„Eine verkürzte Sicht von Gerechtigkeit“

Im internationalen Vergleich sind die Unternehmensteuern in Deutschland zu hoch. Man kann sich sogar fragen, warum Konzerne überhaupt Abgaben zahlen. Immerhin schaffen sie Arbeitsplätze, sagt Steuerexpertin Johanna Hey

taz: Die Stiftung Marktwirtschaft und der Sachverständigenrat schlagen vor, die Gewinnsteuer für Konzerne zu senken. Warum sind in beiden Gruppen keine Wissenschaftler vertreten, die die Notwendigkeit niedriger Steuersätze bezweifeln?

Johanna Hey: Weil nicht nur die Stiftung Marktwirtschaft, für die wir arbeiten, sondern nahezu die gesamte Wissenschaft den Steuersatz von 39,4 Prozent für Konzerne für zu hoch hält. International nimmt Deutschland damit eine Spitzenposition ein. Viele Unternehmen reagieren darauf, indem sie die Gewinne zu ihren Tochterfirmen ins Ausland verlagern. So geht der deutsche Finanzminister leer aus.

Wäre es nicht besser, wie manche Abgeordnete der SPD, der Grünen und der Linkspartei fordern, die Möglichkeiten zur Gewinnverlagerung einzuschränken?

Aus politischer Sicht mag es gute Gründe für diesen Ansatz geben. In unserer globalisierten Wirtschaft mit ihren offenen Finanzmärkten können Sie den Abfluss von Kapital aber kaum stoppen – außer durch konkurrenzfähig niedrige Steuersätze. In Deutschland wären das maximal 30 Prozent für international tätige Unternehmen. Die ganze Debatte hat im Übrigen eine merkwürdige Schieflage. Man kann sich durchaus fragen, warum die Aktiengesellschaften, um die es vor allem geht, überhaupt Steuern zahlen sollen. Unternehmen sind eigentlich dafür da, Arbeitsplätze zu schaffen.

Was ist merkwürdig an der Vorstellung, dass Unternehmen einen Teil ihres Gewinns an die Gemeinschaft abtreten – wie jeder Bürger auch?

Dahinter steht eine verkürzte Sichtweise von Gerechtigkeit. Aktiengesellschaften sind doch Zusammenschlüsse von Anteilseignern. Nur deren persönlicher Gewinn, also die vom Unternehmen ausgeschüttete Dividende, sollte besteuert werden.

Einen Teil ihrer Gewinne behalten die Firmen aber selbst und geben ihn nicht an die Aktionäre weiter. Würden diese einbehaltenen Gewinne nicht besteuert, wäre das eine Bevorzugung der Konzerne.

Keineswegs. Die Begründung ist, dass das Kapital als Investition im Unternehmen bleibt und dort arbeitet. Es schafft Jobs. Estland hat sein Steuersystem so organisiert. Für einbehaltene Gewinne, die ein Konzern nicht an seine Aktionäre ausschüttet, beträgt dort der Steuersatz null.

Als Irland seine Steuer für Konzerngewinne auf 12,5 Prozent gesenkt hatte, stiegen die Staatseinnahmen stark an. Kann auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück mit mehr Geld rechnen?

Nein, diese Erfahrung kann man nicht übertragen. Irland profitiert vom so genannten First-Mover-Effekt, weil es das erste Land in der EU war, das einen derart niedrigen Körperschaftsteuersatz realisierte. Daher war der Vorteil groß. Außerdem hatte das arme Land einen erheblichen Nachholbedarf bei der wirtschaftlichen Entwicklung. In Deutschland würde die Steuersenkung dagegen nicht in diesem Umfang ausländische Investitionen anlocken. Die Wachstumseffekte werden zudem umso geringer ausfallen, je weniger drastisch der Steuertarif gesenkt wird.

Aber Sie hoffen, dass wenigstens die inländischen Unternehmen mehr bezahlen, weil sie weniger Gewinne ins Ausland verlagern?

Langfristig ja. Kurzfristig rechnen wir jedoch mit Mindereinnahmen wegen der geringeren Steuersätze, die wir vorschlagen.

Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie sich Einnahmeverluste bei der Reform der Unternehmensteuer nicht leisten könne. Warum halten Sie sich nicht an diese Ansage?

Wenn man die Unternehmen nicht entlastet, bringt die Reform nicht viel. Dann wäre es ehrlicher zu sagen, wir bleiben bei den hohen Sätzen. Die Bundesregierung muss ihre Gegenfinanzierung auf anderem Wege bewerkstelligen. Dafür böte sich beispielsweise die Mehrwertsteuer an – wenn Schwarz-Rot sie nicht schon für andere Dinge verplant hätte.

Was halten Sie von der skandinavischen Politik, die Steuern für Unternehmen zu reduzieren, dafür aber im Gegenzug die Einkommensteuer auch für Wohlhabende zu erhöhen?

Wir arbeiten zwar auch an Vorschlägen für eine Reform der Einkommensteuer, wollen aber zur genauen Höhe der Steuersätze nichts sagen. Da müssen Sie die Bundesregierung fragen, das ist eine politische Entscheidung.

Bei den Unternehmen schlagen Sie doch auch eine konkrete Zahl vor: maximal 30 Prozent. Warum sind Sie so zurückhaltend, wenn es um die hohen Einkommen geht?

Im Falle der Unternehmen sehen wir eine wissenschaftliche Evidenz. Im internationalen Vergleich hält Deutschland einen Spitzenplatz. Das ist eindeutig. Bei der Einkommensteuer ist die Lage nicht so klar. Da gibt es mehr politischen Handlungsspielraum. Den zu nutzen ist aber nicht unsere Aufgabe als Wissenschaftler.INTERVIEW: HANNES KOCH