Das vergessene Land

In Ostvorpommern sind Neonazis die netten Jungs von nebenan. Ihr Kapital: Bürger, die vom Staat nichts mehr erwarten

Ein Unternehmer sagt: „Wenn ich das sehe, da sind Neger – die schönsten Klamotten, die Taschen voller Geld, die lassen sich den Bauch in der Sonne braun werden und kriegen noch den Umzug bezahlt“

VON ASTRID GEISLER
(Text) UND CHRISTIAN JUNGEBLODT (Fotos)

Am Ende der Sackgasse wird renoviert. Wer über die buckelig gepflasterte Allee ins Dorf holpert, erkennt es von weitem. Grau liegt die Siedlung da unter dem fahlen Mittagshimmel, nur eine einzige Fassade leuchtet. Ein kleiner Flachbau aus DDR-Zeiten, himmelblau, frisch gestrichen – das Jugendhaus von Bargischow.

Auf dem Nachbargrundstück geht die Tür auf. Eine junge Frau blickt herüber aus der stillgelegten Dorfkita. „Das haben die Glatzen gemacht“, sagt sie. „Das Jugendhaus ist deren Ding.“ Es klingt nebensächlich. Hinter ihr im ehemaligen Gemeinschaftssaal sitzt ein Mann um die zwanzig und schweigt. Er ist tief in den Stuhl gerutscht, sieht nach unten auf seine kräftigen, tätowierten Arme.

Die beiden sind Kollegen und bei der Arbeit hier, den ganzen Tag schon: sie als 1-Euro-Jobberin, er als ABM-Kraft. Aber was heißt das schon? Ab und zu rauchen sie eine Marlboro aus Polen, trinken roten Saft aus der Einwegflasche. „Unsere Arbeit“, sagt die junge Frau zögernd, „im Moment ist unsere Arbeit, dass wir gar nichts machen.“ Ihr Kollege sagt nichts. Gut zwei Stunden noch, dann haben beide ihr Tagessoll erfüllt. Gewartet bis zum Feierabend.

Beim Nachbarn kläfft der Hund. Sonst ist es still in Bargischow. Selbst der Platz vor der gotischen Feldsteinkirche liegt verlassen da. Eine Katze springt über die Straße, verschwindet zwischen Dorflinde und Kriegerdenkmal. Warum sollten Menschen auch vor die Tür gehen? Es gibt keinen Bäcker, keine Schule, keine Vereine mehr. Selbst das Wirtshaus macht nur noch ein paar Stunden die Woche auf. Hinter der Gemeinde beginnt das Stettiner Haff und dahinter Polen. Urlauber rauschen nur vorbei an dieser Gegend auf der Fahrt nach Usedom.

Verfassungsschützer und Kriminalisten aber kennen den Ort. Bargischow ist eine jener Gemeinden im äußersten Nordosten, wo die NPD seit gut zwei Jahren einen Rekord nach dem anderen feiert. Bei der Bundestagswahl im Herbst kamen die Rechtsextremen auf 17,2 Prozent. So stark wollen sie überall werden in der Region. Die NPD arbeitet an einer weiteren Zone wie der Sächsischen Schweiz, jenem Landstrich südöstlich von Dresden, wo sie sich etabliert hat in Dörfern und Kleinstädten. Das soll auch in Ostvorpommern gelingen.

Karl-Heinz Thurow versteht die Aufregung nicht. Der ehrenamtliche Bürgermeister von Bargischow sagt es noch auf dem Weg von der Haustür zum Küchentisch, bevor seine Frau den Kaffee angeboten hat. „Glauben Sie nicht, dass es rechtes Gedankengut immer gibt?“, fragt er gereizt. „Das ist eben eine Strömung. Die muss man akzeptieren. Es ist nun mal so. Die Rechten sind da.“

