noch als Draufgabe die amerikanisierte Variante eines Rechten, das „Team Stronach“ – eine One-Man-Show für alle, die dem American Dream anhängen: Das ist der eine, der auszog ohne Geld in der Tasche und als Milliardär zurückkehrt und sich nun, nach einem Fußballclub, eine Partei leistet.

Dieser „Besuch des alten Herrn“ garantierte dem insgesamt eher drögen Wahlkampf seine absoluten Highlights – nicht in politischer Hinsicht, aber was den Unterhaltungswert anlangt. Und dann gibt es noch die ÖVP, das Pendant zur Union, mit ihrem biederen Spitzenkandidaten – dem ein böswilliger Coach geraten haben muss, sich in diesem Wahlkampf in einen Duracell-Hasen zu verwandeln. Das ist der Hase, der immer noch weitertrommelt, wenn alle anderen schon ermattet sind. Wie gesagt – Konservativer müsste man sein. Da gibt es für jeden Geschmack etwas. Da kann man sich bis ins Feintuning hinein die passende Partei aussuchen. Von – bis. Für Linke gibt es nur entweder – oder. Rot oder grün.

All dies sei den deutschen Wählern gesagt, damit sie nicht traurig sind, in Österreich nicht mitwählen zu dürfen. Den Österreichern bleibt als schwacher Trost: Ihre Wahlen haben wenigstens kein demokratisches Defizit. Denn sie haben keine europäische Relevanz.

■  Isolde Charim ist freie Publizistin und lebt in Wien