Die sichtbaren Opfer fehlen

DEBATTE Datenschützerin Constance Kurz, Anwalt Thomas Stadler und Verfassungsschützer Bernd Palenda diskutierten über die Macht der Geheimdienste

Sie hatte so friedlich begonnen, die Podiumsdiskussion auf der taz-Generalversammlung am Samstagmittag in Berlin. Zum Schluss wurde es dennoch laut in der Heinrich Böll Stiftung zwischen Constance Kurz vom Chaos Computer Club und dem Verfassungsschützer Bernd Palenda. Gemeinsam mit dem Anwalt Thomas Stadler, dem Experten für Bürgerrechte im digitalen Raum, diskutieren sie über die Frage, ob wir angesichts der Macht der Geheimdienste noch in einem Rechtsstaat leben: „Big Brother und Big Sister. Schaffen Obama und Merkel den Rechtsstaat ab?“ Die Runde, moderiert von taz-Redakteur Johannes Gernert, endete etwas unruhig.

Es war befremdlich, wie Verfassungsschützer Palenda mit dem Kopf nickte, wenn Kurz und Stadler das Geheimdienstsystem anprangerten. „Wir haben eine nicht kontrollierte Geheimgesellschaft“, sagte Kurz. Der amerikanische Auslandsgeheimdienst NSA speichere nicht nur die weltweite Internetkommunikation, er knacke auch die meisten Verschlüsselungen. Firmen würden gezielt erpresst, um ihre Codes herauszugeben, so Kurz.

Dieses Szenario einer gläsernen Welt bestätigte Palenda: „Auch bei unseren Daten vom Verfassungsschutz lesen die Amis vielleicht mit.“ In Deutschland würden aber die Gesetze amerikanische Verhältnisse verhindern. Allerdings musste er zugeben, dass sein Amt Informationen der NSA nutzt. Ob der Verfassungsschutz als Gegenleistung auch Daten deutscher Bürger liefere, wusste er nicht.

Die Nachrichtendienste seien nicht sehr transparent, weder untereinander noch gegenüber der Öffentlichkeit. Anwalt Stadler bezeichnete die Geheimdienste als einen „Staat im Staate“, denn etwa der Bundesnachrichtendienst (BND) würde immer weniger rechtsstaatlich kontrolliert. So bezeichneten BND-Mitarbeiter es als „Märchenstunde“, wenn sie dem parlamentarischen Kontrollgremium Auskunft geben müssen. Dass der BND speichere, wer wann mit wem telefoniert, wurde dort nicht berichtet, so Stadler. Der Anwalt bezweifelte, dass die Macht, die der BND nach dem 11. September erhalten habe, mit der Verfassung konform ginge.

Ziel müsse es sein, die Nachrichtendienste abzuschaffen oder stark einzuschränken. Applaus vom taz-Publikum. Nur wie? Die Regierung könnte handeln, so Stadler. Etwa indem sie das Swift-Abkommen kündigt, das den USA erlaubt, auch deutsche Daten abzufischen, oder indem sie sich für ein Internet-Völkerrecht einsetzen würde. Nur auf globalem Weg könne das Geheimdienstsystem durchbrochen werden, das erlaube, überall auf der Welt nationales Recht zu brechen. „Aber ohne Druck von unten wird nichts passieren“, sagte Stadler.

Kurz appellierte für eine neue Bewegung von unten. Sie sieht aber auch Schwierigkeiten: „Anders als die grüne Bewegung haben wir keine Robben.“ Sichtbare Opfer fehlten. Stadler erinnerte an die gefolterten Guantánamo-Insassen und daran, dass der Irakkrieg durch falsche Informationen des BND gerechtfertigt wurde. Verfassungsschützer Palenda reagierte. „Die Freiheit wird mit weniger Sicherheit bezahlt“, sagte er. Kurz musste daraufhin lachen, hatte sie doch zuvor mehrere Studien zitiert, die belegen, dass die meisten Terroranschläge in den USA durch ganz normale Polizeiarbeit verhindert werden konnten, nicht durch Erkenntnisse, die die Geheimdienste sammelten und weitergaben.

„Die Terrorangst zu schüren, das ist eine direkte Drohung an die Gesellschaft“, sagte Kurz. Die Diskussion wurde interessant, doch die Zeit war um. Verfassungsschützer Palenda schien das nicht zu bedauern. Er verließ als Erster den Raum. LISA SCHNELL