Thurow sitzt in der Wohnküche seines reetgedeckten Hauses hinter der Dorfkirche. Auf dem Fensterbrett unter der Häkelgardine schnurrt die Katze. Als es die DDR noch gab, waren die Thurows überzeugte CDU-Mitglieder. Heute, mit 49 Jahren, ist der Bürgermeister parteilos. Die Partei, die nicht mehr seine ist, hat eine große Initiative für Demokratie und Toleranz ausgerufen. Alle Bürgermeister sollen mithelfen, damit die NPD nicht in den Landtag einzieht bei den Wahlen im Herbst. Thurow hat es aus der Zeitung erfahren. Er fragt sich, was das soll. Über Hartz IV müssten die reden! „Das wird sich bei der Wahl durchschlagen.“ Für wen, ist klar.

Bargischow liegt fünf Kilometer östlich von Anklam. 420 Menschen, verteilt auf vier Dörfer. Jahrhunderte lebten die Weiler von dem, was Äcker und Wiesen hergaben, bis die Marktwirtschaft kam mit ihren neuen Gesetzen. Seither siechen sie. Man kann ebenso gut einige Kilometer weiter nach Westen fahren bis nach Postlow. In Postlow gewannen die Rechtsextremen bei der Bundestagswahl 17,4 Prozent – mehr als in irgendeiner anderen Gemeinde Mecklenburg-Vorpommerns, mehr sogar als die örtliche SPD. In Schwerin war man entsetzt. In Postlow nicht mal überrascht. Norbert Mielke nimmt die braune Lederkappe ab und wiegt verzweifelt den Kopf. Landwirt ist er, Geflügelzüchter und nebenbei auch Bürgermeister von Postlow. „Frust ist das hier“, ruft Mielke. „Frust! Die Leute haben allen Parteien eine Chance gegeben. Aber es hat doch nicht eine mal einen Lösungsansatz fertig gebracht. Das haben die Leute hier auch kapiert.“ Er holt tief Luft. Das Thema, sagt er entschuldigend, das könne ihn „heiß machen“.

Wer die Dorfstraße entlang geht, immer geradeaus, bis ganz ans Ende, bis zu Mielkes Hof, der ahnt, was den Bürgermeister umtreibt. Von der Landstraße führt der Weg vorbei an einer Villa mit Erker und Turmzimmer. In Bahnen blättert die Farbe ab. Aus den zerborstenen Fenstern wird niemand mehr herunterblicken auf die leere Straße. Viele solcher Fenster gibt es im Ort. Es sieht aus, als sei die Zeit weitergezogen und hätte Postlow zurückgelassen.

Ein Mann zieht im Handkarren den Einkauf nach Hause. Kartoffeln, Apfelsinen, eine Kiste Bier. Gut drei Kilometer sind es von hier bis zum nächsten Supermarkt in Anklam, ein Klacks mit dem passenden Gefährt. Aber das Sozialgesetzbuch kennt keinen Anspruch auf ein Auto. Und die Postlower kennen den Aushang an der Bushaltestelle. Da steht: Abfahrt nach Anklam um 6.39 Uhr und um 16.53 Uhr.

Früher gab es einen Konsum gegenüber. Das Schaufensterglas ist zur Hälfte herausgebrochen. „Laden geschlossen“, hat jemand auf einen Zettel geschrieben. Im Nachbarhaus der Mielkes, Dorfstraße 26, sind die Eingangstüren von Hand gearbeitet. Das Holz fault von unten weg. Die Bewohner beschweren sich nicht: Es sind nur noch Hühner.

