Atombomben-Alarm in Ahaus

ENERGIE In einem Zwischenlager im Münsterland liegt hochangereichertes Uran für bis zu zwölf Sprengkörper der Hiroshima-Stärke. Was damit geschehen soll, weiß derzeit niemand

US-Präsident Jimmy Carter stoppte die Lieferung nach Deutschland 1977

BOCHUM | Die Transporte, die bis 1995 vom stillgelegten Thorium-Hochtemperaturreaktor Hamm-Uentrop (THTR) ins Zwischenlager Ahaus rollten, waren hochgefährlich: In die Lagerstätte im Münsterland wurden nicht die üblichen Brennelemente aus Leichtwasserreaktoren gebracht, sondern hochangereichertes, waffenfähiges Uran. „Mit simpelster Technologie können daraus 10 bis 12 Atombomben hergestellt werden“, warnt der Chemiker Rainer Moormann, der am Kernforschungszentrum Jülich jahrzehntelang zur Sicherheit der Hochtemperaturtechnologie geforscht hat. „Im Gegensatz zur hochkomplizierten Plutoniumbombe kann ein solcher Uransprengsatz von jedem Terroristen gebaut werden.“

Trotzdem haben offenbar weder Bundesregierung noch Atomlobby eine Idee, was mit dem Material geschehen soll. Das Bundesforschungsministerium geht von einer Zwischenlagerung „bis 2055“ aus, schreiben die Berliner Minsterialen in einer Antwort auf eine Anfrage der grünen Bundestagsabgeordneten Oliver Krischer und Sylvia Kotting-Uhl, in der es auch um die Kosten des THTR-Rückbaus geht. Dabei ist das Ahauser Zwischenlager nicht bis 2055, sondern nur bis 2036 genehmigt – und somit der weitere Verbleib des gefährlichen Stoffs unklar.

Denn selbst wenn bis dahin ein deutsches Atommüllendlager gefunden ist: Einfach abgeladen werden können die Hinterlassenschaften des THTR dort nicht. Das Kraftwerk war ein sogenannter Kugelhaufenreaktor, dessen Uranbrennstoff bis zu 93 Prozent angereichert war – übliche AKWs arbeiten mit einer Konzentration von 3,5 Prozent.

Trotzdem lieferten die USA das atomwaffenfähige Material auf Betreiben des Jülicher Kernforschungszentrums zunächst nach Deutschland. In Jülich arbeiten bis heute Anhänger der Kugelhaufentechnologie, die nur mit dem hochangereicherten Stoff funktioniert. Rund 1.300 Kilogramm davon gingen nach Hamm, über 200 Kilo wurden im Versuchs-Kernkraftwerk AVR im Forschungszentrum selbst benutzt. Doch schon 1977 erkannte Präsident Jimmy Carter, dass die USA die Deutschen und andere mit dem Stoff für die Bombe ausrüsteten – und ließ aus Proliferationsgründen – also wegen des Verbotes der Weitergabe von Atomwaffentechnologie – die Lieferungen stoppen.

„Den Atommüll aus Hamm kann man nicht einfach irgendwo vergraben“, warnt der Forscher Moormann. Zwar sei es für mögliche Terroristen wegen der hohen Gammastrahlung heute noch zu gefährlich, mit dem Stoff zu hantieren. „In 200 Jahren aber ist die Gammastrahlung abgeklungen. Ein Endlager wäre dann eine Mine für atomwaffenfähiges Material.“ Außerdem ist das hochangereicherte Uran für den Einsatz im Reaktor zu graphithaltigen Brennelementkugeln verarbeitet worden – diese sind brennbar. Zusätzlich laugt die Radioaktivität bei Kontakt mit Wasser aus. „Ohne aufwendige Sicherung ist das nicht endlagerfähig“, warnt Moormann. Doch wie eine solche Sicherung aussehen könnte, ist bis heute unklar. Zwar gibt es Ideen, die Brennelementkugeln in Industriekeramik einzuschließen oder gar zu verbrennen, um die Graphitproblematik in den Griff zu bekommen – wissenschaftlich erforscht ist das aber noch nicht. „Derzeit gibt es keine Lösung für den Ahauser Atommüll“, sagt der grüne Atomexperte Krischer. Unsinnig sei schon der Bau des Zwischenlagers gewesen: „Der Müll hätte besser in Hamm bleiben sollen.“

Im Münsterland sehen Atomkraftgegner deshalb die Jülicher in der Pflicht. „Die Forscher dort müssen endlich eine wissenschaftlich saubere Lösung erarbeiten“, mahnt Felix Ruwe von der Bürgerinitiative Kein Atommüll: „Sonst wird Ahaus zum Endloslager.“ ANDREAS WYPUTTA