Ein destruktiver Charakter

KUNST UND POP Malcolm McLaren war Romantiker, seine Sehnsucht nach der Unschuld war groß. Im Punk spielte er mit Fehlern und Widersprüchen

Malcolm McLaren hat in seinem Leben vieles aus dem Weg geräumt, am liebsten die eigenen Vorhaben. Der Preis dafür war, dass seine Geschichte von denen erzählt wurde, die er genervt, verraten und enttäuscht hatte, wenn er die eigenen Projekte sabotierte. McLaren war die späte Verkörperung einer radikal modernen Figur, der es egal ist, ob sie missverstanden wird oder nicht. „Der destruktive Charakter kennt nur eine Parole: Platz schaffen; nur eine Tätigkeit: räumen. Sein Bedürfnis nach frischer Luft und freiem Raum ist stärker als jeder Hass“, schrieb einst Walter Benjamin. Die Punks liebten ihn dafür.

Die berühmteste Geschichte McLaren’scher Destruktivität ist die Geschichte der Sex Pistols. Der Band, die er erst erfand und dann mit großem Knall an die Wand fahren ließ, um das Ganze als situationistisches Gesamtkunstwerk zu verkaufen. McLaren sah sich als letzten romantischen Künstler in einer Welt, in der Unschuld und Naivität verloren gegangen sind. „Ich werde nie vergessen“, sagte er in einem Gespräch vor zwei Jahren, „wie einer meiner Professoren die Arbeiten des Spätimpressionisten Pierre Bonnard erklärte: ‚Die Fehler sind es, die ihn von einem Amateur in einen großen Künstler verwandelt haben. Er zeigte seine Fehler!‘“ Als Manager habe er den Pistols konsequent das romantische Evangelium gepredigt, erinnerte er sich: „Zeigt, dass ihr nicht gut spielen könnt. Das ist besser, als es so aufzunehmen, als ob ihr spielen könntet! Es ist groß, seine Fehler zu zeigen! Natürlich hielten mich die Kids für vollkommen verrückt.“

An einer der Kunstschulen, die der Londoner in den Sixties besuchte, hatte man ihm beigebracht: „Keine Angst vor dem Scheitern zu haben ist die Voraussetzung dafür, die Regeln brechen zu können. Das war deine Aufgabe als Künstler. Die Regeln zu brechen. Die Kultur und – wenn auch nur für einen Moment – das Leben zu verändern.“ Den Alltag nach den eigenen Regeln gestalten, die Widersprüche produktiv werden lassen – das war der politische Aspekt von Punk. Er machte der Linken den Abschied vom Autoritarismus und Dogmatismus der Großideologien und Politsekten leichter.

Im Sommer 2008 sah man McLaren öfter im taz-Café sitzen. In einer benachbarten Galerie zeigte er damals seine nun wohl letzte Arbeit. Eine Serie von Kurzfilmen, bestehend aus Loops und Samples. Das Material stammte aus alten Amateurpornos. Beim Produzieren dieser Kurzfilme habe er eins gelernt, erzählte er: „Wenn man sich die Dinge nicht lange genug anschaut, dann sieht man sie nicht.“ Vielleicht gilt das auch für McLarens Werk, das aus verstreuten Akten der Negation besteht – und ein paar eigenen Singles, die keiner mehr kennt. ULRICH GUTMAIR