„Schauen wir uns doch mal um: Wer hat denn noch Arbeit hier?“, ruft Mielke. „Diese Statistiken, das ist doch Trickserei. Wir liegen hier inzwischen bei über 50 Prozent Arbeitslosen, über 50 Prozent!“ Und dieses Gerede von Investoren, die kommen sollen mit viel Geld und viel Arbeit. „Vergessen Sie’s!“ Mielkes Familie lebt seit Generationen in Postlow. Früher, sagt Mielke, da sei Leben im Dorf gewesen, die Leute bekamen einen Besen in die Hand, mussten wenigstens den Hof fegen. „Heute, da gehen sie zur Sozialagentur und lassen sich von dem frischen Geld am nächsten Imbiss den Hals voll laufen.“

Seine Lebensgefährtin kommt zur Tür rein, sie hat eine Schrippe in der Hand – für Mielkes Blutzuckerspiegel. Mielke beißt ab, schluckt hastig. Wo war er gleich stehen geblieben? „Der normale Mensch hier, der sagt sich – ja, die DDR war gut. Die war nur zu sozial, daran ist sie gescheitert.“ Er klingt matt. „Ich sag’s Ihnen, wir kriegen hier noch ’nen neuen Kaiser. Dieser Staat, der geht schneller kaputt als die DDR.“

Ostvorpommern zählt zu den Gegenden Deutschlands, die man in Statistiken meist am schlechten Ende findet. Mindestens jeder Vierte ist offiziell arbeitslos, Tendenz steigend. Die Einkommen liegen weit unter dem Bundesdurchschnitt. In den vergangenen fünf Jahren verlor der Kreis mehr als 3.500 Einwohner. Wer jung ist und anderswo eine Chance hat, der geht. Es bleiben die Alten und die aussichtslosen Fälle.

Michael Andrejewski freut sich daran – wo sonst ist die Lage schon so schön trostlos? Der NPD-Politiker zog vor drei Jahren nach Anklam. Damals hatte er gerade das Jura-Examen bestanden. Nach 36 Studiensemestern und Jahren in ausländerfeindlichen Gruppen suchte er sein persönliches Testfeld, das ideale Gebiet für rechtsextreme Politik. Er entschied sich für Ostvorpommern. Die Gegend sei „freies Pionierland“ mit idealen Standortfaktoren, schwärmt der Lehrerssohn aus dem Schwarzwald: „Wenige Regionen sind so heruntergewirtschaftet. In kaum einer gibt es eine geringere Systembindung als hier. Die Leute hatten mal riesige Erwartungen, jetzt sind sie wahnsinnig enttäuscht.“ Die Enttäuschten sind seine Hoffnung. Er will ihr Vertrauen gewinnen, ihre Stimmen, ihre Region. Spätestens 2018 soll ein NPD-Bürgermeister ins Anklamer Rathaus einziehen. Das ist sein Ziel.

Andrejewski sitzt im Einkaufszentrum am Markt. Ein Großteil der Ladenflächen steht leer. Sogar „Pfennigland“ hat kapituliert. An den Tischen des Bistros in der Eingangshalle warten schon vormittags Menschen vor leeren Gläsern, auf dass der Tag preisgünstig vorbeiziehe. Niemand schaut sich um nach dem schmächtigen Mann im grauen wattierten Anorak, der sein grob gemustertes Hemd bis zum obersten Knopf geschlossen trägt. Andrejewski kippt ordentlich Zucker in den Kaffee. Seine Augen flackern hinter den Brillengläsern. „Vermutlich ist das für Sie ein Kulturschock hier.“ Er grinst schräg: „War es für mich anfangs auch – nur eben positiv!“

2004 gewann der Wessi bei der Kommunalwahl auf Anhieb acht Prozent der Stimmen und zwei Sitze im Stadtrat. Einer der Posten blieb unbesetzt. Außer ihm war kein NPDler angetreten. Dafür zog er gleich auch in den Kreistag ein. Bei der Bundestagswahl 2005 lief es noch besser. „Für das System muss das gruselig sein“, sagt er. „Es hat die Hauptarbeit schon gemacht. Wir müssen uns nur noch hinstellen und sagen: Da sind wir.“

