Hilfe statt Geld ansparen: Die Zeitbank

Eine Münchener Initiative will das Ehrenamt revolutionieren: Wer anderen hilft, soll sich das gutschreiben lassen und später Hilfe von anderen abheben können. Das Konzept der Zeitbank.

Mehr Zeit könnte helfen. Bild: be.inga/photocase

MÜNCHEN taz | Unscheinbarer könnte eine so revolutionäre Idee kaum daherkommen. Joyce Mayer – blaues Kleid, weißes, festes Haar – hält in ihrer Hand ein Faltblatt mit vier kleinen grauen Säulen darauf. Das sind die Stützen der Altersvorsorge: "Gesetzliche Rente", "betriebliche Rente", "private Rente". Auf die Säule ganz rechts ist eine putzige Sanduhr gemalt: "Zeitanspar-Rente". "Unser Ziel ist eine zusätzliche Pflegeversicherung für Ehrenamtliche in ganz Deutschland", sagt Mayer.

Das ist die Vision, mit der der Münchner Verein Zeitbank die soziale Arbeit auf neue Füße stellen will. Doch von dem Sanduhrbildchen auf einem Faltblatt zum neuen Ehrenamt ist es ein schwieriger und weiter Weg.

2006 hat Joyce Mayer mit acht Mitstreitern den Verein Zeitbank gegründet. Die Idee: Bürger bekommen für ehrenamtliche Arbeit auf einem Konto Stunden gutgeschrieben. Die können sie ansparen und später gegen die Hilfe anderer Ehrenamtlicher eintauschen.

Die Zeitbank ist keine einfache Nachbarschaftshilfe, kein locker organisierter Tauschring. Sie führt über die geleisteten und abgerufenen Arbeitsstunden ihrer Mitglieder mithilfe eines Onlinesystems so akkurat und transparent Buch wie eine Sparkasse. Sie verspricht eine absolut krisenfeste Form der Absicherung fürs Alter, so sicher wie ein Sparbuch. In Japan gibt es seit über zehn Jahren ein ähnliches, gut funktionierendes System.

Die Bürgerstiftung Zukunftsfähiges München war sofort begeistert und verlieh der Zeitbank in ihrem Ideenwettbewerb den ersten Preis. Drei Jahre später sitzt Zeitbank-Gründungsmitglied Mayer in einem kleinen Büro in München-Schwabing, direkt unter der Dachschräge und meint: "Immer wieder gibt es ein neues Hindernis. Das nervt. Der große Erfolg bleibt aus."

Mayer hält Vorträge an der Volkshochschule, um die Münchner für das Zeitbank-Konzept zu begeistern. Sie spricht mit den Vertretern sozialer Einrichtungen, sucht den Kontakt zu Politikern.

Doch die Bürger sind noch zögerlich. Die sozialen Einrichtungen wollen nicht kooperieren. Die Politiker schweigen. So hat die Zeitbank drei Jahre nach ihrer Gründung zwar eine perfekt funktionierende Software zur Verwaltung der Zeitkonten und eine juristisch wasserdichte Satzung, aber kaum Aktive. Knapp 50 Münchner sind bislang Mitglied. Damit das System wirklich funktioniert, brauchte es rund 1.000.

Wenige Meter von Mayers Büro entfernt steht die pompöse Zentrale der Versicherung Münchner Rück, auf den Gehwegen spazieren Männer in teuren Anzügen. München sieht an diesem Nachmittag nicht aus wie ein Ort, an dem Menschen verarmen könnten. Die Zahlen sagen etwas anderes. Laut einer erst vor wenigen Tagen erschienenen Studie des Hamburger Sozialberatungsunternehmens Con_Sens bekamen Münchner Rentner 2008 monatlich im Schnitt nur 876 Euro ausgezahlt – weniger als die Rentner in Leipzig, in Düsseldorf oder Frankfurt. Und das bei konkurrenzlos hohen Lebenshaltungskosten.

Viele Alte können schon jetzt ihre Pflege nicht mehr bezahlen und brauchen Unterstützung aus der Sozialhilfe. Eigentlich ist das reiche München der ideale Ort für die Zeitbank.

"Jetzt müssten die Menschen doch langsam verstehen, dass eine Wirtschaftskrise verheerende Folgen für sie selbst haben kann", sagt Mayer. "Doch das haben die Menschen noch nicht realisiert." Mayer spricht distinguiertes Deutsch mit amerikanischem Akzent. Sie hat promoviert und jahrelang in Verlagen gearbeitet. Jetzt, als Rentnerin, will sie die soziale Arbeit revolutionieren.

Wenn sie darüber redet, klingt sie nicht wie eine naive Idealistin, sondern eher wie eine pragmatische Managerin. Im Trägerverein der Zeitbank gibt es zwei Juristen und zwei Betriebswirte. Mayer nennt den Trägerverein "Kompetenzteam". "Wir brauchen auch noch mehr das, was McKinsey recruiting nennt", sagt sie. Sie meint damit, dass das Angebot der Ehrenamtlichen in der Zeitbank besser auf die Nachfrage abgestimmt werden müsse.

"Wir wollen eine andere Art von Ehrenamt als im 20. Jahrhundert", erklärt Mayer. Bisher hätten es sich nur ganz wenige Menschen leisten können, unbezahlt sozial zu arbeiten. Die Möglichkeit, die Arbeitsstunden mit der Zeitbank anzusparen, soll das Ehrenamt für mehr soziale Gruppen öffnen.

Es gehe nicht darum, ein paralleles Geldsystem zu schaffen, sagt Mayer. Man wolle hilfsbereite Bürger und soziale Einrichtungen besser vernetzen. Mayer erzählt, dass man Münchner Schulen mit freiwilliger Arbeit renovieren könnte, von einer professionellen Bedarfsanalyse im Stadtteil Giesing, die gezeigt habe, wie viel ehrenamtliche Helfer tun könnten. Man habe daraufhin soziale Einrichtungen angeschrieben. Eine Antwort sei nicht gekommen.

"Wir sind ein soziales Experiment", sagt Mayer. Es ist alles aufgebaut für den Versuch Zeitbank. Es braucht nur noch Bürger, die mitmachen.

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