Nicht ganz. Intelligent und äußerst strebsam sei Andrejewski, sagen selbst seine Gegner im Stadtrat. Der Jurist arbeitet Vollzeit, staatlich finanziert. Er lebt in einer Plattenbausiedlung, oberster Stock, wo der Blick auf ein Heizwerk geht, auf ein Beerdigungsinstitut und die Wiese davor. Allein, von Hartz IV. Grundsätzlich, sagt der NPD-Mann, unterstütze er als Politiker alles, was „den Kollaps noch ein bisschen beschleunigt“. Je überschuldeter eine Gemeinde, desto besser. Zugleich wolle er „jeden Fußbreit Heimat“ verteidigen, jedes Krankenhaus, jede Stadtbibliothek, jeden Schulbus. Das kommt an bei den Wählern. Und, sagt Andrejewski: „Es soll noch möglichst viel Substanz übrig sein, wenn eines Tages das System weg ist.“

Als Andrejewski nach Anklam kam, war die NPD unbedeutend. Aber es gab ambitionierte rechtsextreme Kameradschaften. Andrejewski suchte die Freundschaft der militanten Neonazis. „Ideologisch sind wir doch sowieso identisch“, sagt der NPD-Politiker. „Also habe ich mich einfach integriert.“ Im Namen der Kameraden leite er deren „Spezialtruppe für den Parlamentskram“.

Verfassungsschützer halten die Neonazis für die wichtigste Größe im rechtsextremen Spektrum der Region. Ihre Strategien gelten in der deutschen Kameradschaftsszene als wegweisend. Die Wortführer begnügen sich nicht mehr mit der Arbeit in Untergrundzirkeln. Sie haben einen Volkstanzverein gegründet und eine Jugendgruppe, die Wanderungen und Ferienlager organisiert. Sie verlegen ein lokales Nachrichtenblatt, das kostenlos an 30.000 Haushalte verteilt wird. Sie treten bei Neonazi-Demonstrationen im ganzen Bundesgebiet auf. Der Dachverband „Soziales und Nationales Bündnis Pommern“ präsentiert auf einer schicken Internetseite beinahe täglich aktuelle Nachrichten. Wer die Website der CDU besucht, bekommt nur eine Fehlermeldung.

Der Jurist aus dem Westen und die Landjugend – inzwischen nehmen auch die Volksparteien in der Gegend das Bündnis ernst. SPD, CDU und PDS kriegen in ganz Ostvorpommern gemeinsam etwa 15 junge Leute zusammen. In den rechtsextremen Kameradschaften der Region und ihren Satellitengruppen sind 200 Nachwuchskräfte aktiv, schätzen Szenebeobachter. Die Jugendlichen ziehen von Haus zu Haus, stecken Informationshefte in die Briefkästen, besuchen Bürgerversammlungen. Andrejewski muss nicht über die Dörfer tingeln, nicht an Gartenzäunen für sein Projekt werben. Das erledigt die Jugend. Und niemand stört sie.

Warum sollte er sie auch stören, fragt Karl-Heinz Thurow, der Bürgermeister von Bargischow. Die „rechten Jungs“ hätten bisher keinen Ärger gemacht. Und die NPD sei nicht verboten, sondern „eine Partei wie jede andere“. Umsturzpläne? Parteiengeschwätz, glaubt Thurow. Die einen schwafelten von Gerechtigkeit, die anderen vom Ende des Systems – was daraus werde, wisse man ja. Unlängst stellte Thurow den Jugendlichen den Flachbau am Dorfrand neben der stillgelegten Kita zur Verfügung. Damit sie nicht an der Bushaltestelle herumgammeln, sagt er. Auch seine Frau findet das richtig. Sie hat bis vor kurzem das Anklamer Sozialamt geleitet. Diese „Jungs“, sagt Frau Thurow, seien „wirklich keine dummen Leute“, es seien Jugendliche, die etwas erreichen wollten, und das Clubhaus hätten sie sich ganz alleine renoviert.

Der Flachbau ist inzwischen über den Ort hinaus bekannt – als Neonazi-Treff. Die Neonazis haben natürlich auch einen Schlüssel. Er liegt gegenüber im Haus der Familie Roser. Das weiß jeder, auch die junge 1-Euro-Kraft, die nebenan in der stillgelegten Kita herumsitzt. Sie muss nur eine SMS schreiben, dann erscheint vor dem Haus der Roser-Sohn, ein kleiner, kräftiger Kerl um die zwanzig. Er will mit Journalisten eigentlich nichts zu tun haben, behält seinen Namen lieber für sich. „Egal, was wir hier machen. Ihr schreibt doch wieder nur: Da laufen braune Sachen“, brummelt er. „Dass wir auch den Rasen von der Kita im Sommer mähen, das würdet ihr doch zum Beispiel nie erwähnen.“ Dabei könne in den Jugendclub jeder rein: „Jeder, der will.“ Zum Beweis schließt er die Eingangstür auf, führt in einen unbeheizten Bar-Raum. Ein Kumpel mit lockigem Pferdeschwanz und ein Mädchen in Jeans und Rollkragenpulli folgen ihm. Fremde, die spontan an der Tür klopfen? Was soll das? Die drei wirken misstrauisch.

„Uns Jugendlichen wird hier im Dorf nichts geboten.Aber wenn wir mal was organisieren, dann heißt es gleich: Die rekrutieren! Dabei – singen, tanzen, wandern,das ist doch nicht schlecht, oder?“

Wer die Wortführer der Neonazi-Szene anruft und um ein Gespräch bittet, ahnt warum. Keine Chance, sagt selbst Tino Müller, der für die NPD in den Landtag einziehen will und als Sprecher der Bürgerinitiative „Schöner und sicherer wohnen“ im benachbarten Ueckermünde offene Briefe unterzeichnet. Interviews mit der „Feindpresse“ sind in seinen Kreisen verpönt. Deren „Hetzjournalisten“, warnte das Neonazi-Magazin Volk in Bewegung kürzlich, seien „bewusst ausgewählte geistig-seelisch und körperlich minderwertige Menschen“. Jedes Gespräch mit ihnen unterstütze die „Totengräberarbeit am deutschen Volk“.

Der Roser-Sohn macht sich erst mal eine Cola auf, lehnt sich an den Tresen, lässt den Schlüssel an einer groben Metallkette zappeln. Er trägt kurze braune Haare, Jeans, Turnschuhe. Ein unverdächtiges Outfit, stünde auf dem Pulli nicht „Die Liebenfels Kapelle“. Die Band hieß früher „Skalinger“, dann gab sie sich den Namen des Rassetheoretikers Jörg Lanz von Liebenfels. Auf ihren CD-Hüllen geht schon mal ein Hakenkreuz hinter dem Brandenburger Tor auf, sie singt Texte wie: „Auch mit Geld erkauft ihr keinen Freispruch für eure liebe Demokratie. Es wird nun nicht mehr lange dauern, bis der große Vorhang fällt. Nichts wird eure Ärsche retten, wenn sich das Volk gegen euch stellt.“

Rechts und links, erklärt der Roser-Sohn, das spiele hier in der Gegend längst keine Rolle mehr. Im Übrigen sei das Problem doch, dass Jugendlichen nichts geboten werde. Früher, da habe es wenigstens beim Dorffest noch die ein oder andere Attraktion gegeben, Wettkämpfe wie „Aal-Greifen“. Selbst das sei vorbei. „Aber wenn jemand mal was organisiert, dann heißt es gleich: Die rekrutieren!“, wirft der Kumpel ein. „Dabei – singen, tanzen, wandern, das ist doch nicht schlecht, oder?“

Die Jungs blicken sich grinsend an. Singen, tanzen, wandern? Es gibt Fotos von Neonazi-Demos, wo man sie anders sehen kann: Den Roser-Sohn im blauen T-Shirt mit dem Logo des Kameradschaftsbundes Ducherow. Auch den Zopfträger im Kapuzenpulli.

Natürlich wird in den Dörfern über die „Jungs“ geschwatzt – so wie über jeden geschwatzt wird: Haben sie Arbeit? Wie laufen sie herum? Saufen sie zu viel? Prügeln sie sich? Rüdiger Thieme aus Postlow redet darüber. Offen. Das ist ungewöhnlich. Denn die meisten wollen ihre Meinung über den rechten Nachwuchs lieber nicht in der Zeitung lesen, schon gar nicht mit Namen. „Weiß ich nicht. Interessiert mich auch nicht“, sagen sie. „Man ist doch damit beschäftigt, über den Monat zu kommen.“ Oder: „Ich kenn’ viele, klar. Aber das ist deren Sache, ich sag da nichts zu.“

Rüdiger Thieme, 35, bittet gleich ins Wohnzimmer. Mit seiner Bau- und Abrissfirma zählt der Unternehmer zu den Erfolgreichen im Ort, ein Kerl, groß und wuchtig, wie gemacht fürs harte Geschäft in harten Zeiten. Zupacken, machen, weitermachen, da hält er was drauf. Er findet, die „Jungs“ haben sich verändert in den letzten Jahren. Er meint: zum Positiven.

Früher, da habe man kahle Schädel gesehen, Springerstiefel, Schlägereien. Das gebe es kaum noch. „Heute ist das friedlicher geworden. Normaler.“

Die Thiemes haben es sich schön gemacht in ihrem blanken Neubau am Dorfrand. Blumengestecke zieren den Wohnzimmertisch, Tüllpüppchen die Couch. Einmal, erzählt Thieme, da hatte er einen Praktikanten. „Top Typ, sag ich Ihnen. Der sagte mir irgendwann: Ick steh dazu. Der ging mal zu diesen Demos mit und so. Aber der sagte auch ganz klar: Keine Gewalt.“ Am Ende der Anekdote schaut Thieme zufrieden. „Das ist jetzt lockerer. Man spricht drüber und gut ist.“ Wie viele der Jugendlichen inzwischen so denken? „Über die Hälfte“, sagt er. Und nach einer kurzen Pause: „Ich bin überzeugt, das wird noch mehr.“

Wenn man den Hausherren nach den Ursachen der politischen Entwicklung fragt, zögert er. Er sagt auch, warum: Er will nicht als Rechtsradikaler dastehen. Schließlich erzählt er doch. Von den Umzügen, die seine Firma erledigt, einige auf Rechnung der Sozialkasse, auch für Ausländer. „Wenn ich das sehe“, sagt der Unternehmer: „Da sind Neger – die schönsten Klamotten, die Taschen voller Geld. Ich meine, die lassen sich den Bauch in der Sonne braun werden und kriegen noch den Umzug bezahlt.“ Für ihn steht fest, die NPD hat teilweise einfach Recht. „Ich sag mal: Ausländer raus!“, sagt Thieme.

In Postlow kann Thieme das unbesorgt sagen. Es eine Meinung, die niemanden erstaunt. Wenige Kilometer weiter in Ducherow, wo die NPD zuletzt auf gut zwölf Prozent kam, verkauft der Dorfbäcker dunkelbraunes Mischbrot der Sorte „Glatze“. Auch normal. Der Bäcker denkt sich nichts dabei. „Keine Frage“, sagt der Postlower Bürgermeister Norbert Mielke. „Ich hab nix gegen Ausländer. Niemand hier hat etwas gegen einen Asylbewerber. Niemand. Aber irgendwann muss ja mal Schluss sein.“ Dass Leute jahrelang staatliche Unterstützung bekämen, ohne dafür zu arbeiten – wie solle er das Hartz-IV-Empfängern aus dem Dorf erklären, gestandenen Männern mit 30 Jahren Dienst im Kreuz?

Im Landkreis leben kaum zwei Prozent Ausländer. Was aber sind Zahlen gegen ein Gefühl? Das Gefühl, abgeschrieben zu sein. Unverstanden. Die Fernsehnachrichten bestätigen es jeden Abend: Die Welt da draußen ist eine andere. Da wird gestritten, wie schnell Schröder wieder viele Jobs annehmen darf. Da eröffnet die Kanzlerin in der vorpommerschen Nachbarschaft die A 20, schwärmt von den großartigen Perspektiven für die Region. Perspektiven? Postlow liegt abseits der Strecke. Und es ist einfach, Postlow zu vergessen. Warum sollten die Menschen aus den Nachrichten ausgerechnet nach Postlow kommen? Es gibt ja nicht mal mehr etwas zu eröffnen.

„Hier verwahrlost ein ganzer Landstrich“, sagt Günther Hoffmann. „In dieses Vakuum stoßen die Rechten. Die bürgerlichen Parteien haben versagt. Aber nicht nur die. Das Problem wird in Berlin völlig unterschätzt.“ Hoffmann kennt die rechtsextreme Szene in der Gegend wie kein Zweiter. Bis Januar hat er das Anklamer Büro des „Civitas“-Netzwerks geleitet, das von der Bundesregierung gefördert die Arbeit gegen Rechtsextremismus in Ostdeutschland unterstützen soll. Dann flog der Familienvater raus. Auch das ist Teil der Geschichte.

Günther Hoffmann, ehemals Produktionsleiter am Berliner Schillertheater und Fachmann für Ökobaustoffe, kam Ende der 90er mit Frau und Kind nach Bugewitz, einen Weiler südlich von Bargischow. Nicht etwa, weil er Neonazis bekämpfen wollte. Er hatte sich bei einem Ausflug ans Haff verliebt – in die Landschaft und die Einheimischen, die ihn so offen empfingen. „Die Mentalität der Leute hier gefällt mir ausgesprochen gut“, sagt Hoffmann. „Das ist nach wie vor so.“ Es klingt trotzig. Er zieht kräftig an seiner Zigarette, Schwarzer Krauser selbst gedreht.

Hoffmann sitzt im Dorfgasthof. Wie verkrüppelte Wachen säumen Bäume die Straße dorthin. Wildgänse schnattern. Harter Wind vom Haff drückt die Gräser zur Erde. Drinnen riecht es nach Zigarettenqualm und Bratfett. Man erkennt Hoffmann sofort zwischen den Einheimischen: ein hagerer Herr mit kinnlangem, grau meliertem Haar und Cordsakko. Er spricht halblaut.

Hoffmann fallen auf Anhieb dutzende Gründe ein, warum es Neonazis in der Gegend so leicht haben. „Nach der Wende wurde versäumt, hier eine demokratische Kultur aufzubauen“, sagt er. Die Schule habe sich nach 1989 völlig entpolitisiert. Die Kirchen seien ein hermetischer Raum. Professionelle Jugendarbeit könne sich kaum ein Ort leisten. „Und die demokratischen Parteien“, sagt er, „sind in einem desolaten Zustand.“ Man hört unterdrückte Wut in seiner Stimme. „Eigentlich wäre hier ein Reeducation-Programm nötig.“ Sein süddeutscher Akzent gibt den Worten eine besondere Würze.

Hoffmann wird als Fachmann für Rechtsextremismus auf dem Land inzwischen bis nach Bayern geladen. Ein Thema: „Allein auf weiter Flur“. Allein?

NPD-Politiker Andrejewski ist begeistert:„Wenige Regionen sind so heruntergewirtschaftet.Die Leute hier hatten mal riesige Erwartungen,jetzt sind sie wahnsinnig enttäuscht“

Es gibt natürlich andere in der Region, die den Aufstieg der Rechtsextremen stoppen wollen. Aber außer dem gemeinsamen Gegner verbindet sie alle wenig. Zu wenig. Günther Hoffmann lebt bald zehn Jahre in Bugewitz. Er macht in der Freiwilligen Feuerwehr mit, er war Elternrat an der Schule, engagiert sich im örtlichen Kulturverein und in der Bürgerinitiative „Bunt statt Braun“ in Anklam. Er bleibt einer von außen. Hoffmann hat sich Feinde gemacht. Er war lästig. Er glaubt: Es ging nicht anders. In vielen kleinen Orten sei inzwischen fast jeder mit einem Neonazi verwandt. „Das geht bis hinein in die Amtsverwaltungen. Oft sind die Überschneidungen zu groß, als dass die Bürgermeister offen agieren könnten. Die haben mir regelmäßig ganz deutlich gesagt: Das jetzt bitte nicht bekannt machen!“ Hoffmann aber hält nichts vom Verschweigen.

Als Anfang des Jahres die Civitas-Stelle in Anklam wackelte, rettete der Landkreis das Projekt. Und warf als erstes Hoffmann raus. Sein Nachfolger sagte der Lokalzeitung, ihm sei von rechtsextremen Strukturen „wenig bekannt“. Die Neonazis frohlockten. Inzwischen ist die Stelle wieder ausgeschrieben.

Über die Gründe schweigt der zuständige Vizelandrat. Er muss nichts fürchten. Bisher hat sich niemand in der Gegend lautstark für Hoffmann eingesetzt. Kein Pfarrer, kein Parteichef. Auch der Anklamer Bürgermeister nicht.

Der heißt Michael Galander und sagt: „Ich will der NPD nicht die Plattform bieten, die sie gerne hätte. Ich kümmere mich lieber um Wirtschaft und Arbeit.“ Galander wurde 2002 als parteiloser Jungunternehmer ins Anklamer Rathaus gewählt. Seine Verheißung: Er wollte die insolvente Kreisstadt sanieren, so erfolgreich wie er seine Baufirma in Anklam hochgezogen hatte. Seine Firma meldete kürzlich Insolvenz an. Im Rathaus ist die Lage kaum erfreulicher. „Wir sind hier nicht in Pessimismushausen“, sagt Galander. Aber wenn er vom Schreibtisch aus dem Fenster blickt, sieht er: Vor dem Einkaufszentrum gegenüber kippen sich Männer Dosenbier in den Rachen. Rechts fehlt die gesamte Häuserflanke. Abgerissen. Dahinter Wohnblocks mit leeren Fenstern, die aussehen, als warteten sie nur noch auf die Bagger.

Galander spottet über das ausländerfeindliche Gerede seiner Wähler: „Hier haben 17 Ausländer eine Dönerbude, 15 putzen Toiletten. Da können doch keine Jobs freiwerden!“ Im Stadtparlament hat er die meisten Abgeordneten inzwischen gegen sich. Sie werfen ihm vor, er habe tausende Euro für Dienstreisen verschleudert. Er fühlt sich ausgebremst von ihrem „fast grenzenlosen Halbwissen“.

Galander lacht gallig, wenn er an die Stadtratssitzungen denkt. Da sitzt der NPD-Mann Andrejewski im Rund – und profitiert von den Feindseligkeiten. Die Mehrheiten sind knapp, notfalls nehmen die Kollegen auch mal seine Stimme mit. Andrejewski trete „gepflegt, relativ sachlich, relativ zurückhaltend“ auf, sagt der Bürgermeister. „Es wäre schön, wenn die anderen wenigstens kurze, knappe Stellungnahmen halten könnten. So wie der.“ Galander verzieht gequält das Gesicht. „Manchmal träume ich hier inzwischen von einer Demokratur.“

Er muss sich kurz entschuldigen. Sein Telefon bimmelt. Es spielt das Deutschlandlied.

Das Reportageprojekt „Das vergessene Land. Über den leisen und stetigen Aufstieg der Rechtsextremen in Ostvorpommern“ wurde mit einem Stipendium der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche gefördert. Dies ermöglichte eine vierwöchige Recherche vor Ort. Gleichzeitig wird das noch laufende Fotoprojekt gefördert vom Kulturwerk der VG-Bildkunst.

Astrid Geisler ist Redakteurin im Inlandsressort der taz. Christian Jungeblodt lebt als Fotograf in Berlin und wird von der Agentur LAIF vertreten.